Journalismus und Mediendämmerung

Seite 2: Kriegslehren für „ein- und ausgebettete“ Journalisten

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Diese wohl unbehebbare Schwäche journalistischer Weltkonstruktionen führt dazu, dass die vormalige Macht der ach so freien Presse, Politiker oder ganze Regierungen in Zugzwang zu setzen, erheblich geschwächt ist – und das, obwohl doch gerade die technischen Möglichkeiten, die neuen Speicherherrlichkeiten und Geschwindigkeitsgewinne in Echtzeit so gefeiert werden.

Die Aufdeckung der Unwahrheiten, die den Irak-Krieg forcierten, und die rüde Folterpraxis haben der Bush-Regierung nicht entscheidend geschadet. Es kam zu ihrer Wiederwahl, obwohl zahlreiche Ankläger Regierung und Präsidenten als Lügner bezeichneten. Regierungen, die sich über Medienkriegslehren definieren, haben zudem längst ihre eigenen PR-Instrumente, deren Propagandismus längst nicht mehr durch die Informationsethik der Medien oder den vormals so gefeierten Enthüllungsjournalismus demontiert wird, zumal selbst Bob Woodward, seit Watergate die Ikone journalistischer Macht und Herrlichkeit schlechthin, nun selbst in die Schusslinie geriet und als „bestechlicher Unbestechlicher“ geoutet wurde.

Die mehrfach durch historische Erfahrungen gewitzte Propaganda staatlicher Agenturen hat sich von der Dampfhammer-Rhetorik der frühen Massengesellschaften, die von den Faschisten so ungehemmt eingesetzt werden konnte, längst weit entfernt. Vernebelung, Vertuschung und „brutalstmögliches“ Aussitzen sind viel schwerer zu kontern, zumal wenn das flüchtige Publikum seine Aufmerksamkeit abzieht und etwa die Wahrheit über den Irak-Krieg auch nur eine Nachricht von vielen ist.

Die Offenbarungserklärung des Journalismus bleibt aber der Fall des Journalisten Jayson Blair, eines Reporter der New York Times, der jahrelang aufregende Reportagen von den Brennpunkten der Welt in unmittelbarer Tuchfühlung mit den Ereignissen schrieb und doch nur einsam in seinem Apartment in Brooklyn saß, um sich an seiner Fantasie und allgemein zugänglichen Informationen zu berauschen (Der Fake-Journalismus). Dabei war der eigentliche Skandal nicht einmal der, die angesehene New York Times in die Krise zu stürzen, weil ihre Reputation auf erstklassig recherchiertem Qualitätsjournalismus gründet.

Der Professor für Journalistik Richard C. Wald vermeldete, dass die Opfer dieser frei über den Fakten schwebenden „Recherchen“ erst gar nicht darauf gedrängt hätten, die Stories aus dem Nebelwald aufzudecken. Für Wald wurde klar, dass das Publikum selbst wenig um die Wahrheit gab, weil es den Fakes mehr oder minder gleich-gültig gegenüberstand. Das ist weniger eine Glaubwürdigkeitskrise als das untrügliche Zeichen, dass Informationen dieser Art horrend an öffentlicher Wertschätzung verlieren. Gut recherchierte Informationen sind längst nicht mehr der Betriebsstoff einer aufgeklärten Demokratie, sondern die mit geringem Publikumsinteresse goutierten Versatzstücke eines um sich selbst rotierenden Nachrichtenapparats.

Diese wenig verheißungsvollen Aussichten verdanken sich also nicht lediglich der Perfidie einer falsch verstandenen Aufklärung der Herrschaft über sich selbst, die dem Wähler zuvor die Gnade des Rücktritts erwies, wenn sie sich diskreditiert hatte, sondern dem fundamentalen Irrtum über die sinnstiftenden, demokratischen und rationalen Möglichkeiten der Medienmacher. Teil der vormals so genannten selbstläufigen „Bewusstseinsindustrie“ zu sein, die ihren eigenen Wirrungen und Irrungen erliegt, könnte weniger eine Wahl sein als journalistisches Schicksal, so wenig man es wahrhaben möchte. Noch einmal die FAZ:

Die Redaktion lehnt Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer, sozialer oder gesellschaftlicher Ziele ab.

Dass sich das ernsthaft als Teil eines redaktionellen Kodexes ausgeben will, ohne über die eigene Trivialität zu erschrecken, bleibt ein Geheimnis. Behindern diese Unterscheidungen von der Art des Wissens, dass Regen von oben kommt, die Gewalt als altes wie neues probates Mittel der Politik oder sind es vornehmlich Zeugnisse der eigenen Machtlosigkeit, die so expliziten Gewaltverzicht besonders plausibel machen?