KIT-Forscher halbieren Massengrenze bei Neutrinos

Bernd Müller
Blick ins Innere des KATRIN-Hauptspektrometers

Blick ins Innere des KATRIN-Hauptspektrometers

(Bild: M. Zacher/KATRIN Coll.)

Neutrinos sind überall, aber kaum zu fassen. Forscher des KIT haben nun die Obergrenze für ihre Masse halbiert. Warum das wichtig ist und wie es gelang.

Neutrinos sind die Phantome des Universums. Sie sind überall, Billionen strömen jede Sekunde durch unseren Körper. Doch wir bemerken nichts davon. Denn die elektrisch neutralen Elementarteilchen haben so wenig Masse, dass sie kaum mit Materie interagieren. Das macht die Erforschung der Neutrinos zu einer großen Herausforderung.

KIT-Forscher messen Rekord-Obergrenze für Neutrinomasse

Einem internationalen Forscherteam am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist nun ein wichtiger Schritt gelungen. Im Rahmen des KATRIN-Experiments haben sie die Obergrenze für die Masse eines Neutrinos auf 0,45 Elektronenvolt gesenkt – das ist weniger als ein Milliardstel der Masse eines Protons im Atomkern. Damit haben sie die bisherige Schätzung halbiert und einen neuen Weltrekord aufgestellt.

"Wir haben fünf Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert – das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme", erklärt Kathrin Valerius vom KIT, Co-Sprecherin des Experiments. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Mit Tritium-Zerfall Neutrinos indirekt gewogen

Aber wie misst man etwas, das man nicht direkt beobachten kann? KATRIN nutzt dazu den Beta-Zerfall von Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop. Dabei entstehen Elektronen und Neutrinos, die sich die frei werdende Energie teilen.

Das 70 Meter lange KATRIN-Experiment mit seinem riesigen Spektrometer zeichnet diesen Zerfall auf. Der Trick: Misst man die Energie der Elektronen, lässt sich daraus auf die Energie und Masse der Neutrinos schließen. Allerdings braucht es dafür viele Messungen.

Um 2022 die ersten Ergebnisse zu erzielen, mussten sechs Millionen Elektronen gemessen werden, heißt es bei der Nachrichtenagentur AFP. Für die genauere Zahl, die jetzt vorliegt, waren es 36 Millionen.

"Wenn wir bis Ende des Jahres alle unsere Daten gesammelt haben", wird das Team etwa 250 Millionen Elektronen gemessen haben, erklärt der Physiker Thierry Lasserre, der an KATRIN beteiligt ist, gegenüber AFP. Dann, so hoffen die Wissenschaftler, sind sie der tatsächlichen Neutrinomasse nähergekommen – oder haben wenigstens festgestellt, dass sie weniger als 0,3 Elektronenvolt beträgt.

Neutrinos könnten Rätsel von dunkler Materie und Energie lösen

Warum ist das so wichtig? Weil Neutrinos trotz ihrer winzigen Masse eine Schlüsselrolle für unser Verständnis des Universums spielen könnten. Sie sind die häufigsten Teilchen im Kosmos und beeinflussen seine Struktur.

Zudem wurden sie in Modelle einbezogen, um die rätselhafte dunkle Energie zu erklären. Diese unbekannte Kraft scheint die immer schnellere Expansion des Alls anzutreiben. Zusammen mit der ebenso mysteriösen dunklen Materie soll sie 95 Prozent des Universums ausmachen.

Einige Forscher vermuteten in der Vergangenheit sogar, dass eine spezielle Art sehr schwerer Neutrinos, sogenannte sterile Neutrinos, selbst die dunkle Materie sein könnten. Allerdings gilt diese Theorie inzwischen als überholt.