Journalisten als politische Lobbyisten?
Journalismusforscher Uwe Krüger zum Rechtsstreit zwischen der Zeit-Redaktion und der ZDF-Satiresendung "Die Anstalt"
Zwei ZDF-Kabarettisten ziehen eine Reihe von Außenpolitik-Journalisten durch den Kakao, zeigen Verbindungen zu transatlantischen Lobby-Organisationen auf und enden mit dem Satz: "Aber dann sind ja alle diese Zeitungen nur so etwas wie die Lokalausgaben der Nato-Pressestelle!" - "Das haben jetzt Sie gesagt. Aber Sie haben es schön gesagt."
Starker Tobak - zu starker für manchen der Angegriffenen. Während Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung, Günter Nonnenmacher und Klaus-Dieter Frankenberger von der FAZ und Kai Diekmann von der Bild-Zeitung stillhielten, rückten Josef Joffe und Jochen Bittner von der eigentlich liberalen Wochenzeitung Die Zeit mit juristischem Geschütz an und ließen die Kabarett-Nummer per Gerichtsbeschluss aus der ZDF-Mediathek entfernen (Journalisten-Kritik muss aus dem Netz). Da das ZDF Widerspruch eingelegt hat, wird vor dem Landgericht Hamburg am 19. September dazu öffentlich verhandelt. Welche Argumente führen die Zeit-Journalisten ins Feld? Und was ist dazu zu sagen aus der Perspektive des Verfassers jener Journalismus-Studie (Journalismusforschung:"Ganz auf Linie mit den Eliten"), die die Kabarettisten zu der Nummer inspiriert hatte?
Jochen Bittner: Ein "offenes Ideenpapier"?
Zunächst zu den Einwänden von Zeit-Redakteur Jochen Bittner. "Die Anstalt" hatte dessen Teilnahme an einem Projekt des German Marshall Fund of the United States (GMF) und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aufgespießt (auf Grundlage des Telepolis-Artikels Chaos bei Zeit Online: Mal gilt der Ethik-Kodex, mal gilt er nicht) und dies in Zusammenhang mit der Rede von Joachim Gauck auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz gebracht. Denn beide, das Projekt und die Rede, behandelten ein ähnliches Thema: Deutschlands Verantwortung in der Welt und die Notwendigkeit, schneller und entschiedener in Krisen einzugreifen, notfalls auch mit Militär.
Dem Branchendienst meedia.de sagte Bittner nun: "Weder bin ich Mitglied der Atlantikbrücke, des GMF oder einer ähnlichen Institution noch bin ich nebenbei als Redenschreiber für den Bundespräsidenten tätig." Richtig sei, dass er 2013 an einer Diskussionsrunde teilgenommen habe, die von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem GMF organisiert wurde. Das Ziel der Gruppe aus rund 50 Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien, sei es gewesen, ein "offenes Ideenpapier" zur künftigen deutschen Sicherheitspolitik zu erarbeiten. "Ziel der Gruppe war es nicht, die Rede von Bundespräsident Gauck in München vorzubereiten", so Bittner.
Klare Übertretung der journalistischen Berufsrolle
Was ist dazu zu sagen? Bittner hat mehrere Monate lang zusammen mit anderen Akteuren Politikplanung betrieben, und zwar im Auftrag von zwei Think Tanks - der eine davon dezidiert transatlantisch, der andere nah dran an der Bundesregierung. Diese Arbeitsgruppe wird nicht ohne Plan und Absicht von den Organisatoren zusammengestellt worden, ich sehe zum Beispiel keine Vertreter der Friedensbewegung in der Teilnehmerliste (S. 47-48 des Abschlusspapiers).
Man wird Leute zusammengeholt haben, die einen gewissen Grundkonsens teilen, der nicht so weit weg ist von den politischen Zielen des German Marshall Fund. (Zur Erinnerung: Es liegt im Interesse der USA, dass sich Deutschland stärker militärisch an Nato-Missionen beteiligt, um die USA und andere Bündnispartner zu entlasten.) Ich sehe diese Arbeitsgruppe in einem Kontext von Lobbyarbeit, um der überwiegend militärskeptischen Bevölkerung eine militärlastigere deutsche Außenpolitik als sinnvoll zu verkaufen. Und ich sehe bei Jochen Bittner eine klare Übertretung der der journalistischen Berufsrolle, lediglich Beobachter zu sein - zumal er darüber dann auch noch in der Zeit wohlwollend über das Projekt geschrieben hat, ohne seine Mitarbeit zu erwähnen (online ist dies inzwischen aufgrund des öffentlichen Drucks nachgeholt worden).
