Journalisten heute: Opportunistische Unterstützer der Eliten?

Bundespressekonferenz. Archivbild von 2018: Vincent Eisfeld / nordhausen-wiki.de / CC-BY-SA-4.0

Krisen verändern auch den Journalismus – zur biederen Kenntlichkeit, wie manche sagen? Was es für eine Demokratie bedeutet, wenn konstruktive Partnerschaften zu weit gehen.

Sowohl in Corona-Zeiten als auch in der jetzigen Kriegsphase lässt sich, mit dem Soziologen Pierre Bourdieu gelesen, nicht zuletzt hierzulande, ein bestimmtes Rollen-Verständnis im Journalismus beobachten: Medienschaffende gerade in etablierten, reichweitenstarken Medien verstehen sich soziologisch gesehen als ein Milieu, dem es zunehmend um konstruktive Partnerschaft mit Regierung, staatlichen Apparaten und Großkonzernen geht.

Das hätte allerdings nur noch wenig zu tun mit dem Ideal einer "vierten Gewalt". Und es wirft weitergehende Fragen auf, auch zum scheinbaren Gegensatz "Demokratie versus Diktatur". Fraglich auch, warum kaum noch "Nein" gesagt wird aus dem Journalismus heraus.

Der Journalismus in der Corona-Krise war in vieler Hinsicht kein Ruhmesblatt für das Berufsfeld, was möglichst unabhängige, vielseitige sowie kritische Berichterstattung und Kommentierung in wichtigen Medien angeht. Der Journalist Dirk Jakobs verwies jüngst in der Berliner Zeitung auf einige bezeichnende Aspekte.

Gerade "die harte Ausgrenzung und Verunglimpfung von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen wollten", sei ein "mehr als düsterer Prozess" gewesen. Dieser hatte laut Jakobs "für eine Gesellschaft, die ihre freiheitlich-demokratischen Grundwerte betont, äußerst bedenkliche Züge" angenommen.

Der gestandene Journalist fährt mit Blick auf den Journalismus fort:

Wo blieb das gründliche und kritische Durchleuchten und Hinterfragen in Bezug auf die Impfstoffe und deren Turbo-Zulassung, in Bezug auf die Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie, die Absprachen mit Regierungen und der EU und die weitreichende private Finanzierung der WHO, auch eben durch Pharma-Konzerne?

Wieso wurde auf manche berechtigte Fragen sofort der Deckel "Verschwörungsideologie" draufgemacht, mit der Folge, dass sie dann schlicht gar nicht mehr diskutiert wurden?

Dirk Jakobs

Fazit seines Textes mit Bezug auf das journalistische Berufsfeld in der Zeit einer extremen sozialen Krise wie Corona:

Wie konnten wir diesbezüglich in den Redaktionen so homogen denken?

Hinsichtlich aktueller, sich überlagernder Krisen – also zumindest Klimakrise, Kriegskrise und Wirtschaftskrise inklusive weiterem Sozialabbau – nimmt der Autor dieses Beitrages ähnliche Erscheinungen von "Homogenisierung" wahr. Stichwort: enge und noch enger werdende Themen- sowie Meinungskorridore im herrschenden Diskurs, geprägt auch durch wichtige journalistische Medien.

Rollenverständnisse

Daher hier mein Versuch einer Erklärung, mit Bezug auf Vorschläge des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930-2002). Thomas Hanitzsch, seit 2010 Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalismusforschung an der LMU München, definiert im Aufgreifen entsprechender Modelle Bourdieus "professionelle Milieus" im Journalismus als Gruppen von Journalismus-Schaffenden, die ähnliche Auffassungen von gesellschaftlicher Identität und sozialer Funktion (Aufgabe) des Journalismus haben.

Wir könnten auch sagen: mit Bezug auf das berufliche Rollenverständnis. Solche "professionellen Milieus" finden sich übergreifend, also über einzelne Redaktionen und Medienorganisationen oder auch über einzelne Staaten bzw. Staatenbündnisse hinaus.

Nun lassen sich Bourdieus "Denk-Werkzeuge", wie hier insbesondere sein Konzept von "Milieu", mit einer langen Tradition empirischer Forschungen zum journalistischen Rollenverständnis und dessen etwaigem Wandel verbinden. Es wird dann möglich, mit Bourdieu und Hanitzsch, seit ca. 2010 insgesamt vier grundlegende professionelle Milieus im Journalismus weltweit zu bestimmen:

  1. Publikumsorientierte Vermittler (Populist disseminators): Kennzeichen sei Publikumsorientierung und behauptete Neutralität, zu finden oft in Boulevardmedien oder andererseits auch Nachrichtenagenturen, deren Publikum ja (andere) Medien sind.
  2. Distanzierte Kontrolleure (Detached watchdogs): Kennzeichen sei das Selbstbild "vierte Gewalt" - soll(-te) typisch sein für demokratisch verfasste Gesellschaften.
  3. Kritische Weltveränderer (Critical change agent): Kennzeichen wäre eine Tendenz in Richtung "Aktivismus" - viele junge, klimabewusste Journalist:innen verorten sich hier.
  4. Opportunistische Unterstützer (Opportunist facilitators): Kennzeichen sei eine relativ geringe berufliche Autonomie, geklagt werde normalerweise oft über relativ starken Druck von außerhalb der Redaktionen, typischerweise durch staatliche Akteure.

Schauen wir daher, aus gegebenem Anlass, zunächst auf das vierte dieser Milieus: Dieses Milieu, als ein Typus von Journalismus, wird wissenschaftlich in deutschen Kontexten "opportunistische Unterstützende" genannt. Im Englischen "Opportunist facilitators", also in etwa "angepasste Erleichterer".

Fragt sich: Was erleichtern, wen unterstützen sie? Hanitzsch schreibt dazu (bereits im Jahr 2015):

In diesem Milieu verstehen sich Journalisten am stärksten als konstruktive Partner der Regierung und am wenigsten als unabhängige Beobachter, kritische Kontrolleure und Vermittler von (eigenständiger, d.A.) politischer Information.

Meine Interpretation mit Blick auf das Agieren vieler Journalistinnen, Journalisten und Medien hierzulande und überhaupt in der westlichen Welt, also dem "Globalen Norden", sowohl in der Corona-Krise als auch in der jetzigen Kriegskrise:

Dieses "Milieu" wirkt in der maßgeblichen Öffentlichkeit zumindest deutlich präsenter als in früheren, vergleichsweise krisenarmen Zeiten.