Joshua Kimmich und der fehlende Piks
Über das Ende der Privatheit, den Druck der Wohlanständigen und blinde Flecken in einer Impfdebatte, die keine ist. Eine Polemik
Der arme Joshua Kimmich! Er sieht in der Regel kerngesund und putzmunter aus in seinem schicken Fußballdress. Ich bin kein Fan, das vorweg. Als ich dieser Tage aber die Achtuhrnachrichten geschaut habe – und an diesem Tag ob der ständigen Impfwerbung gesättigt war –, überkam mich das unwiderstehliche Gefühl, Kimmich für den Offensivverteidiger des freiheitlichen Individuums schlechthin zu halten.
Ist Impfen noch Privatsache? Die Doppelzüngigkeit in der Beantwortung dieser Frage ist inzwischen unübersehbar: "Natürlich ist es Privatsache, ob jemand sich impfen lässt oder nicht", heißt es gemeinhin, gefolgt von einem "aber ..."
Diese bigotte Art Übergriffigkeit wird gesellschaftsfähig und von der Mehrheit der Medien befördert. Man wird, schlimmer noch, den Eindruck nicht los, es gehe um die Gängelung des öffentlichen Bewusstseins, die Verharmlosung jeglicher Einwände, die Diskreditierung der eigenen Entscheidung, die schwarzbraune Ideologie eines gesunden Volkskörpers, kurz: die Relativierung und schleichende Annihilation von Freiheit im Namen von Wohlanständigkeit.
Das gehört jetzt mal auf die Tagesordnung.
Gespenstisches Amalgam
Hinter dieser Entwicklung steht eine aus dem Lot geratene Moral, ein gespenstisches Amalgam aus Massenpsychologie und Autoritarismus. Ein Fortschrittsalbtraum, bei dem Gesundheit längst eine Ware ist, bei der es nur an der Oberfläche um das Wohlergehen des Einzelnen geht.
Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, sagte es sei "wünschenswert", wenn Kimmich sich nochmal beraten lasse und "sich dann auch zur Impfung entscheidet. Das ist nicht nur für ihn selbst eine gute Sache, sondern auch für seine Mannschaft, seinen Verein und letztlich für uns alle".
Aus dem gutgemeinten Rat spricht die offiziöse Haltung. Die bringt Regierungssprecher Seibert auf den Punkt: Der Fußballer habe eine "Vorbildfunktion". Nochmal: der Regierungssprecher, Herr über fast 500 Mitarbeiter im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung!
Immunologe Carsten Watzl beruhigt im ARD-Morgenmagazin als Experte: "Die Nebenwirkungen der Impfung treten immer direkt nach der Impfung auf, innerhalb von wenigen Wochen."
Der Subtext lautet: Joshua Kimmich fantasiert, wenn er über Spätfolgen nachdenkt. Während man über die Berechtigung der Zweifel diskutieren kann, bleibt doch ein Fakt: Wir erleben Staatsmoral in Aktion. Nachrichten, Dossiers, Expertisen, zitierfähige Sätze werden produziert und infiltrieren die öffentliche Wahrnehmung. Die Medien stehen mehrheitlich als Verstärker am Drücker.
"Rote-Hand-Briefe": Vernachlässigte Risiken
Fest steht auch: Noch nie wurden Impfstoffe so schnell entwickelt wie die Corona-Vakzine. Viele sorgen sich um mögliche Folgen. Der 26-jährige Kimmich schürt mit seinem Unbehagen daher auch eine notwendige Debatte. Die betrifft aus gutem Grund auch die Situation der Jüngeren.
Gleich mehrere Länder haben eine Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff für Jüngere aufgrund des höheren Risikos für Herzmuskelentzündungen ausgesetzt. In Schweden und Finnland wird der mRNA-Impfstoff speziell an Männer unter 30 nicht mehr verimpft. In Island werden die Vakzine Biontech-Konkurrent Moderna nicht mehr eingesetzt.
Laut der New York Times gibt es in Großbritannien und Norwegen ebenfalls Überlegungen, auch Biontech für Jugendliche nur eingeschränkt zu verabreichen. In einem gemeinsamen "Rote-Hand-Brief" informiert die Firma gemeinsam mit dem Hersteller Moderna über die Möglichkeit, an einer Myokarditis zu erkranken.
Eine jüngere Studie aus den USA führt aus, dass das Risiko für eine Herzmuskelentzündung nach einer Corona-Impfung für Jungen in der Altersgruppe zwischen zwölf und 17 höher ist als für Mädchen.
