Jemen: Was kann China, was der Westen nicht kann?

Oliver Eberhardt

Parade westlicher Kriegsschiffe in der Bab al-Mandeb Strait zur "Gewährleistung der maritimen Stabilität und Sicherheit". Vorne Flugzeugträger USS Harry S. Truman. Bild (2019): U.S. Navy

Wie der rostige Tanker FSO Safer fast die internationalen Lieferketten zum Zusammenbruch gebracht hätte und nichts unternommen wurde. Bis die Diplomatie aus Peking neue Wege eröffnete.

Die wenigsten Menschen in Europa werden jemals vom Bab al-Mandab gehört haben. Dabei hätte dieses enge Stückchen Meer zwischen dem Jemen und Dschibouti fast ihr Leben auf Monate, möglicherweise Jahre nachhaltig aus den Fugen gebracht.

Denn hier muss jedes iPhone, jedes Paar Sneaker, jede X-Box durch, die per Schiff aus Asien nach Europa transportiert wird: aus dem Indischen Ozean, durchs Rote Meer, in den Suezkanal und dann aufs Mittelmeer. Es sei denn natürlich, man transportiert per Flugzeug. Oder auf dem langen Weg um Südafrika herum. Was dann alles entsprechend teurer macht.

Kurz vor der Katastrophe

Jahrelang lag hier, vor der Küste des Jemen, die FSO Safer, ein vollbeladener Öltanker, der fest verankert als schwimmendes Lager genutzt wurde. Und weil im Jemen seit Jahren ein Krieg tobt, kümmerte sich lange Zeit niemand um das Schiff. Nichts wurde gewartet, nichts repariert. Zu lange.

Als vor einigen Monaten Experten der Vereinten Nationen die Lage vor Ort erstmals besichtigen durften, fanden sie einen Seelenverkäufer kurz vor dem Auseinanderbrechen vor.

Schon seit Jahren war immer wieder mal davor gewarnt worden, dass dem Roten Meer eine Ölkatastrophe drohe. Doch die Gefahr schaffte es nie auf die Prioritätenliste der internationalen Regierungen, denn irgendwas ist ja immer, irgendwer warnt immer vor irgendwas.

Bis sich im März 2021 im Suezkanal das Containerschiff MS Ever Given querlegte und erst nach Tagen freigeschleppt werden konnte – und die Lieferkette nach Europa in einem riesigen Schiffsstau vor dem Suezkanal sichtbar wurde.

Plötzlich kam etwas Fahrt in die Dinge: Bei der UN in New York traf man sich zu Konferenzen; man hörte sich erstmals die Experten an. Kam dann zu dem Schluss, dass dieses Schiff vor der Küste des Jemen weg muss.

Denn würde der Tanker Leck schlagen, ergössen sich 1,14 Millionen Barrel Öl ins Rote Meer, würde das die Lebensgrundlage für gut eineinhalb Millionen Menschen zerstören, die von der Fischerei leben. Und die Lieferketten von Asien nach Europa auf absehbare Zeit erheblich stören.

Die chinesische Regierung und der Jemen-Krieg

Doch es war letztlich die chinesische Regierung, die, über Umwege, die Dinge in Fahrt brachte. Anfang des Jahres brachte man, unter Einsatz des Versprechens von Milliarden-Investitionen dazu, sich aneinander anzunähern. Und damit nahm auch der Jemen-Krieg eine neue Wende.

Denn der ist vor allem ein Stellvertreter-Krieg: Auf der einen Seite kämpfen die Truppen der international anerkannten und von Saudi-Arabien militärisch unterstützten Regierung, die nun von einem Präsidialrat geführt wird. Auf der anderen Seite stehen die vom Iran unterstützten Houthi-Milizen, die einen Großteil des Nordens des Landes kontrollieren, darunter auch die gesamte Küste zum Bab al-Mandab.

Im Konfliktfall könnten also die iranischen Revolutionsgarden nicht nur Straße von Hormus zwischen dem Persischen Golf und dem Indischen Ozean, sondern auch das Bab al-Mandab kontrollieren. Das wurde immer wieder als subtile Drohung in den Atomverhandlungen mit dem Westen angeführt.

Die Annäherung der beiden regionalen Mächte hat zumindest zu einer Waffenruhe geführt. In der Diplomaten-Sprache ist das eine Stufe unter dem Waffenstillstand: Man erwartet nicht, dass überhaupt nicht mehr geschossen wird.

Gleichzeitig leitete man "vertrauensbildende Maßnahmen" ein: Gefangene wurden ausgetauscht. Und auf dem Flughafen der von den Houthi kontrollierten Hauptstadt Sana’a dürfen wieder einige wenige internationale Flüge landen.

Doch obwohl die Flüge viel zu teuer für die verarmte Bevölkerung sind, sind sie immer gut gefüllt. Meist sind es Experten der Vereinten Nationen, die in den Jemen fliegen. Man versuche, Kontakte zur Führung der Houthi zu knüpfen und zu vertiefen, sagt ein Mitarbeiter des Jemen-Teams bei der Uno.

Außerdem wolle man sich an eine Bestandsaufnahme machen: Wie steht es wirklich um die Infrastruktur? Was muss am Dringendsten gemacht werden?

Denn Hunger und Krieg sind die eine Sache. Mehr als 100.000 Menschen sind nach Schätzungen des Roten Halbmonds zudem an Krankheiten gestorben.

