Kamala Harris: Der Hype und die unberechenbaren US-Wahlen 2024

Kamala Harris bei ihrem Präsidentschaftswahlkampf 2019

Bild: Michael F. Hiatt / shutterstock.com

Kann sie die Gunst der Stunde nutzen? Erhöht Trumps Wahl von D.J. Vance zum Vizepräsident-Kandidaten die Chancen bei den Arbeitern? Ein Überblick.

Nach Bidens Rücktritt ist Trump die einzige bekannte Figur im Wahlkampf, und er ist nicht besonders beliebt. Mit der Wahl von J.D. Vance zu seinem Vizepräsidenten erhofft sich Trump nun einen besseren Draht zur Arbeiterklasse im Mittleren Westen. Dass der Mann aus Ohio diesem Anspruch gerecht wird, kann allerdings bezweifelt werden.

Umfragen: Trump in Swing States vorne

Zwar liegen die Republikaner in Umfragen vorn, aber die Demokraten erleben mit Kamala Harris derzeit ein neues Aufmerksamkeitshoch. Ob sich das bis November in Wählerstimmen übersetzt, ist die große Frage zum Kamala-Höhenflug.

Bidens Entscheidung, seine Kandidatur zurückzuziehen, traf er, nachdem jüngste Umfragen seiner Vizepräsidentin Kamala Harris bessere Chancen eingeräumt hatten, Trump im November in den wichtigsten Swing States zu schlagen. In den meisten Umfragen liegt Trump jedoch weiterhin in fast allen Swing States vor der neuen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten.

Unterstützung für Harris

Bidens Rückzugserklärung kam ohne Vorwarnung und per Brief. Vermutlich wollte Biden eine ruhige Übergabe an Harris sicherstellen und das Zeitfenster für potenzielle Herausforderer vor dem Parteitag der Demokraten möglichst klein halten. Bislang ist das auch gelungen, Kamala Harris erhält bisher jede erdenkliche Unterstützung.

Unter anderem von demokratischen Politikern, die einst als mögliche Gegenkandidaten gehandelt wurden, darunter die Gouverneure Gretchen Whitmer und Josh Shapiro aus Pennsylvania. Harris hat gerade erst die Rolle der Spitzenkandidatin übernommen, und niemand weiß so recht, wie sich der Führungswechsel auf die Chancen der Demokraten auf einen Wahlsieg auswirken wird.

Einige Pressestimmen vermuten, dass Harris’ Kandidatur den Demokraten wichtige Stimmen der schwarzen Bevölkerung und anderer nichtweißer Gruppen sichern könnte.

Die New York Times ist sich da nicht so sicher. Harris könnte davon profitieren, dass sie nun die junge Kandidatin im Rennen um das Weiße Haus ist und den Vorwurf der Altersschwäche gegen Trump wenden.

Auch kann sie sich besser als ihr Vorgänger mit den Republikanern über ein wichtiges Thema, das Recht auf Abtreibung, auseinandersetzen. Sicher ist, dass die frisch gekürte Kandidatin viel Arbeit vor sich hat.

Harris' Nachteile

Harris‘ Loyalität zu Biden könnte sie teuer zu stehen kommen. Bis zuletzt hatte die Vizepräsidentin Präsident Joe Biden gegen den Vorwurf der Altersschwäche verteidigt, während die ganze Nation zusah, wie sich der alternde Präsident immer wieder vor laufenden Kameras blamierte.

Die Republikaner werden ihrerseits versuchen, ihr die Rolle als Bidens Vizepräsidentin anzulasten. Denn in den Augen der Trump-Wähler ist Harris die Radikale in der "linken" Biden-Administration.

Trotz aller Nachteile hat Harris eine realistische Chance, die erste Präsidentin der USA zu werden. Denn bei all dem Drama um die Demokraten vergisst man schnell: Auch Donald Trump ist ein unbeliebter Präsidentschaftskandidat.

J.D. Vance: Eine ungewöhnliche Allianz und ein Rätsel

Denn auch wenn die Demokraten Donald Trump aus politischem Eigeninteresse bisweilen zur unaufhaltbaren, unaufhaltsamen politischen Maschine erklären, hat er bei den Republikanern spätestens seit dem gescheiterten Attentat auf sein Leben "Mythenstatus" erreicht.

Dennoch dürfte es Trump schwerfallen, die unentschiedenen Wähler von seiner politischen Botschaft zu überzeugen. Auch wenn er in seiner Rede auf dem Parteitag der Republikaner versuchte, einen neuen Ton anzuschlagen.

Umso unverständlicher ist Trumps Wahl eines möglichen Vizepräsidenten. Die Entscheidung für den Senator aus Ohio, J.D. Vance, für die Position des Vizepräsidenten wirft Fragen auf. In den Swing States dürfte der Rechtspopulist kaum helfen, gemäßigtere republikanische Wähler zu mobilisieren.

"Weitgehend unbekannt"

Einige republikanische Strategen behaupten sogar, dass Vance in den wichtigen Swing States des Mittleren Westens noch weitgehend unbekannt sei. Andere Stimmen, wie die New York Times, behaupten, Trump habe gerade seinen Thronfolger ausgewählt. Fest steht, dass die sogenannte Neue Rechte mit J.D. Vance einen Vertreter im innersten Zirkel einer möglichen Trump-Administration hat.