Weitere Rote-Hand-Briefe finden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung, so auch der Brief der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vom 13. Oktober 2021 zum Covid-19-Vakzin Janssen. Thema ist hier das Risiko für das Auftreten von Immunthrombozytopenie (ITP) und venöser Thromboembolie (VTE)
Von möglichen späteren Folgen und Obduktionen
Paul-Ehrlich-Instituts-Sprecherin Susanne Stöcker sagte dazu in der ZDF-Nachrichtensendung heute: "Langzeitnebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt." Bei den mRNA-Vakzinen seien sie ebenfalls nicht zu befürchten, denn auch ihre Bestandteile würden im Körper schnell nach der Impfung abgebaut.
Daten deuteten darauf hin, dass die mRNA nach etwa 50 Stunden im Körper nicht mehr nachweisbar sei, so Stöcker.
Erst auf den zweiten Blick findet man in der Fachpresse Hinweise auf eine Debatte über mögliche Impfrisiken, die bei Interventionen wie denen von Stöcker, Watzl und Buyx unerwähnt bleiben.
Da ist etwa die Forderung des Heidelberger Pathologen Professor Peter Schirmacher, der, wie das Deutsche Ärzteblatt auf Basis einer dpa-Meldung berichtete, vehement auf mehr Obduktionen drängt. Von den meisten Patienten, die nach und möglicherweise an einer Impfung sterben, bekämen die Pathologen gar nichts mit, so Schirmacher.
Das Paul-Ehrlich-Institut schließt indes aus, dass Injektionen durch Anti-Corona-Vakzine zum Tod führen. Auch der Immunologe Christian Bogdan von der Uniklinik Erlangen sieht keinen Grund für die Annahme einer hohen Dunkelziffer von Impfkomplikationen oder gar Todesfällen. In den vergangenen Monaten habe sich das Surveillance-System bewährt, argumentiert er mit Verweis auf die Erfassung seltener Hirnvenenthrombosen nach einer Impfung mit Astrazeneca.
Die offizielle Melderate des Paul-Ehrlich-Instituts betrug für alle Impfungen mit Covid-19-Impfstoffen 1,6 Verdachtsfälle pro 1.000 Impfdosen, für schwerwiegende Fälle betrug sie 0,2 Verdachtsfälle (aufgerundet) pro 1.000 Impfdosen. Die Angaben beziehen sich auf den Zeitraum vom 27.12.2020 bis zum 30.09.2021 in Deutschland.
Neue Wirkprinzipien, Mangel an Daten
Indes werfen die sogenannten Phase-III-Studien der derzeitig gängigen Covid-19-Impfstoffe, die nur zu bedingten Zulassung durch nationale und internationale Behörden geführt haben, weiter Fragen auf. Dies betrifft neben nicht deklarierten Inhalten auch weiterhin Effizienz und Effektivität der Vakzine.
In Deutschland sind über 100 Millionen und weltweit über sechs Milliarden Dosen an Corona-Impfstoffen verabreicht worden. Weiter werden diese Impfstoffe Millionen von Menschen auf der ganzen Welt im Rahmen beschleunigter Genehmigungen (Emergency Use Authorization, EUA) verabreicht.
Der Pharmakologe Peter Doshi plädiert energisch für die Erhebung von mehr Daten. Doshi ist Mitherausgeber des British Medical Journal und Professor an der University of Maryland School of Pharmacy. Sein Spezialgebiet ist die "Pharmazeutische Versorgungsforschung", also die Erforschung der Medikamentenzulassung.
60 Prozent der in Entwicklung befindlichen Impfstoffe, schrieb Doshi in einem Beitrag bereits vor einem Jahr, basierten auf neuen Wirkprinzipien, die noch wenig erprobt sind. Es handele sich um genetische Vakzine.
Dennoch: Sicherheitsbedenken werden von Anfang an weggewischt mit der stereotypen Behauptung, der Nutzen sei "erwiesenermaßen" größer als der Schaden bei einer Covid-19-Erkrankung
2020 hatte Doshi Gelegenheit, die erst nach öffentlichem Druck freigegebenen Studienprotokolle der Pharmakonzerne zu den Stoffen durchzusehen. Seine Schlussfolgerung:
Keine der Impfstudien ist so angelegt, dass sie eine signifikante Verringerung der Krankenhauseinweisungen, der Aufnahmen in die Intensivstation oder der Todesfälle entdecken kann.
Pharmakologe Peter Doshi
In einem Beitrag für das British Medical Journal schrieb Doshi am 18. Mai 2021:
An die Geimpften verteilte Merkblätter sind eindeutig: "Es gibt keinen von der FDA zugelassenen Impfstoff, um Covid-19 zu verhindern".