Denn jedes Mal, wenn es regnet, bricht die Kanalisation zusammen. Und da es oft keine Müllabfuhr mehr gibt, wird das Wasser für die Menschen zur tödlichen Brühe. Insgesamt sind mindestens 300.000 Menschen direkt oder indirekt durch den Krieg getötet worden.

Erstmals Zugang zur FSO Safer

Nach langem Hin und Her erhielten Experten auch erstmals Zugang zur FSO Safer. Jahrelang hatte die Führung der Houthi den Zugang verweigert, darauf bestanden, dass ihr das wertvolle Öl zusteht, während die Regierung das Gleiche für sich forderte. Und Saudi-Arabien und der Iran schauten zu.

Bis jetzt. Vor einigen Monaten war plötzlich eine simple Lösung ausgehandelt: Die Uno besorgt ein neues Schiff, pumpt das Öl um, schleppt die FSO Safer ab und lässt sie verschrotten. Was mit dem Öl passiert, das soll später entschieden werden.

Doch das Problem ist: Geld. 160 Millionen Euro werden insgesamt gebraucht. Nur 140 Millionen Euro konnten aufgetrieben werden. Und nur ein Teil davon stammt von Regierungen. Millionen wurden von Unternehmen und Privatleuten gespendet, eine Art Crowdfunding.

Immerhin reichte das Geld, um ein Schiff zu kaufen und im Juli ein Spezialunternehmen mit dem Umpumpen des Öls beginnen zu lassen. Mittlerweile ist dieser Teil der Arbeiten abgeschlossen.

Ein kleiner Hauch von Frieden

Auf dem Festland herrscht derweil ein kleiner Hauch von Frieden: Die saudischen Luftangriffe, an denen sich zeitweise auch die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligten, wurden schon vor über einem Jahr eingestellt.

Zu teuer, was Geld und Image angeht, waren die Angriffe, bei denen in einigen Fällen Hunderte auf einen Schlag getötet wurde.

Gleichzeitig wurden wiederholt Ziele in Saudi-Arabien und den Emiraten beschossen; ein gutes Zeichen dafür, dass die iranischen Revolutionsgarden die Houthi mit Waffen mit größerer Reichweite versorgten.

Das Besondere an der Waffenruhe

Das Besondere an der Waffenruhe ist: Weder die Houthi-Führung noch die Regierung wurden vorher gefragt. Die Waffenruhe handelt saudische und iranische Vertreter vor einigen Monaten direkt untereinander aus.

Der Grund dafür ist aber nicht allein das Streben Chinas in die Region.

Neben den beiden großen Konfliktparteien und einer von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützten Organisation namens "Südlicher Übergangsrat", die für eine Abspaltung des Süd-Jemen eintritt, und derzeit mit der Regierung verbündet ist (was sich immer wieder mal ändert), haben im Jemen auch Gruppen Zuflucht gefunden, die sich dem "Islamischen Staat" oder al-Qaida zurechnen.

Und einmal durch den Oman hindurch, über die Meerenge zwischen dem Persischen Golf und dem Indischen Ozean hinweg, gibt es im Iran eine Region, in der überwiegend Araber:innen leben und in der Anschläge auf Militäreinrichtungen und andere staatliche Infrastruktur sehr oft passieren. Auch hier rechnen die Behörden die Anschläge oft dem Islamischen Staat zu.

Wie groß seine Reichweite ist, zeigte sich, als 2017 mehrere Anschläge in Teheran verübt wurden. Die Befürchtung, die auf beiden Seiten geäußert wird, ist, dass sich Syrien und Irak in Saudi-Arabien und im Iran wiederholen könnten.

Im Oman wird nun versucht, zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, den Houthi und der Regierung einen Waffenstillstand auszuhandeln. Im dritten Schritt soll dann ein Friedensvertrag unterzeichnet werden.

Geld

Doch die Gespräche ziehen sich hin. Man möchte gleich alle Fragen auf einmal klären: Gesellschaft, das politische System, die Wirtschaft. Die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung müssen aufgeteilt werden. Die Gehälter von öffentlichen Bediensteten gezahlt werden. Und dabei spricht man immer über Geld, das man nicht hat.

Die Geberlaune im Westen ist gering, im vergangenen Jahr musste die UN sogar zeitweise die Versorgung der notleidenden Bevölkerung einstellen, weil nur zehn Prozent der erforderlichen Gelder zur Verfügung standen.

Der Westen

Und gleichzeitig hat man es immer wieder auch mit westlichen Regierungen zu tun, die bremsen: Ja, man will den Krieg beenden. Ja, man will so wenig wie möglich zahlen. Aber nein, man müsse auch verhindern, dass China, Russland im Nahen und Mittleren Osten weiter an Einfluss gewinnen.

Denn alle wissen, dass der Preis für dieses Engagement hoch sein könnte: Man sieht die militärischen Gebärden Chinas gegenüber Taiwan, fürchtet eine Präsenz an für den internationalen Handel wichtigen Schiffahrtswegen, an weltweit wichtigen Ressourcenlagern. Doch selbst die Rolle zu füllen, dazu kann man sich nicht durchringen.

Zumal China auch etwas anzubieten hat, was der Westen nicht erfüllen kann: Man kümmert sich nicht um Menschenrechte und autokratische Regierungen. Und ist deshalb im einschlägigen Milieu herzlich willkommen.