Journalismus im Dienst der Arbeitgeber: Wie Medien die Arbeitszeitdebatte verzerren
Können wir uns den pünktlichen Feierabend noch leisten?
(Bild: Quality Stock Arts / Shutterstock.com)
Medien stellen Pläne zur Lockerung des Arbeitszeitgesetzes einseitig dar. Eine kritische Betrachtung der Folgen für Arbeitnehmer fehlt oft.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) fordert von den Beschäftigten hierzulande "wieder mehr und vor allem effizienter" zu arbeiten. Dabei spielt die Änderung des Arbeitszeitgesetzes eine große Rolle.
"Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit", heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Diese Pläne werden in vielen Medien positiv präsentiert. Auch Umfragen werden passend zitiert. "Mehrheit will Abschaffung des Acht-Stunden-Tages", meldet Welt Online.
Umfragen zur Arbeitszeitreform: Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse?
Die Schlagzeile verwundert beim Blick auf die Zahlen. Das zeigt eine YouGov-Umfrage für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) zu den Plänen, eine wöchentliche, statt täglicher Höchstarbeitszeit einzuführen: Jeder fünfte lehnt dies ab, 37 Prozent sehen das Thema neutral. Und nur 38 Prozent der Befragten sind dafür – das scheint Journalisten auszureichen, um von "Mehrheit" zu sprechen. Die Umfrage mit mehr als 2.000 Teilnehmenden.
"Mehrheit bevorzugt Viertagewoche", berichtet haufe.de von dieser Befragung. 37 Prozent der Befragten würden lieber jeweils zehn Stunden an vier Tagen arbeiten, wird gemeldet, ohne darauf hinzuweisen, dass dies nach jetziger Gesetzeslage bereits möglich ist. Warum Arbeitgeber dies verweigern und warum sie nach einem Bundestagsbeschluss dies ermöglichen würden, wird nicht gefragt.
Anhänger einer Wochenarbeitszeit begründen ihre Zustimmung überwiegend damit, dass Arbeitnehmer so flexibler seien – etwa weil sie ein verlängertes Wochenende haben könnten (82 Prozent). Dass dies mit dem jetzigen Arbeitszeitgesetz bereits möglich ist, bleibt offen.
Hintergründe werden kaum dargestellt, die Koalitionspläne positiv zu begleiten, scheint oberste Maxime dieser Pressevertreter zu sein. Denn die Richtlinie der EU zur Arbeitszeit (Richtlinie 2003/88/EG) wurde im November 2003 verabschiedet. Seitdem fordern Unternehmen, die jetzige Höchstarbeitszeit von zehn Stunden abzuschaffen. Eine Umstellung von täglicher auf wöchentlichen Bezug scheint für die Lobbyisten seitdem ein erstrebenswertes Ziel, auch hierzulande.
"Die EU-Arbeitszeitrichtlinie hingegen regelt keine tägliche Höchstarbeitszeit. Sie begrenzt lediglich die wöchentliche Arbeitszeit auf im Durchschnitt 48 Stunden", erklärt der Unternehmerverband UBW-Unternehmer Baden-Württemberg ganz offen und macht deutlich, warum Merz diese Veränderung vorantreiben will.
Realität im Betrieb: Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz
Das heißt: Die durchschnittliche Arbeitszeit darf in der Woche 48 Stunden nicht überschreiten. Eine Verbindung der Regierungspläne mit der Idee einer 4-Tage-Woche wäre in diesem Sinne nur logisch, wenn dabei zwölf Stunden jeden Tag zu leisten sind. Nach diesen Optionen wurde in der YouGov-Umfrage nicht gefragt.
Gerade bei der Arbeitszeit zeigt sich, dass Gesetzestexte nicht automatisch eingehalten werden. Bereits heute kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden. Wer mit Betriebsräten spricht, zu deren Aufgabe auch die Prüfung von Arbeitszeiten zählt, erfährt von häufigen Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz.
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Die 10-Stunden-Arbeitszeit wird bereits heute oft überschritten, Unternehmen gehen das Risiko des Gesetzesverstoßes bewusst ein. Dass die Überarbeitung durch längere Arbeitszeiten zunehmen wird, wenn nicht einmal mehr täglich geprüft wird, ist deshalb für jeden offensichtlich, der die betriebliche Situation beobachtet.
"Geht es nach Friedrich Merz, sollen die Deutschen härter arbeiten. Eine Statistik gibt ihm recht", meldet die Wirtschaftswoche.
Deutschland im internationalen Vergleich: Arbeiten wir zu wenig?
Eine Erhebung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln vergleicht die durchschnittlichen Arbeitszeiten der OECD-Länder:
Im Jahr 2023 arbeiteten Deutsche im Schnitt 1036 Stunden. In einem Vergleich unter 27 OECD- Staaten lag die Bundesrepublik im Berichtsjahr auf dem drittletzten Platz. Nur die Franzosen und Belgier haben weniger Arbeitsstunden geleistet. An der Spitze steht Neuseeland mit durchschnittlich 1402 Stunden pro Jahr – 366 Stunden mehr als die Deutschen.
Wie produktiv gearbeitet wird in diesen langen Arbeitszeiten, wird nicht recherchiert. Dabei sagt Anwesenheit im Betrieb nichts über die Arbeit aus. Es gibt viele Tätigkeiten, die als "Bullshit Jobs" bezeichnet werden können. Bekannt wurde der Begriff durch das gleichnamige Buch des US-Philosophen David Graeber. Seine Beobachtung: In Unternehmen entstehen oft neue und überflüssige Strukturen. Diese leisten keinen wirklichen Beitrag, sorgen aber für mehr Bürokratie.
"Es fehlt oft an wirklicher Innovation, um sinnvolle Positionen zu schaffen. Stattdessen werden zunehmend sinnfreie Aufgaben verteilt und Stellen ausgeschrieben, um diese zu erledigen", bemängelt karrierebibel.de.
Viele Beschäftigte klagen über eine "Meeting-Kultur", bei der häufige Besprechungen – auch online – an der Tagesordnung sind und als Zeitfresser angesehen werden.
Innovative Arbeitszeitmodelle: 5-Stunden-Tag bei vollem Lohn
Dass es anders geht, zeigt die Firma Rheingans. Bei der Unternehmensberatung in Bielefeld dauert der Arbeitstag nur noch fünf Stunden. Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich erfolgt auf Initiative des Firmengründers Lasse Rheingans: "Niemand kann sich acht Stunden ohne Unterbrechung konzentrieren". Vielmehr setzt der Betrieb auf eine andere Besprechungskultur und versucht, mit Arbeitszeitressourcen sparsam umzugehen. Davon profitieren in diesem Fall auch die Arbeiter.
Bereits vor Jahren sprach der ehemalige IG Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler von der "digitalen Verteilungsfrage": Wer soll von Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung profitieren? Um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können, ist Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine passende Antwort. Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit.
All das liegt der neuen CDU-SPD-Regierung fern. "Wir alle müssen aufpassen, dass wir vor lauter Work-Life-Balance nicht die Arbeit aus dem Blick verlieren", klärt Kanzleramtsminister Thorsten Frei auf. Er macht deutlich, dass die Medienkampagne verschleiern soll, dass der ehemalige Blackrock-Manager Merz Neuregelungen bei der Arbeitszeit nur im Interesse der Konzerne vorantreibt.