Joe Biden: "Dark Brandon Rising"

Seite 2: "Ein Aufruf zum Bürgerkrieg"

Und so hielt der amtierende Präsident am ersten September eine Rede in Philadelphia, in der er die "MAGA-Republikaner" direkt für ihre Vergehen gegen die Demokratie anprangerte, und ihnen vorwarf, die Uhr sozialen und politischen Fortschritts zurückdrehen zu wollen, wobei er Trump sogar namentlich nannte. Alles altbekannte Wahrheiten, wenn auch mit einer für den alten Herrn etwas ungewöhnlichen Intensität vorgetragen.

Was allerdings die Entscheidung angeht, diese Rede vor einem blutroten Hintergrund und flankiert von Marinesoldaten zu halten, so lassen sich die Bewegründe seines PR-Teams nur erahnen. Falls es darum ging, die politischen Gegner Bidens durch die "Dark Brandon"-Ästhetik zu verärgern, ist dies definitiv gelungen.

Für Tucker Carlson (Fox News) war die Rede geradezu ein Aufruf zum Bürgerkrieg. Der Fox News- Anchor behauptete, für Biden "sei die größte Gefahr für die US-amerikanische Demokratie nicht mehr Putin, der historisch böseste Mensch, sondern MAGA-Wähler".

Witzig dabei ist, dass Tucker Carlsons Version von Biden recht hat: Die MAGA-Bewegung ist zweifellos eine größere Bedrohung für die US-Demokratie, als es Putin je sein könnte.

Weiterhin behauptete Carlson, Biden plane den gesamten Staatsapparat zu nutzen, um Trump-Anhänger zu kriminalisieren und so unschädlich zu machen. Damit sei die USA auf dem besten Weg, sich in einen Ein-Partei-Staat nach chinesischem Vorbild zu verwandeln.

Laut Fox News zeigt "Dark Brandon" also endlich sein wahres Gesicht, und eine "Säuberungskampagne" durch seine "Antifa-Schocktruppen" steht kurz bevor, während die Liberalen sich der Vorstellung hingeben, Biden sei so etwas wie ein starker Verteidiger der Demokratie.

Wenn der "Rise of Dark Brandon" eines bewiesen hat, dann, dass sich die Grenzen zwischen on- und offline im politischen Diskurs in den USA weitgehend aufgelöst haben.

Klar – wenn ein rechtes Meme demokratischen Beratern im Weißen Haus Hilfe im Wahlkampf liefert, kann das unterhaltsam sein, weist aber auch auf eine tragischere Tatsache hin. Kandidat*innen in US-Wahlen benötigen keine Parteiprogramme oder Reformvorschläge mehr, um ihre Wählerschaft zu überzeugen.

Es reicht völlig aus, als Akteur im "Kulturkampf" wahrgenommen zu werden. Und da Kulturkämpfe bekanntlich keine Sieger haben, besonders nicht in einem so gespaltenen Land wie den USA, gilt es als politischer Erfolg, die Gegenseite in den Wahnsinn zu treiben, genauer gesagt zu "triggern".

Denn wer kaum noch Hoffnung trägt, die eigene oder gesellschaftliche sozioökonomische Situation durch demokratische Teilhabe am bestehenden politischen System verbessern zu können, dem bleibt nur der Wunsch, seinen angeblichen politischen Gegnern möge es noch schlechter ergehen.

Trump wurde auf dieser Plattform gewählt. Vielleicht gelingt dies auch Biden, doch die US-Bevölkerung hat von dieser Art der Politik wenig – außer etwas Unterhaltung.