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Italien will Fleisch aus der Petrischale verbieten

Christoph Jehle

Traditionelle Lebensmittel müssen in Italien geschützt werden. Dazu forciert die Regierung etwa ein Verbot von synthetisch hergestelltem Fleisch. Warum dieser Schritt?

Es scheint bei den italienischen Nationalisten eine besondere Vorliebe für Speisevorschriften zu geben. So geht das in den 1930er-Jahren erlassene Pastaverbot [1] auf Mussolini und seine Partei zurück, die ihre Landsleute davor schützen wollten, zu viele Kohlehydrate zu sich zu nehmen.

Bei der aktuellen Regierung hat der Verband der landwirtschaftlichen Familienbetriebe Coldiretti [2] offensichtlich erfolgreich lobbyiert [3] und für einen Bann synthetisch erzeugter Lebensmittel einschließlich Fleisch [4] gesorgt, bevor solche Produkte in Europa serienmäßig produziert und verzehrt werden können.

Dabei hat die italienische Landwirtschaft ganz andere Probleme. Beim Olivenöl erschweren die gestiegenen Energiepreise die Arbeit der Ölmühlen, nachdem in den vergangenen Jahren die Oliven-Fruchtfliege für Ernteausfälle gesorgt hatte und in diesem Jahr das Wetter [5] für bis zu 50 Prozent Ernteausfälle.

Die in der Folge steigenden Preise locken Ölfälscher [6] auf den Plan und deren Methoden werden immer besser [7].

Nicht nur beim Öl hat die italienische Mafia [8] die Landwirtschaft fest im Griff. Auch beim berühmten Parmaschinken gibt es immer wieder Unregelmäßigkeiten. Parmaschinken darf nur in der Provinz Parma hergestellt werden, wo er seinen einzigartigen Geschmack entwickelt, doch die Rohstoffe, also die Schinken dürfen auch aus den Regionen [9] Emilia-Romagna, Venetien, Lombardei, Piemont, Molise, Umbrien, Toskana, Marken, Abruzzen und Latium stammen.

Zugelassen sind jedoch nur bestimmte Rassen von sogenannten schweren Schweinen wie den traditionellen Rassen Large White, Landrace oder Dunroc. Es sind auch andere Rassen zugelassen, sofern sie im italienischen Zuchtbuch vermerkt sind. Die mindestens neun Monate alten Schweine sollten etwa 160 Kilogramm wiegen und nach speziellen Vorgaben gefüttert werden.

Vor wenigen Jahren waren nun mehrere Millionen als Parmaschinken [10] bezeichnete Schinken in den Reifehallen auf den Hügeln von Langhirano aufgetaucht, die von Schweinen stammten, deren Mütter durch Samen dänischer Eber befruchtet worden waren.

Insgesamt war damals ein Drittel der Parmaschinkenproduktion eines Jahres plötzlich illegale Ware. Insgesamt wird der Wert der gefälschten italienischen Lebensmittel auf 120 Milliarden Euro [11] geschätzt. Dabei handelt es sich nicht nur um aus China importiertes Tomatenmark, das von italienischen Tochterunternehmen chinesischer Hersteller vermarktet wird.

Diesen Entwicklungen möchte die italienische Regierung jetzt im Streit mit Brüssel einen Riegel vorschieben. Da der in Italien angebaute Hartweizen für die dortige Pastaproduktion nicht ausreicht, könnte die Pastaproduktion reduziert werden und die Pasta für viele Italiener zu teuer. Damit hätte sich Mussolini mit seiner Aversion gegen Pasta dann doch noch durchgesetzt.

Wo synthetisch erzeugtes Fleisch schon erhältlich ist

Der italienische Widerstand gegen synthetisch erzeugte Lebensmittel beruht in erster Linie auf der Angst vieler Kleinbetriebe, mit ihrer traditionellen Fleischerzeugung mit großen internationalen Konzernen nicht mithalten zu können. Bei Fleisch, das in der Petrischale seinen Anfang hat, handelt es sich mitnichten um vegane Fleischersatzprodukte, die unter Einsatz zahlreicher Zusatzstoffe auf Textur und Geschmack tierischer Produkte getrimmt wird.

Analogkäse, der aus pflanzlichen Rohstoffen erzeugt wird und vor Jahren noch als minderwertiges Käseersatzprodukt bezeichnet wurde und heute als veganes Produkt fröhliche Urständ zum dreifachen Preis feiert, gehört auch nicht dazu.

Marktführer bei synthetisch erzeugtem Fleisch (cultivated meat [12]) ist Singapur [13], wo für konventionelle Landwirtschaft bei Weitem nicht mehr genügend Platz verfügbar ist. Produziert wird es auf der Basis tierischer Stammzellen, die in Bioreaktoren vermehrt werden.

In der Hauptsache wird in Singapur auf diese Weise Hähnchenfleisch erzeugt. Hinsichtlich Geschmack und Textur soll es den Produkten aus dem Stall entsprechen, jedoch bis zu 92 Prozent weniger Treibhausgase verursachen und bis zu 90 Prozent weniger Produktionsfläche benötigen. Bei der Produktion werden zudem keine Antibiotika eingesetzt.

In den USA ist cultivated chicken [14] inzwischen ebenfalls zugelassen. Die Produktion von Rindfleisch befindet ebenso in Vorbereitung wie synthetischer Lachs [15]. Dieser könnte die Meeresverschmutzung in norwegischen Fjorden drastisch reduzieren.

Sobald die konventionelle Landwirtschaft wie andere Produktionsbetriebe mit Abgaben für ihre Treibhausgasemissionen belastet wird, könnte die Produktion von Fleisch mit Zellkulturen aus der Petrischale für all jene Verbraucher interessant werden, die nicht auf pflanzliche Fleischsurrogate umsteigen wollen, die nur mit endlosen Zutatenlisten produziert werden können. Spätestens dann wird sich entscheiden, ob der italienische Sonderweg zukunftsfähig ist.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9356186

Links in diesem Artikel:
[1] https://americadomani.com/that-time-mussolini-tried-to-ban-pasta-in-italy/
[2] https://www.coldiretti.it/
[3] https://www.theguardian.com/world/2023/mar/29/italian-plan-to-ban-lab-grown-food-criticised-as-misguided
[4] https://www.euractiv.com/section/politics/news/italy-set-to-be-first-ever-country-to-ban-synthetic-food/
[5] https://orf.at/stories/3332955/
[6] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/olivenoel-preis-italien-spanien-griechenland-extravergine-e122700
[7] https://www.sueddeutsche.de/panorama/olivenoel-faelscher-apulien-festnahmen-1.4447808
[8] https://www.agrarheute.com/land-leben/16-milliarden-euro-mafia-hat-landwirtschaft-griff-520981
[9] https://agriculture.ec.europa.eu/farming/geographical-indications-and-quality-schemes/geographical-indications-food-and-drink/prosciutto-di-parma-pdo_de
[10] https://www.welt.de/wirtschaft/article196119607/3-5-Millionen-Parmaschinken-koennen-im-Muell-landen.html
[11] https://www.agenzianova.com/de/news/agroalimentare-coldiretti-il-valore-dei-falsi-prodotti-italiani-supera-i-120-miliardi/
[12] https://gfi.org/science/the-science-of-cultivated-meat/
[13] https://www.bbc.com/news/business-65784505
[14] https://www.youtube.com/watch?v=YaPAGKK4A2o
[15] https://www.youtube.com/watch?v=OWRwrQI3XOY