Kaliningrad, Königsberg und Kant
- Kaliningrad, Königsberg und Kant
- 300. Geburtstag von Kant
- Freunde Kants und Königsbergs
- Auf einer Seite lesen
Kaliningrad gedenkt 2024 des 300. Geburtstags von Immanuel Kant. Doch der Ukraine-Krieg wirft Schatten. Notizen zu einem Besuch im früheren Königsberg.
Kaliningrad, das frühere Königsberg, liegt in der russischen Oblast gleichen Namens, dem nördlichen Teil des früheren Ostpreußens. Sie ist deren attraktive Hauptstadt und hat ein lebendiges Kulturleben, in dem der bedeutende deutsche Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant (1724-1804), der in Königsberg gelebt und gewirkt hat, in hohen Ehren gehalten wird. Sein 300-jähriger Geburtstag steht bevor.
Meine schon lange verstorbene Mutter stammte aus Ostpreußen. Sie hat mir in meiner Kindheit und Jugendzeit immer wieder erzählt, dass sie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg die schönste Zeit ihres Lebens im damaligen Königsberg verbracht hat. Auch weitere Orte und Landschaften aus Ostpreußen wie Rauschen, Cranz und die Kurische Nehrung sind mir aufgrund ihrer Erzählungen ein Begriff, waren aber viele Jahrzehnte für mich fern und unerreichbar.
Stadt der Migranten
2019 wurde ich auf die Kaliningrad-Trilogie von Gudrun Wassermann aufmerksam. Es handelt sich um drei Dokumentarfilme dieser bedeutenden Schleswig-Holsteinischen Künstlerin, die Einblicke in das Leben der Bewohner der seit 1945 russischen Stadt Kaliningrad gibt.
Der letzte Film dieser Trilogie mit dem Titel "Menschen unterwegs- Kaliningrad" wurde von der Künstlerin 2018 fertig gestellt und 2019 im ausverkauften kommunalen Kino "Die Pumpe" in Kiel uraufgeführt, nachdem vorher auch ihre ersten beiden Dokumentarfilme dort und auch in Kaliningrad mehrfach von einem größeren Publikum gesehen wurden.
Alle drei Dokumentarfilme ihrer Kaliningrad-Trilogie können hier unter den Stichworten "Kaliningrad-Projekt 2009-2020" aufgerufen werden.1
In den drei Filmen kommen etwa 50 Interview-Partner der Oblast Kaliningrad zu Wort. Die deutsche Übersetzung ihrer Erzählungen in russischer Sprache sind in den Filmen mit Untertiteln eingeblendet.
Im ersten und letzten Film dieser Trilogie wird thematisiert, dass diese Region in der Geschichte immer wieder neue Menschen angezogen und aufgenommen hat, neue Umsiedler.
Im Mittelalter wurde dieses Gebiet durch den Deutschen Ritterorden "christianisiert" und es erfolgte der erste Wechsel der Bevölkerung. Der zweite Wechsel geschah im beginnenden 18. Jahrhundert im Gefolge der Großen Pest, der ein Drittel der Bevölkerung des damaligen Ostpreußens zum Opfer fiel.
Der preußische König Friedrich Wilhelm I. lud neue Siedler ein. Es kamen Flüchtlinge aus Salzburg, Hugenotten, Niederländer und andere. In dieser Zeit sind auch die Vorfahren meiner Familie mütterlicherseits aus Hessen-Nassau nach Ostpreußen eingewandert.
Der dritte Wendepunkt war nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Wechsel der gesamten Bevölkerung dieser Region stattfand. Alle, die hier heute leben, sind Neuankömmlinge, zumindest ihre Eltern oder Großeltern. Diese historischen Tatsachen werden bei uns in Deutschland jedoch wenig zur Kenntnis genommen.
Weiterhin fällt beim Anschauen der Filme über die Menschen aus Kaliningrad auf, dass trotz des deutschen Vernichtungskrieges mit 27 Millionen Todesopfern auf sowjetischer Seite keiner der Interviewten sich negativ über Deutschland oder die Deutschen äußert.
Im Gegenteil: Immanuel Kant, der sein ganzes Leben in Ostpreußen verbracht hat, wird gelobt und als einer der Säulen der Aufklärung offenbar von vielen Kaliningradern verehrt.
Eindrücke aus Kaliningrad
Kaliningrad ist durch eine Städtepartnerschaft mit Kiel verbunden. Die Reise in unsere Partnerstadt wurde von der Freundschaftsgesellschaft West-Ost in Schleswig-Holstein e.V. organisiert.2
Dabei handelt es sich um einen Kulturverein, der sich seit fast 50 Jahren für die Völkerverständigung mit der Sowjetunion bzw. Russland einsetzt. Gerade in der jetzigen überaus schwierigen Zeit, die durch den uns alle bedrohenden Konflikt in der Ukraine und durch immer schärfere Sanktionen von westlicher Seite gegenüber Russland geprägt wird, müssen die seit vielen Jahren bestehenden Gesprächskontakte in die Russische Föderation, auch die zwischen der Kieler Gruppe der Freundschaftsgesellschaft West-Ost und ihren russischen Partnern, unbedingt aufrechterhalten werden.
Darin waren sich alle Teilnehmer unserer kleinen Reisegruppe einig und das war eine wichtige uns verbindende Motivation für unsere Reise nach Kaliningrad. Zu den Teilnehmern gehörten auch Mitglieder des Kieler Zarenvereins. Eine entscheidende Hilfe bei der Überwindung der Sprachbarrieren zwischen unseren Gastgebern in Kaliningrad und uns erhielten wir von zwei mitreisenden russischen Teilnehmerinnen, die seit längerer Zeit in Schleswig-Holstein leben.
