Jan Böhmermann: Glaubenskrieg gegen die "ein bisschen Doofen"
- Jan Böhmermann: Glaubenskrieg gegen die "ein bisschen Doofen"
- Totalitäre Herrschaft der Besserwisser
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Satire oder Arroganz? Der Gastbeitrag des TV-Moderators in der Zeit spiegelt einen gefährlichen Zeitgeist in Politik und Gesellschaft wider, meint unser Autor.
Ich muss oft an einen Satz denken, den ein ehemaliger Kollege schon vor Jahren geäußert hat. Unser Gespräch drehte sich um den Aufstieg der AfD. Den fanden wir damals beklagenswert, und darin waren wir uns einig. Aber nur darin.
Denn wie noch heute, hatte ich dafür plädiert, die Beweggründe der Wähler zu analysieren, statt die Partei strikt auszugrenzen. Im Medienbetrieb wurde letzteres damals reihenweise als gangbare Lösung diskutiert.
Dann fiel der Satz, an den ich mich oft erinnere: "Die erreichen wir nicht mehr."
Selbst, wenn ich mich – bis heute – frage, ob es von mir nicht minder vermessen ist, Menschen sozusagen wieder "einfangen" zu wollen, sehe ich in jenem lange nachhallenden Satz eine inakzeptable Aufkündigung des Dialogs. Mehr noch: Ich halte ihn für antidemokratisch.
Besonders erschreckend fand ich ihn, weil er aus dem Munde einer Person stammte, die nicht nur Teil der sogenannten vierten Gewalt war, sondern auch Mitglied einer Partei, die heute in Regierungsverantwortung steht.
Das letzte Mal habe ich mich an den Satz erinnert, als ich Jan Böhmermanns jüngsten Gastbeitrag in der Zeit gelesen habe.
Es mutet allzu billig an, noch auf den ZDF-Moderator einzudreschen, nachdem der UK-Korrespondent der Zeit, Jochen Bittner, ihm bereits das vernichtende Zeugnis einer "mit Arroganz kompensierten intellektuellen Leere" ausgestellt hat, was vom CDU-nahen Agitationsmedium Nius bereitwillig aufgegriffen wurde.
Aber in seinem egozentrisch anmutenden Text sagt der ZDF-Comedian mehr als nur etwas über sich selbst. Und vielleicht genügt er damit innerhalb der Zeit nicht jedem geistigen Anspruch, den Geist der Zeit trifft er möglicherweise aber umso mehr.
Im Glashaus der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
Nach den mitunter widersprüchlichen Umständen der Verhaftung des Messer-Mörders von Solingen liest sich Böhmermanns Text erkennbar als Präventivschlag gegen einen drohenden Umsturz in der deutschen Migrationspolitik.
Als Triebkraft hinter der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die der Moderator heranbrausen sieht, macht er seinerseits eine Gruppe aus, die – wie angeblich alle Menschen – dem "Freund-Feind-Denken" verfallen und obendrein "ein bisschen doof" ist: die "Menschen von gestern".
Um jenen Gestrigen den Spiegel vorzuhalten, fordert Böhmermann – selbstverständlich satirisch – deren konsequente Ausgrenzung. Nur im letzten Satz seines Gastbeitrags scheint eine Versöhnungsabsicht auf. Doch um deren Glaubwürdigkeit ist es nach der Lektüre des Beitrags nicht allzu gut bestellt.
Denn so sehr sich Böhmermann, wie hinlänglich erprobt, mit dem Etikett der Satire aus der Verantwortung freizukaufen beabsichtigt, so viel Authentizität scheint bei seinem Kommentar durch. Und mit jener gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist es beim ZDF-Satiriker schließlich auch nicht weit her.
So legte der Moderator seinem Kollegen Markus Lanz bei einer Podiumsdiskussion der Zeit 2021 nahe, Alexander Kekulé und Hendrik Streeck wegen deren Einschätzungen zur Corona-Lage konsequent aus Talkshows auszuschließen, maßte sich während der Corona-Krise 2022 an, Ungeimpften vor laufender Kamera den Mittelfinger zu zeigen oder Kinder als "Wirtstiere" mit den Ratten zu Zeiten der Pest zu vergleichen.