Pharmakologe Peter Doshi
Seit August gibt es eine Vollzulassung für Comirnaty: Als erster Covid-19-Impfstoff in den USA wurde das Vakzin von Biontech und Pfizer hochgestuft. Auch für Moderna läuft ein Antrag auf vollständige Zulassung, Johnson & Johnson will einen solchen Antrag bei der FDA noch in diesem Jahr stellen. In der EU hat Comirnaty bislang eine "bedingte Marktzulassung", praktisch bereits eine Stufe über der "Notfallzulassung".
Die reguläre Vollzulassung der FDA lässt die kardialen Nebenwirkungen vorwiegend bei Männern unter 40 nicht unerwähnt und stellt fest, es lägen noch keine Informationen über mögliche langfristige gesundheitliche Folgen vor.
Medien propagieren Alternativlosigkeit
Nach diesem Exkurs in die Expertendebatte zurück in die Deutsche Bundesliga und zum Fall Kimmich: Der Fußball steht im Zentrum des öffentlichen Interesses, das Medienspektakel folgt "nur" dem Imperativ der Aufmerksamkeit. Und, klar, Joshua Kimmich gehört zum kameratauglichen Personal.
Nur folgt der Nationalspieler des FC Bayern bislang nicht der öffentlichen Devise. So wird er für die einen zum Antihelden, für andere, die AfD vorweg, zum Heros.
Die Kritik an Kimmich war und ist massiv. Doch der Gescholtene bekräftigte seine Haltung. So haben die vergangenen Tage dem Fall Kimmich ein weiteres Beispiel für Ächtung und Ausgrenzung von Dissens in einer Impfdebatte gebracht, die keine ist.
"Der Journalismus ist (…) die alltägliche Propaganda zwischen den Wahlen, durch die das Bewusstsein der Bürger in einem Zustand der stillschweigenden Billigung gehalten wird", schrieb Upton Sinclair in einer kritischen Reportage über den US-amerikanischen Journalismus 1919 (deutsch 1921).
Spätestens seit dem Medienrummel um Joshua Kimmich mittendrin im Spiel: die Bundesliga als Identitätsanker, als Lieferant von Vorbildern und Idolen, als Testfeld für Werte.
Der Profifußball weiß um die Mechanismen des Marktes – und des Mediensystems. Derzeit halten die Granden dem Topspieler Kimmich noch die Stange. Der Druck aber bleibt hoch.
Notfallzulassung / Bedingte Marktzulassung
Die Notfallzulassung unterscheidet sich von einer bedingten Marktzulassung. Bei den Corona-Impfstoffen, für die eine Zulassung bei der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA = Europäische Arzneimittel-Agentur) beantragt wurde, handelt es sich nicht um eine Notfall-, sondern um eine bedingte Zulassung (Conditional Marketing Authorisation, CMA).
In dringlichen Situationen, wie bei der Corona-Pandemie, ist das Verfahren für die bedingte Marktzulassung so konzipiert, dass Marktzulassungen so schnell wie möglich erteilt werden können. Voraussetzung ist, dass ausreichende Daten vorliegen. Den Impfstoffentwicklern ermöglicht das Verfahren, zusätzliche Daten auch nach der Zulassung vorzulegen (im Gegensatz zu einer normalen Marktzulassung, bei der alle Daten vor der Zulassung vorgelegt werden).
Der Nutzen des Impfstoffs soll die Risiken überwiegen. Das sollen die Daten aber zeigen.
Bei einer Notfallzulassung bleibt das Arzneimittel unlizenziert und kann im Gegensatz zu einer (bedingten) Marktzulassung nicht in Verkehr gebracht werden. Notfallzulassungen sind nach den EU-Vorschriften möglich, jedoch ist die Verwendung eines Impfstoffs, für den ein Mitgliedstaat eine solche Zulassung erteilt hat, auf den zulassenden Mitgliedstaat, und zwar ausschließlich unter seiner Verantwortung beschränkt.
Einige Drittländer wenden ähnliche Verfahren an, um den vorübergehenden Einsatz von COVID-19-Impfstoffen in Notfällen vor der Zulassung zu gestatten.
Angesichts der Dringlichkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie nutzt die EMA Schnellverfahren für die Überprüfung der Impfstoffe. Im Rahmen der fortlaufend nötigen Überprüfungen wurde eine spezielle Expertengruppe, die COVID-19-Pandemie-Taskforce der EMA, eingerichtet.
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