Jüdische Wissenschaftlerin Judith Butler verurteilt Israels "Völkermord" in Gaza
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Im Interview erklärt Berkeley-Professorin, warum sie von Genozid spricht. Politik und Medien würden Opfer in zwei Klassen einteilen. Hier ihre Forderungen. Gastbeitrag.
Judith Butler ist US-amerikanische Philosophin und politische Kommentatorin. Sie ist Professorin an der University of California, Berkeley, und Inhaberin des Hannah-Arendt-Lehrstuhls an der European Graduate School. Außerdem ist sie Mitglieder des Beirats der Jewish Voice for Peace.
Butler ist Autorin zahlreicher Bücher, darunter "The Force of Nonviolence: An Ethico-Political Bind und Parting Ways. Jewishness and the Critique of Zionism". Ihr jüngster Beitrag für London Review of Books trägt die Überschrift "The Compass of Mourning".
Zusammen mit Dutzenden jüdischen Schriftstellern und Künstlern hat Butler kürzlich einen offenen Brief an US-Präsident Biden unterzeichnet, in dem sie einen sofortigen Waffenstillstand fordern. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehörten auch V, ehemals Eve Ensler, Masha Gessen und der Dramatiker Tony Kushner.
Das Interview führten Amy Goodman und Nermeen Shaikh. Es handelt sich um eine gekürzte Version.
Wir haben gerade mit Dr. Hanan Ashrawi gesprochen, die sagt, dass den Palästinensern, ich zitiere, "die Anerkennung der eigenen Menschlichkeit und Rechte verweigert wird". Sie haben viel darüber geschrieben, dass verschiedene Leben unterschiedlich bewertet werden.
Judith Butler: In Ihrer Sendung wurde von verschiedenen Seiten das Wort "Völkermord" benutzt. Und ich denke, wir müssen dieses Wort sehr ernst nehmen, denn es beschreibt die Situation, in der eine Bevölkerung ins Visier genommen – nicht nur der militärische Teil, sondern auch der zivile Teil – und bombardiert, gewaltsam umgesiedelt wird. Es werden Pläne für eine Umsiedlung oder die völlige Zerstörung des Gazastreifens gemacht.
Es gibt Menschenrechtsgruppen wie das Center for Constitutional Rights, das eine 40-seitige Studie darüber veröffentlicht hat, warum es richtig ist, das, was den Palästinensern jetzt passiert, als Völkermord zu bezeichnen. Andere Organisationen haben das internationale Recht untersucht und zeigen auf, dass Völkermord, also der Genozid, nicht gleichzusetzen ist mit dem Nazi-Regime, sondern es sich um die systematische Untergrabung der Lebensgrundlage, der Gesundheit, des Wohlbefindens und der Fähigkeit zu überleben handeln kann. Genau das geschieht derzeit.
Warum haben die US-Medien und die US-Regierung beschlossen, sich an Völkermordverbrechen zu beteiligen, ist eine wichtige Frage. Es ist eine alarmierende Tatsache.
Hanan Ashrawi hat recht, wenn sie sagt, dass es nicht nur darum geht, dass sie ideologische Unterstützung leisten oder als Spin-Doktoren behaupten, dass die genozidale Gewalt Israels gerechtfertigt sei. Sie geben tatsächlich Waffen, Unterstützung und Ratschläge, um diese völkermörderische Politik durchzusetzen.
Die Palästinenser werden dabei als nicht beklagenswert eingestuft. Das heißt, sie sind keine Gruppe von Menschen, deren Leben als wertvoll erachtet wird, um in dieser Welt zu überleben und sich zu entwickeln.
Wenn sie verschwinden, wird das nicht als echter Verlust angesehen, denn sie sind in dieser Sicht nicht nur weniger wert als Menschen – das ist sicher –, sondern eine Bedrohung für die Idee des Menschlichen, die von der zionistischen Politik verteidigt wird, die von Israel, den USA und vielen westlichen Mächten geteilt wird.
Wenn wir beobachten, wie sich diese Schablonen im öffentlichen Diskurs durchsetzen – alle Palästinenser sind Hamas, die Hamas ist terroristisch und niemals ein bewaffneter Widerstandskampf, israelische Gewalt ist moralisch gerechtfertigt und palästinensische Gewalt ist barbarisch –, warum sollte es umgekehrt dann nicht richtig sein, die Bombardierung von Menschen in ihren Häusern, Krankenhäusern, Schulen oder auf der Flucht, angeordnet von der israelischen Regierung, als barbarisch zu bezeichnen? Was wir hier sehen, ist ja nicht einfach die Tötung palästinensischer Zivilisten als eine Art Nebenprodukt des Krieges.
Diese Zivilisten werden gezielt angegriffen. Die gezielte Tötung von Zivilisten, die einer bestimmten Gruppe angehören, die ethnisch oder rassisch definiert ist, ist eine völkermörderische Praxis. Das ist es, was geschieht.
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Und wir alle sollten aufstehen, Einspruch erheben und ein Ende des Völkermords fordern. Es stimmt, ich habe mehrere Petitionen unterzeichnet, von denen eine einen sofortigen Waffenstillstand fordert. Das ist das Mindeste.
Tatsache ist, dass die Gewalt, die wir erleben, Teil einer langjährigen Gewalt ist, einer 75 Jahre alten Gewalt, die durch systematische Vertreibung, Tötung, Inhaftierung, Verhaftung, Landraub und zerstörtes Leben gekennzeichnet ist. Wir brauchen eine viel umfassendere politische Lösung für diese Situation.
Solange Palästina nicht frei ist und die Menschen in Palästina nicht als Bürger oder politische Akteure in einer Welt leben können, die sie mitgestaltet haben – die sie selbst verwalten und in der sie demokratische Rechte erhalten können –, werden wir weiterhin Gewalt erleben. Wir werden dann immer wieder erleben, dass diese strukturelle Gewalt diese Art von Widerstand hervorbringt. Ich hoffe also, dass wir am Ende nicht nur ein Pflaster draufkleben.