Bittner wehrt sich gegen die Behauptung, Redenschreiber von Gauck gewesen zu sein (wörtlich hieß es in der Sendung: "Er wird doch wohl den Anstand besessen haben, sein Schreiben für Gauck zu trennen von seinem Schreiben für die Zeit?" - "Das wär' schön.").
Er war zwar nicht der Redenschreiber. Er hat aber im Auftrag des German Marshall Fund und zusammen mit dessen ehemaligem Direktor Thomas Kleine-Brockhoff - der übrigens auch mal Zeit-Redakteur war - an diesem Papier zur neuen deutschen Außenpolitik gearbeitet, während derselbe Thomas Kleine-Brockhoff in demselben Sinn und Geist die Münchner Rede für Gauck geschrieben hat.
"Third-Party-Technique" heißt dieser Lobbyisten-Kniff in der Fachsprache: Wenn mehrere scheinbar voneinander unabhängige Quellen dasselbe sagen, wirkt das überzeugender auf das Publikum. Ich meine: Satire darf diesen Sachverhalt so verkürzen. Sie darf zuspitzen, ja sie soll es sogar, um die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu entstellen.
"Herabsetzende Unterstellung"
Nun zu Josef Joffes Argumenten, die er meedia.de zukommen ließ.
Es hieß, ich sei Mitglied oder Kuratoriumsmitglied in einer großen Zahl von Institutionen, die sich zur "Lobby" (…) formiert hätten und "nur eine Antwort" kennten: "mehr Rüstung". Diese Unterstellung war herabsetzend, weil sie mir journalistische Integrität absprach. Sie war auch falsch. Tatsächlich sitze ich im Gremium von nur zweien: der American Academy in Berlin und des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS), das zur Johns Hopkins Universität gehört. Mit den anderen verbindet mich keine Mitgliedschaft.
Josef Joffe
Er betont auch, die beiden Institutionen förderten "wissenschaftlichen Austausch und Forschung".
Was ist dazu zu sagen? Aus der jüngeren Vergangenheit sind zahlreiche weitere einschlägige Verbindungen von Joffe belegt: mit der Atlantik-Brücke, dem American Council on Germany, dem Aspen Institute und anderen (eine Auflistung aus meiner Studie mit Quellenangaben findet sich hier).
Außerdem weist ihn auch aktuell das Impressum der offiziösen Fachzeitschrift "Internationale Politik", herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, als Beiratsmitglied aus. Und für die Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz, einer im Kern transatlantischen Veranstaltung, hat er mindestens seit 1999 und bis heute praktisch ein Abonnement (Teilnehmerliste von 2014 hier).
Solche Sachverhalte, auch solche die jüngere Vergangenheit betreffend, mit aufzunehmen halte ich für legitim - zumal Joffe in seiner Vita auf der Website der Stanford-University selbst mit vielen früheren Tätigkeiten immer noch hausieren geht.
"Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft"
Und zum Argument, seine beiden Institutionen förderten wissenschaftlichen Austausch und Forschung: Das mag sein, aber um besonders kritische Forschung scheint es sich nicht zu handeln. Auf der Website des AICGS heißt es: "Angegliedert an die Johns Hopkins Universität bietet AICGS ein umfassendes Programm mit öffentlichen Konferenzen, Forschungsberichten, Networking Events und Forschungsstipendien, um die Interessengruppen des Instituts aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern."
Wer eine Idee von diesen Interessengruppen bekommen möchte, schaue sich die anderen Mitglieder des Kuratoriums an, in dem Joffe sitzt: CityGroup, Ernst&Young, Deutsche Bank, IBM, Allianz, Daimler etc. Ähnlich das Kuratorium der American Academy in Berlin: Daimler, Allianz, American Express, Robert Bosch, Tengelmann, JP Morgan.
