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Juristen halten Maas' Gesetz gegen "Fake News und Hate Speech" für verfassungs- und europarechtswidrig

Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD. Foto: Metropolico.org. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Grüner Künast geht der Entwurf nicht weit genug

Gestern stellte Bundesjustizminister Heiko Maas seine Gesetzenwurf gegen "Fake News und Hate Speech" vor, das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) [1] (vgl. Fake News und Hasskommentare: Maas droht Facebook & Co. mit Geldstrafen [2]). Es gilt seinem § 1 Absatz 1 Satz 1 [3] nach "für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen".

Da diesem Wortlaut nach keine Veröffentlichung nötig ist, sondern bereits der Austausch zwischen zwei Nutzern reicht, müssen nicht nur Facebook und Twitter, sondern auch E-Mail-Anbieter wie GMX, Videochat-Anbieter wie Skype, Messengerdienste wie WhatsApp und Filehoster wie Dropbox fürchten, danach belangt zu werden - allerdings nur dann, wenn sie mehr als zwei Millionen angemeldete Nutzer mit deutscher IP-Adresse haben, wie beispielsweise die Karrierenetzwerke Xing und LinkedIn oder die Datingportale Parship, Elitepartner, eDarling und LoveScout24.

Lieber zu viel als zu wenig

Solche Dienste werden verpflichtet, eine Kontaktstelle einzurichten, die ihren Sitz in Deutschland haben und den Zugang zu "offensichtlich rechtswidrigen Inhalten" binnen 24 Stunden sperren muss, wenn diese nicht innerhalb dieser Frist gelöscht werden. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte gilt eine Frist von sieben Tagen ab Beschwerdeeingang.

Schafft ein Anbieter das nicht, droht ihm ein Bußgeld in Höhe von 50 Millionen Euro. Die Digitale Gesellschaft [4] geht davon aus, dass diese Höhe "zu einer höchst proaktiven Löschpraxis der Anbieter führen [dürfte], die im Zweifel stets zu Lasten der Meinungsfreiheit gehen wird". Das ist unter anderem deshalb problematisch, weil Gruppen dadurch gezielt "missbräuchliche Beschwerden" nutzen können, "um missliebige Inhalte zu unterdrücken". "Aus den USA sind solche Fälle" Netzpolitik.org [5] zufolge "im Zusammenhang mit der Black-Lives-Matter-Bewegung bekannt".

Ähnlich schätzt Dr. Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbandes Bitkom [6] die Auswirkungen ein: Die "vielen Unbestimmtheiten des Gesetzesvorschlags", "unrealistisch kurze Fristen" und die "hohen Bußgelder" werden seinen Worten nach "dazu führen, dass Plattformbetreiber Inhalte im Zweifelsfall eher löschen werden". Diese "Löschorgie" werde "auch viele nicht rechtswidrige Inhalte betreffen". Hinsichtlich der Schwierigkeiten, mit Vorwürfen wie "Beleidigung" und "Verleumdung" umzugehen, erinnert Rohleder an die langen Auseinandersetzungen um Jan Böhmermanns "Schmähgedicht". "Wie", so der Verbandsvertreter, "sollen private Unternehmen innerhalb kurzer Zeit Entscheidungen treffen, die selbst Gerichten nach langwieriger und sehr sorgfältiger Prüfung nur mit Mühe gelingen und die trotzdem umstritten bleiben?"

Anbieter müssten Speicherung verhindern, aber dauerhaft Speichern

Außerdem fordert der Gesetzentwurf in § 3 Absatz 2 Nummer 6 und 7, dass ein Anbieter "sämtliche auf den Plattformen befindlichen Kopien des rechtswidrigen Inhalts ebenfalls unverzüglich entfernt oder sperrt und wirksame Maßnahmen gegen die erneute Speicherung des rechtswidrigen Inhalts trifft". Außerhalb der Plattform muss der Anbieter die entfernten Inhalte nach § 3 Absatz 2 Nummer 4 allerdings "zu Beweiszwecken [ohne Fristangabe - also dauerhaft] im Inland speicher[n]". Historiker, die einmal die Zensurgeschichte des frühen 21. Jahrhunderts aufarbeiten wollen, wird das freuen - Datenschützer weniger.

Die offensichtliche und nicht offensichtliche Rechtswidrigkeit bezieht sich nach § 1 Absatz 3 auf Vorschriften, die das Gesetz in einem Katalog aufführt: § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), § 86a StgB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole), § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), § 126 StGB (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), § 130 StGB (Volksverhetzung), § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten), § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen), § 185 StGB (Beleidigung), § 186 StGB (Üble Nachrede), § 187 StGB (Verleumdung), § 241 StGB (Bedrohung) und § 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten).

Für den Berliner Juraprofessor Niko Härting‏ [7] ist dieser Katalog "kunterbunt und kaum nachvollziehbar". "Warum", so fragt er, "soll eine 'Fälschung beweiserheblicher Daten' zu einer Löschpflicht führen, nicht jedoch eine 'Verletzung von Privatgeheimnissen' (§ 303 StGB)?" Und "warum sollen Beiträge gelöscht werden, die eine 'Bedrohung' enthalten, nicht jedoch pornographische Inhalte, die Minderjährigen zugänglich sind (§ 184d StGB)?" "Pornoanwalt" Marco Dörre [8] verweist zu Letzterem auf eine Stelle in der Begründung des Gesetzes, in der es heißt, man habe "insbesondere die Pornografie […] nicht aufgeführt, da diese Straftaten im Internet bereits effektiv verfolgt werden."

