Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
- Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
- 8. Manifester Druck: Proteste und Angriffe
- 9. Disqualifikation (in Reputation und Beruf)
- 10. Direkte (juristische) Angriffe
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Von Moralaposteln bis zur Existenzvernichtung. Mit Beiträgen von Christian Kreiß ("Gekaufte Wissenschaft") und der Vorsitzenden des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, Sandra Kostner. Zehn Störfaktoren der freien Wissenschaft (Teil 3 und Schluss).
Welche Fremd-Codes und äußeren Kräfte beeinflussen die freie Wissenschaft? Dritter und letzter Teil der Mini-Serie über Wissenschaftsfreiheit.
7. Moralischer Druck
Im Umgang mit der Great Barrington Declaration (siehe Teil 2) klingt ein weiterer gewaltiger Störfaktor der Wissenschaftsfreiheit an: die Moralisierung.
Die Autoren der Declaration wurden unter anderem auch von John Ioannidis dafür kritisiert, mit der Kommunikationsform des offenen Briefs die regulären wissenschaftlichen Schaltstellen umgangen zu haben. Mitautorin Sunetra Guptas Entgegnung auf diesen Vorwurf im Magazin Times Higher Education war bemerkenswert:
[Es] hat vielen Wissenschaftlern die Tür geöffnet, die sich zuvor nicht in der Lage fühlten, ihre Ansichten vorzutragen, weil ihre Meinungen als ketzerisch [heretic] abgetan wurden [...] Wenn man wiederholt als Randgruppe oder Pseudowissenschaft abgetan wird, ist es schwierig, sich Gehör zu verschaffen, was blieb uns also anderes übrig?
Sunetra Gupta
Es scheint allzu menschlich, dass erst eine Vorhut von Dissidenten eine größere Gruppe dazu bewegen kann, althergebrachte Überzeugungen in Frage zu stellen. Wer stellt sich schon gerne alleine in die Schusslinie?
Wo die Great Barrington Declaration den Debattenkorridor erweitern wollte, hat sie ihren Zweck erfüllt. Die Moralisierung der Debatte hat sie damit allerdings nicht beendet. Im Gegenteil.
So verglich etwa der Harvard-Mediziner William Haseltine die Strategie der Herdenimmunität mit einem Vorschlag zum "Massenmord". Mit ganz ähnlichem Zungenschlag bezeichnete der deutsche Comedian Jan Böhmermann die Ansichten des Virologen Hendrik Streeck als "menschenfeindlich". Analog dazu werden heute Plädoyers für Verhandlungen in der Ukraine mit dem Eintreten für Vergewaltigung und Mord gleichgesetzt.
Sowohl in der Ukraine- wie auch in der Corona- und Klima-Debatte wurde und wird der Wertbegriff der Solidarität (gegenüber künftigen Generationen) benutzt, um an das Einhalten politischer Verordnungen zu appellieren.
So gerät jede Abweichung zum unsolidarischen und daher unmoralischen Verhalten. Das galt während der Corona-Krise auch für wissenschaftliche Arbeiten, welche Maßnahmen oder später die mRNA- und Vektor-Präparate kritisch untersuchten.
In der deutschen Corona- und Klima-Debatte gewinnt die Moralisierung eine besondere Qualität durch den Begriff des "Leugners", der nicht nur diskutable wissenschaftliche Befunde zu unbestreitbaren Tatsachen umdeutet, sondern den Zweifel zugleich in den unmittelbaren Kontext der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen stellt und damit maximal tabuisiert.
Auch andere Disziplinen sind mit ähnlichen Tabus belegt, nur heißen die Leugner dort wahlweise Rassisten oder Transphobiker. Sandra Kostner und das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit können ein Lied davon singen.
"Wenn es um das Thema Identitätspolitik geht, ist die Moralisierung mittlerweile so stark, dass Sie gewisse Untersuchungen gar nicht mehr anstellen können, ohne dass Sie sich den Vorwurf der Diskriminierung einhandeln", sagt Kostner.
Arbeitsforschung, die biologische Prädispositionen bei als Erklärungsfaktor für typische weibliche und männliche Berufswahl in den Blick nimmt? Migrationsforschung, die integrative Bemühungen der Migranten, Unterschiede in der schulischen Leistungsbereitschaft oder gar positive Aspekte einer Assimilation untersucht? So gut wie undenkbar, sagt Kostner.
"In diesen Bereichen hat sich die Philosophie des 'research must do no harm' durchgesetzt", so die Historikerin, "es werden kaum mehr Themen mehr angeschnitten, die als 'stigmatisierend' empfunden werden könnten."
Bei den ganz Wohlmeinenden unter den Forschern gipfele diese Sorge im Phänomen der "Forschung mit Haltung", einer, wie Kostner es ausdrückt, "politischen Selbstmandatierung".