Unsere Anreise erfolgte per Flug von Hamburg nach Gdansk und anschließend weiter mit dem Linienbus nach Kaliningrad und die Rückreise war entsprechend organisiert. Ein Teilnehmer war von Berlin aus angereist.
Anzumerken ist, dass der Zugang zu Russland über Kaliningrad derzeit die preiswerteste Lösung ist, per Auto oder auch über verschiedene Buslinien. Weiterreisen ins Kernland Russland auf dem Luftweg kann man von dort mit Inlandflügen.
In Kaliningrad wurden wir von unseren Partnern, den Mitgliedern des russischen Friedensfonds, herzlich begrüßt und mit viel Engagement während unseres achttägigen Aufenthalts sehr freundschaftlich betreut. Wie die Freundschaftsgesellschaft West-Ost in Schleswig-Holstein e. V. handelt es sich bei dem russischen Friedensfond nicht um eine staatliche, sondern um eine zivilgesellschaftliche Organisation.
Zufriedenstellend untergebracht wurden wir in einem günstigen Mittelklassehotel in einem der neu gebauten Vorstädte von Kaliningrad.
Erwähnt sei an dieser Stelle, dass mir zur Vorbereitung der Reise und zur Vertiefung der gewonnenen Eindrücke ein aktueller Reiseführer zur Verfügung stand, der viele interessante Informationen, Fotografien und ein gutes Register zu bieten hat.3
Die Oblast Kaliningrad ist flächenmäßig etwa so groß wie Schleswig-Holstein, aber mit circa 1,1 Millionen Einwohnern deutlich geringer besiedelt. Die Hauptstadt Kaliningrad ist mit etwa 500.000 Einwohnern etwa doppelt so groß wie Kiel.
Das umfangreiche Besuchsprogramm begann mit einer Stadtbesichtigung von Kaliningrad per Bus und zu Fuß und einer Hafenrundfahrt, auch durch die verschiedenen Arme der Pregel, mit einer sehr informativen deutschsprachigen Führung.
Busfahrten erfolgten in den nächsten Tagen nach Zelenogradsk (Cranz) und auf die Kurische Nehrung mit dem Besuch einer Vogelwarte mit sachkundiger Führung.
Eine weitere Bustour ging nach Sovetsk (Tilsit), der zweitgrößten Stadt der Oblast, im Grenzgebiet zu Litauen gelegen, mit einer Stadtbesichtigung und dem Blick auf die berühmte über die Memel führende Luisenbrücke, wo zu Sowjetzeiten ein reger Grenzverkehr herrschte und die derzeit nur noch mit einer Sondergenehmigung passiert werden kann.4
Eine dritte Tagestour führte uns an die Bernsteinküste nach Jantarnyi (Palmnicken), wo Bernstein in solchem Maße gefunden und gefördert wird wie sonst nirgendwo auf der Welt und wo die Bernsteingewinnung im Tagebau in einem staatlichen Betrieb erfolgt und zu besichtigen ist. Dort gibt es auch eine private Bernsteinmanufaktur mit angeschlossenem Laden mit verlockenden, relativ günstigen Angeboten. 5
Anschließend besuchten wir Svetlogorsk (Rauschen), in Russland auch "Sotschi des Nordens" genannt, mit seinen ausgedehnten und eindrucksvollen Villenbezirken an der Steilküste und einer Seilbahn, die hinunter zum Strand führt, von der mir schon meine Mutter erzählt hatte.
An den Abenden konnten wir zwei eindrucksvolle Konzerte in der ehemaligen nicht mehr für Gottesdienste genutzten Katholischen Kirche erleben, die zu einer großartigen Philharmonie umgestaltet worden ist.
In einem der Konzerte konnten wir die Lieder und Musikstücke des seit vielen Jahrzehnten in Russland überaus populären Sängers, Musikers und Schauspielers Leonid Utjossov kennenlernen, der in den 1920er Jahren auch den russischen Jazz begründet hat. Das Zweite war ein Ave-Maria-Konzert mit Orgel- und Vokalwerken von Bach, Händel, Schubert und anderen europäischen Klassikern.
An einem Vormittag haben wir gemeinsam mit unseren Freunden vom russischen Friedensfond im Park des Sieges in Kaliningrad an einer Kranzniederlegung für die Opfer des Zweiten Weltkriegs teilgenommen.
Zwei besondere Eindrücke der Reise möchte ich noch kurz erwähnen.
Zum einen haben wir ein eindrucksvoll gestaltetes Mahnmal am Strand von Jantarnyi für Tausende im Januar 1945 von der SS ermordeter jüdischer Mädchen und Frauen besucht, die aus Arbeitslagern bei Königsberg angesichts der herannahenden sowjetischen Front im Winter ohne ausreichende Bekleidung dorthin getrieben worden waren und dort umgebracht worden sind. 6
Zum anderen hat mich besonders der Dom beeindruckt, das Wahrzeichen der Stadt.7 Der Dom wurde im August 1944 von britischen Bomben getroffen, brannte vollständig aus und erlitt 1945 weitere schwere Beschädigungen.
Seit der 750-Jahrfeier der Stadt Kaliningrad im Jahre 2005 ist er einschließlich der Barockorgel wiederhergestellt und enthält als Besonderheit an seiner Außenseite das wiederhergestellte Kant-Grabmal. In seinem Inneren im Bereich der Türme ist über mehrere Stockwerke ein eindrucksvolle Kant-Museum untergebracht, das wir am 22. April zum 299. Geburtstag von Kant besuchen konnten.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.