Nicht "strafbare", sondern "rechtswidrige" Inhalte

Dass § 1 Absatz 3 des NetzDG nicht von "strafbaren", sondern von "rechtswidrigen" Inhalten spricht, ist Härting nach "ein bedeutsamer Unterschied, da es etwa bei einem beleidigenden Beitrag nicht [mehr] auf die Absichten des Verfassers ankommt". Weil "strafrechtliche Ermittlungsverfahren vielfach eingestellt werden, da sich ein Tatvorsatz nicht nachweisen lässt", würde die neue Vorschrift seiner Ansicht nach "dazu führen, dass sich der Anwendungsbereich der strafrechtlichen Verbotsnormen erheblich erweiter[t]". Dabei gibt es bereits jetzt zahlreiche zivilrechtliche Abwehransprüche, die Akteure mit Rechtsabteilung teilweise sehr exzessiv geltend machen, wie man aktuell beispielsweise an der Auseinandersetzung zwischen dem MDR und dem Blogger Hadmut Danisch [9] sieht.

"Eklatant europarechtswidrig" und "offensichtlich verfassungswidrig"

Die Fristsetzungen des NetzDG sind für Härting "eklatant europarechtswidrig", weil der deutsche Gesetzgeber den in Artikel 14 Absatz 1 der europäischen E-Commerce-Richtlinie gesetzten "flexiblen Maßstab, der Raum für den Einzelfall lässt", "nicht ohne Richtlinienverstoß in einen fixen Zeitraum von 24 Stunden beziehungsweise sieben Tagen verwandeln" kann. Außerdem sind Anbieter nach Artikel 15 dieser Richtlinie "nicht verpflichtet, proaktiv die eigene Plattform nach Rechtsverstößen zu durchsuchen", was der Rechtswissenschaftler nicht für vereinbar mit den oben geschilderten "Verhinderungspflichten" in § 3 Absatz 2 Nummer 6 und 7 hält.

Angesichts des § 4 Absatz 5 des NetzDG, der den Rechtsweg für die Anfechtung von Bußgeldern auf ein Amtsgericht reduziert, dessen ohne mündliche Verhandlung getroffene Entscheidung nicht anfechtbar sein soll, erinnert der Juraprofessor den Bundesjustizminister daran, dass es hier um nicht weniger als die in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungsfreiheit geht. Auch Tatbestände wie "organisatorische Unzulänglichkeiten", die der Gesetzentwurf einführt, sind Härting nach zu unbestimmt, um den Anforderungen zu genügen, die die deutsche Verfassung stellt.

"Politische Kampfbegriffe" kein "tauglicher Ansatz für Regulierung"

Der Meinung, dass der Entwurf "gleich mehreren Gründen offensichtlich verfassungswidrig" ist, ist auch der Telekommunikations- und Medienrechtsexperte Dr. Simon Assion. Er hat sich in Telemedicus [10] ausführlich damit befasst und weist dort unter anderem darauf hin, dass die "Medienaufsicht Ländersache [und] nicht Aufgabe von Bundesbehörden" ist.

Er hält bereits den "Ansatz" des Gesetzentwurfs für "verfehlt", weil "ungenaue und interpretationsoffene" Ausdrücke wie "Hate Speech" und "Fake News" als "politische Kampfbegriffe" seiner Ansicht nach "kein tauglicher Ansatz für Regulierung" sein können. "Wer den Begriff 'Hate Speech' gebraucht, so Assion, "der zeigt, dass es ihm weniger um den Schutz der persönlichen Ehre der Betroffenen geht, sondern mehr um die Eindämmung ganz bestimmter Meinungen und Äußerungen." Demokratie lebt ihm zufolge aber "davon, dass die Bürger den Staat kontrollieren und steuern, nicht umgekehrt." Und sie "funktioniert nur, wenn sich Bürger unbefangen untereinander austauschen können und die Institutionen, die diesen demokratischen Austausch unterstützen - die Medien - dabei nicht behindert werden."

Gegenteiliger Meinung ist die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast: Ihr geht Maas' Gesetzentwurf nicht weit genug [11]. Dass sie als Begründung dafür anführt, er beziehe sich nur auf "strafbare Inhalte", könnte man als "Fake News" werten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3654324

Links in diesem Artikel:
[1] https://mobile.twitter.com/HeikoMaas/status/841612673498398723
[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Fake-News-und-Hasskommentare-Maas-droht-Facebook-Co-mit-Geldstrafen-3652112.html
[3] http://www.doerre.com/gesetze/201703014_NetzDG.pdf
[4] https://digitalegesellschaft.de/2017/03/vorstoss-gefaehrdet-meinungsfreiheit/
[5] https://netzpolitik.org/2017/analyse-so-gefaehrlich-ist-das-neue-hate-speech-gesetz-fuer-die-meinungsfreiheit/
[6] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Bitkom-zum-Gesetzentwurf-gegen-Hasskriminalitaet-in-sozialen-Netzwerken.html
[7] http://www.cr-online.de/blog/2017/03/14/kurzer-prozess-fuer-die-meinungsfreiheit-entwurf-eines-netzwerkdurchsetzungsgesetzes/
[8] https://mobile.twitter.com/pornoanwalt/status/841906779197972485
[9] http://www.danisch.de/blog/2017/03/11/muendliche-verhandlung-mdr-hadmut-danisch/
[10] https://www.telemedicus.info/article/3178-Der-fragwuerdige-Kampf-gegen-Hatespeech.html
[11] http://www.deutschlandfunk.de/gesetz-gegen-hasskommentare-kuenast-beklagt-fokussierung.1939.de.html?drn:news_id=721566