Die politische Karriere von J.D. Vance zeichnet das Bild eines geradezu lächerlich opportunistischen Karrieristen. Einer, der ein ganzes Buch darüber geschrieben hat, wie sehr er sich für seine einfache Herkunft geschämt hat. Nun aber soll seine ländlische Herkunft der Trump-Kampagne Authentizität und Volksnähe verleihen.

Die soziale Herkunft und das Einsetzen für die Arbeiter

Damit rückt seine soziale Herkunft zumindest rhetorisch wieder ins Zentrum seiner politischen Vision. Und so wird seine Familie in seiner Rede auf dem republikanischen Parteitag zum sozialen Anker, der Vance mit einer Schicht verbinden soll, die er eigentlich hinter sich lassen wollte.

In seiner Rede auf dem republikanischen Parteitag erklärte Vance, dass die Menschen im amerikanischen Kernland eine Führungspersönlichkeit bräuchten, jemanden, der nicht in der Tasche des Großkapitals säße, sondern sich für die Arbeiter einsetze, egal ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht.

Eine Führungspersönlichkeit, die sich nicht an multinationale Konzerne verkauft, sondern sich für US-amerikanische Unternehmen und die US-amerikanische Industrie einsetzt. Vances Rede klang an manchen Stellen fast sozialistisch.

Die Wirklichkeit der Abstimmungen und Peter Thiel im Hintergrund

In Wirklichkeit aber hat Vance bei fast jeder Gelegenheit gegen die Interessen der Arbeitnehmer gestimmt. Schaut man sich den sozialen Aufstieg von J.D. Vance jedoch etwas genauer an, könnte man schnell den Eindruck gewinnen, dass die Loyalitäten des Senators aus Ohio ganz woanders liegen.

Denn ganz ohne Hilfe hat es das Wunderkind vom Land nicht geschafft. Diese kam in Gestalt des Multimilliardärs Peter Thiel, der Vance aus der Bedeutungslosigkeit in die Sphäre der politischen Macht hievte. Thiel finanzierte nicht nur Vances erstes Start-up, sondern unterstützte auch seine politische Karriere mit 15 Millionen US-Dollar an Wahlspenden.

Aber Vance trifft einen Nerv

Trotz dieser Widersprüche dürfte Vance bei vielen weißen Angehörigen der abgehängten Gesellschaftsschichten einen Nerv treffen.

Vance hat nicht unbedingt Unrecht, wenn er behauptet, dass die Kluft zwischen den wenigen, die in Washington Macht und Komfort genießen, und dem Rest seit Jahrzehnten wächst. Dass er sich selbst rhetorisch auf der Seite des "Restes" verortet, mag den einen wie blanker Hohn vorkommen, andere dürften sich zumindest verstanden fühlen.

Die Neue Rechte der USA

Der Grund für diese verwirrend anmutende Gemengelage politischer Meinungen: J.D. Vance ist ein Vertreter der "New Right", einer bunt zusammengewürfelten Gruppe konservativer Intellektueller und Aktivisten.

Die Gruppe stimmt in politischen Fragen weitgehend mit Trump überein. Sie teilen Trumps Wirtschaftsnationalismus, seine strikte Ablehnung jeglicher Einwanderung, seine Skepsis gegenüber dem militärischen Engagement der USA im Ausland und unterstützen ihn bei der Eskalation des Kulturkampfes im eigenen Land.

Die Begründung ihres politischen Programms verortet die Neue Rechte jedoch in eher obskuren intellektuellen Quellen der Internetkultur, darunter die Schriften von Peter Thiels Hausphilosophen Curtis Yarvin.

Trotz ihrer Anfänge als rechte Internetphilosophie hat die New Right einen weitreichenden Geltungsanspruch und wird deshalb von einigen ihrer wichtigsten Vertreter sogar als New Center bezeichnet.

Die ehemalige Randgruppe strebt danach, zu einer breiteren politischen Koalition zu werden, die einen arbeitnehmerfreundlichen Kurs verfolgt und sogar die Gewerkschaften mit ins Boot holen will.

Vielleicht hat dieses neue arbeiterfreundliche Klima-Teamster-Chef Sean O’Brien zum Parteitag der Republikaner gelockt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Gewerkschaften die Demokraten daran erinnern wollen, dass ihre Unterstützung auf Gegenleistungen beruht.

Aussichten

Die Zeit bis zu den Wahlen im November dürfte kaum ausreichen, um die New Right unter der Führung von J.D. Vance zu einer breiten politischen Massenbewegung werden zu lassen. Es ist auch fraglich, inwieweit J.D. Vance überhaupt Einfluss auf seinen direkten Vorgesetzten hätte.

Wahrscheinlicher ist, dass sich Vance bedingungslos den Launen seines Vorgesetzten unterwerfen muss, denn Trump hat keine wirklichen politischen Überzeugungen. Für ihn zählt nur Loyalität, was in Trumps Welt bedingungslosen Gehorsam bedeutet.

Vance hingegen hat immer wieder bewiesen, dass er sich anpassen, ja sogar verbiegen kann, wenn es seiner Karriere dient. Bei den Demokraten ist noch alles offen.

Kamala Harris hatte bisher nicht einmal Zeit, einen Running Mate zu bestimmen.