Spätestens die RKI-Files dürften deutlich gemacht haben, dass Kinder zu keinem Zeitpunkt derlei Vergleiche verdient hatten, weil sie – eben nicht – die entscheidende Rolle des Infektionstreibers gespielt haben.
Wahrheiten, die nicht hinterfragt werden dürfen
Hinter der fadenscheinigen Satire versteckt Böhmermann auch die Definition dessen, was die "Menschen von gestern" eigentlich auszeichnet. Letztlich handelt es sich offenbar um Personen, die wohl zu viele Zweifel gegenüber einer "schrecklich komplizierten Welt" hegen und nicht fähig sind, solch apodiktische Positionen einzunehmen wie der Autor.
So drückt Böhmermann am Ende seines Beitrags den Ironie-Off-Schalter und benennt jene unumstößlichen Wahrheiten, die – um ein Bonmot des ehemaligen RKI-Präsidenten zu entlehnen – wohl "nie hinterfragt werden sollten".
• Der Verbrennungsmotor ist am Ende, Elektromobilität ist die Zukunft, China baut viel bessere E-Autos als Deutschland und daran wird sich in den nächsten zehn Jahren nichts ändern.
• Inklusive Sprache ist eine prima Idee.
• Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist in erster Linie nicht eine linkspopulistische, demokratische oder gar linke Bewegung, sondern eine autokratische.
• Öffentliches Parken von Kfz ist viel zu billig, Bußgelder für Verkehrsverstöße sind viel zu niedrig.
• 120 km/h auf der Autobahn ist schnell genug.
• Google vergesellschaften, Meta regulieren, X zur Verantwortung ziehen!
• Wer aus dem Gefühl der Abgehängtheit freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abgehängtheit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
• Kraftwärmemaschinen statt Wärmekraftmaschinen! Wärmepumpen sind spitze! Ihnen gehört die Zukunft!
• Es gibt mehr als zwei Geschlechter, unendlich viel mehr Geschlechtsidentitäten, und allen Menschen stehen, unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung (die etwas vollkommen anderes ist!), dieselben Rechte zu.
• Es heißt Schokokuss.
• Wer Alice Schwarzer hinterherläuft, hat keinen besonders anstrengenden und langen Weg mehr vor sich.
• Russland muss besiegt werden.
• Wir brauchen eine Vermögenssteuer und eine signifikante Erhöhung der Erbschaftssteuer.
• Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen. Und private Seenotrettung auch nicht.
• Einander ist alles, was wir haben.
Über die einzelnen Punkte lässt sich trefflich streiten. Das ist aber genau das Problem. Gegenrede verbietet sich, meint Böhmermann.
Das wirklich Bemerkenswerte, was hier passiert, ist allerdings Folgendes: Ein politischer Kurs, der immerhin bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Widerstand stößt, wird mit dem Fortschritt an sich gleichgesetzt. Böhmermann steht, wie er in Bezug auf RAF-Vordenker Rudi Dutschke und die an dessen Mord als mitschuldig geltende Springer-Presse schreibt, "auf der richtigen Seite der Geschichte".
Das erinnert nicht nur an die zu kurz gegriffene Begründung des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck für den Aufstieg der AfD ("Menschen, die mit der Moderne fremdeln") oder die vielen Ausflüchte, die Talk-Show-Soziologen in die Sphäre der "sozialen Ungleichheit" nehmen, wenn es eigentlich um Integrationsprobleme geht.
Jene Ungleichheit ist zweifelsohne eines unserer größten Probleme, an Messer-Attacken, Ehrenmorden und Blutrache stören sich aber nun mal nicht nur sozial – oder auch: geistig – Benachteiligte.
Der Böhmermannsche Historizismus – als die einzig gültige Weltsicht – erinnert auch an den Stoff, aus dem so manches historisches Verbrechen gewoben wurde. Das heißt: erinnert zumindest diejenigen daran, die sich noch erlauben, einen Blick auf "gestern" zu richten.
Fürsprecher des Vormundschaftsstaats
Bei der Böhmermannschen Streitschrift handelt es sich letztlich um das Glaubensbekenntnis eines Missionars. Einem von zahlreichen Vertretern eines Establishment-Dschihads, der in einer beispiellosen Selbstüberschätzung die Ungläubigen auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. So wie taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah die Polizei einmal – natürlich satirisch – auf einem Müllhaufen entsorgen wollte.
