Joachim Gauck: Warum die Ostdeutschen zu doof für Demokratie sind
- Joachim Gauck: Warum die Ostdeutschen zu doof für Demokratie sind
- Jahrzehntelange Abwertung von "Ossis"
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Der Altpräsident zu Gast bei Markus Lanz. Thema: Rechtspopulismus und Ostdeutsche. Statt Erkenntnis gab es aufgewärmte Klischees. Warum das ein Problem ist.
Wären jetzt Wahlen, würde wohl knapp ein Fünftel der Wähler für die Alternative für Deutschland (AfD) stimmen. Das zeigt der wöchentliche Meinungstrend, der vom Institut INSA erhoben wird. Mitte Juni sind die Zustimmungswerte auf dieses Niveau gestiegen und halten sich seitdem.
In den Medien wird heftig über die Ursachen dieser Entwicklung diskutiert – und man könnte meinen, ein Tiefpunkt der Debatte folgt dem nächsten. Am Dienstag war der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast bei Markus Lanz und durfte seine Sicht der Dinge darlegen.
Doch wer eine politische Analyse erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn für Gauck ist der wachsende Zuspruch für Rechtspopulisten kein politisches, sondern ein psychologisches Problem.
In jedem Land gebe es eine bestimmte Gruppe von Menschen, die psychologisch so geprägt sei, dass sie eher nach Führung als nach Mitbestimmung suche. Diese Menschen bevorzugten ein autoritäres Lebensprinzip und sähen Freiheit als problematisch an.
Markus Lanz glaubte, diese Aussage durch eine kürzlich vorgestellte Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig bestätigt zu sehen. Auf die Kritik an der Studie ging er jedoch ebenso wenig ein wie auf das Ergebnis, dass es einen Zusammenhang zwischen rechtsextremen Einstellungen und der sozioökonomischen Lage der Menschen gibt.
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Geschenkt, könnte man meinen. Doch Joachim Gauck ging zu dem über, was er in den Augen vieler Ostdeutscher am besten zu können scheint: Ossi-Schelte. Natürlich gebe es auch im Westen Anhänger des Nationalpopulismus. Aber im Osten gebe es eine "sehr starke Bindung an autoritäre Führung".
Kann Gauck den Rechtspopulismus in Europa erklären
Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen seien keine Konstrukte, sondern statistisch so gut belegt, dass es töricht sei, daran zu zweifeln. Letztlich sei aber die DDR für das Wahlverhalten der Ostdeutschen verantwortlich. "Lange politische Ohnmacht bleibt nicht ohne Folgen", so Gaucks Fazit.
Ein Blick ins europäische Ausland widerlegt Gaucks Thesen. In zahlreichen demokratischen Staaten, die nicht wie die DDR 44 Jahre "zusätzliche Diktatur" erleiden mussten, sind Rechtspopulisten fester Bestandteil des demokratischen Parteienspektrums und keine Randerscheinung.
Ministerpräsidentin Italiens ist etwa die Postfaschistin Giorgia Meloni. In Frankreich steht die Rechtspopulistin Marine Le Pen kurz vor dem Einzug in den Élysée-Palast. In Österreich ist die FPÖ seit Jahrzehnten keine Randerscheinung mehr. In Finnland hat ein rechtspopulistisches Parteienbündnis die Regierung übernommen.
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Klischees über Ostdeutsche
Was Gauck in der Sendung von Markus Lanz vortrug, sind Klischees, die es seit der sogenannten Wiedervereinigung gibt. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk schrieb in seinem Buch "Die Übernahme" dazu:
Der Westler gilt als durchsetzungs- und meinungsstark, freiheitsliebend, forsch, laut, arrogant, auf seinen Vorteil bedacht, weltläufig, mehr Schein als Sein. Daher auch der Witz, warum die Westler 13 Jahre für Abitur benötigen, ein Jahr mehr als im Osten: weil ein Jahr Schauspielunterricht notwendig sei. Der Ostler hingegen ist zurückhaltend, geht im Kollektiv auf, jammert, meckert, hat keine eigene Meinung, hat mehr Sein, als er Schein verbreitet.
Und diese Klischees kamen nicht von der Straße, so Kowalczuk, sondern wurden von Medien, Politik, Kultur und vielen einflussreichen Einzelstimmen gefördert, verbreitet, produziert.
Zu den Stimmen, die sich in den 1990er-Jahren um die Abwertung der Ostdeutschen und ihrer Lebensleistungen verdient gemacht haben, gehört der umstrittene Historiker Arnulf Baring.
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