Inwieweit solche Ämter und Funktionen die "journalistische Integrität" beeinträchtigen, die Joffe sich von den Kabarettisten abgesprochen sieht, darüber müsste gesondert diskutiert werden. Bewegen sich Journalisten mit solchen Verbindungen auch in ihren Artikeln im Rahmen eines transatlantischen Eliten-Diskurses, verfolgen entsprechende Agenden und blenden unliebsame Informationen und Argumente aus? Oder haben die Leser im Gegenteil sogar einen Nutzen von dieser Nähe zu Entscheidern, erfahren mehr über die Vorgänge im Elitenmilieu, bekommen klarere Analysen des Weltgeschehens?
Meine eigenen Inhaltsanalysen der Artikel gut vernetzter Journalisten zu den Themen "erweiterter Sicherheitsbegriff", "Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr" und "Münchner Sicherheitskonferenz" deuten auf ersteres hin (siehe "Meinungsmacht" Kap. 6 und 7 oder diese Kurzfassung), aber das ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Hier sind auch andere Journalismusforscher mit anderen Perspektiven gefragt - eine wissenschaftliche Debatte gibt es zu diesem Thema noch nicht.
"Keine aktive Funktion ausüben"
Inzwischen aber darf und sollte weiter diskutiert werden: Wie viel Nähe zu Geld- und Machteliten, wie viel Involviertheit in Lobbyorganisationen soll Journalisten erlaubt sein?
Dazu hat sich nun dankenswerterweise der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) endlich zu Wort gemeldet. In einer Pressemitteilung heißt es: "Die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit des Journalismus gebieten es, dass Journalisten keine aktive Rolle in Organisationen ausüben, über die sie berichten", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Als Chronisten der Ereignisse müssten sie gut vernetzt sein und zahlreiche Veranstaltungen regelmäßig besuchen, dürften dort aber keine aktive Funktion ausüben.
Diese Äußerung sehe ich als Fortschritt an, denn bisher hatte sich der DJV-Vorsitzende dazu nicht klar positioniert. Als der Telepolis-Autor Marcus Klöckner ihn 2011 nach seiner Meinung fragte, ob Zeit-Journalisten an der geheimen transatlantischen Bilderberg-Konferenz teilnehmen dürften ("Einen 'Schweigepakt' kann ich mir nur schwer vorstellen"), obwohl sie sich damit auch zum Schweigen darüber verpflichten, sagte er nur unverfänglich:
Journalisten haben die Aufgabe, zu berichten und zu informieren. Einen "Schweigepakt" (…) kann ich mir nur schwer vorstellen.
Michael Konken
Ende der Versteckspiele?
Mit Konkens neuer Ansage zur journalistischen Ethik müsste sich nun einiges ändern. Die beiden Kuratoriums-Mandate von Joffe fallen sicherlich unter "aktive Funktionen". Auch eine Vorstandstätigkeit wie die von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann in der Atlantik-Brücke sollte bald der Vergangenheit angehören.
Das hätte sogar für Diekmann Vorteile: Er bräuchte sich nicht mehr verstecken. Das musste er nämlich im Februar 2009, als er und andere Granden der Atlantik-Brücke nach Indien flogen und dort die "Erklärung von Mumbai" verabschiedeten: "Einen Aufruf an die Atlantische Gemeinschaft, auch in Zeiten der sich weiter verschlimmernden Finanzkrise (...) gegen Protektionismus und für offene Märkte einzustehen sowie die Fortschritte und Wohlstandsgewinne zu sichern, die der Prozess der Globalisierung (...) gebracht hat."
Es wurde auch ein Gruppenfoto geschossen, von einem Fotografen der Bild-Zeitung. Während das Foto auf der Website der Atlantik-Brücke den Chefredakteur am Rand stehend zeigte, war er auf demselben Foto in der Bild-Zeitung vom 27.2.2009 weggeschnitten (zu sehen auf S. 20 in der Leseprobe von "Meinungsmacht"). Offenbar wollte der Chefredakteur seine Leser nicht allzusehr mit den Zusammenhängen zwischen dem Ereignis und ihrer Zeitung behelligen.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und Autor des Buches "Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten - eine kritische Netzwerkanalyse" (Herbert von Halem Verlag, Köln 2013).
Hinweis zur Transparenz: Der Autor war vor der Anstalt-Sendung vom 29. April von einem Rechercheur des ZDF zum Sachverhalt konsultiert worden, war also zu einem gewissen Grad in der Vorbereitung involviert. Jedoch wurde er weder für die Beratung bezahlt noch hatte er Einfluss auf die Gestaltung der Kabarettnummer.