Am Deutlichsten aber kommt in Böhmermanns Einlassung das radikal-verblendete Gesellschaftsverständnis des sogenannten Vormundschaftsstaats zum Vorschein. Dieser "Nanny-State", dem der Satiriker das Wort redet, ist kein Schreckgespenst libertärer und neoliberaler Denker – mehr. Sondern hat sich in den Zeiten der "Polykrise" immer wieder in ganz konkreter Weise manifestiert.
Jener Vormundsschaftsstaat begreift alles, was nicht der Ideenlehre der regierenden Parteien entspricht, als strukturelles Problem. Wohlgemerkt ohne, dass diese dabei ihre eigenen ideologischen Prämissen in Frage stellen.
Er versucht nicht mehr, die disparaten Erfahrungen einer Gesellschaft demokratisch in Einklang zu bringen, sondern erklärt die Non-Konformen schlichtweg für "ein bisschen doof". Pech. Erreichen wir nicht mehr.
Aus der Vogelperspektive des staatlich finanzierten Elfenbeinturms müssen die "diffusen Ängste" – oder auch anderswo gerne abfällig: "Sorgen und Nöte" – der Bevölkerung auch für Böhmermann geradezu mickrig wirken. Nur folgerichtig also, diesen keine weitere Beachtung zu schenken.
Pflichten ersetzen Rechte
Die Lösungen, die dieser Vormundschaftsstaat für gesellschaftliche Probleme und Konflikte anbietet, sind notwendigerweise technokratische, kollektivistische. Und als solche grundsätzlich den individuellen Freiheiten übergeordnet.
So gewinnen Pflichten das Primat gegenüber den Rechten. Als Instrumente bieten sich zentralisierte Kontrolle und kollektive Bestrafung – oder Belohnung – an. In der Politik der Bundesinnenministerin schlägt sich diese Geisteshaltung in besonders eindrücklicher Form nieder.
Auf Straftaten, die von Teilen eines bestimmten migrantischen Milieus vermehrt begangen werden, erwägt Nancy Faesers (SPD) Ministerium mit (teilweise bereits bestehenden) Messer-Verboten zu reagieren.
Magazine, die sich der "Delegitimierung des Staats" (sprich: der Regierung) schuldig machen, werden – mutmaßlich nicht konform mit dem Recht – aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Für Staatsdiener, die im Verdacht stehen, verfassungsfeindliches Gedankengut zu teilen, soll die Beweislast umgekehrt werden.
Die Antwort auf islamistischen Terror wird in der Abschaffung der Unverletzlichkeit der Wohnung gefunden.
Die SPD macht dabei selbstverständlich keine Ausnahme. Das Reaktionsmuster zeigt sich auch in Bezug auf Straftaten im öffentlichen Raum und Überwachung bzw. Gesichtserkennung, die in den Reihen der Union starke Fürsprecher hat.
Die Bevormundung des Bürgers treibt auch in der medialen Sphäre kuriose Blüten, wenn die – selbstverständlich: satirische – heute-show ihr Stück über den gesundheitsschädlichen Alkoholkonsum der Deutschen ("Wir saufen zu viel!") durch ein Tête-à-Tête mit dem amtierenden Gesundheitsminister garniert.
Die heute-show ist nur eines von vielen Formaten, die dem im Gesundheitssektor zunehmend unbeliebten Minister hilft, sich einem breiten bzw. jungen Publikum anzubiedern.
Im Beitrag darf Karl Lauterbach (SPD) unter anderem gegen bremsende Koalitionspartner wettern, die auf die horrenden Unkosten des Gesundheitssystems durch Alkoholmissbrauch nicht mit angemessener Verhaltens(be-)steuerung reagieren.
Man darf gespannt sein, wie das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) seine Aufgabe verstehen wird, "unter Berücksichtigung von sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen" und "auf Basis valider Daten […] insbesondere gesundheitlich vulnerable Gruppen passgenau zu erreichen" und dabei "Falschinformationen" entgegenzuwirken.