Kampf um die Artenvielfalt
Forschungslabors versus Kleinbauern
Auch Indien ist eingestiegen in den Wettlauf um die Pflanzenpatente. Allerdings hat der Newcomer schlechte Karten: 85 Prozent aller Patente werden in der EU, den USA und Japan angemeldet. Dr. Mangani Rao ist 80 Jahre alt und einer der Architekten der sogenannten „Grünen Revolution“ in Indien. Hochertragssorten, chemische Kunstdünger und Pestizide überschwemmten danach, in den 60er Jahren, den Subkontinent. Heute arbeitet Dr. Rao für das indisch-niederländische Forschungsinstitut Agri-Biotech in Hyderabad, das seine Forschungsergebnisse auch Privatunternehmen zur Verfügung stellt. Nicht Mais, Weizen, Soja oder Rapssorten werden vom Agri-Biotech-Institut patentiert, sondern Feldfrüchte wie Hirse oder Bohnen, die auch von indischen Kleinbauern angebaut werden.
„Wir haben schon viele Gene in diesen Pflanzen identifiziert und werden sie bald in unseren Züchtungen anwenden. Das passiert gerade an ganz vielen Orten in Indien. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden wir einige neue Sorten an die Bauern herausgeben, mit Genen, die diese Resistenz gegen Trockenheit aufweisen. Das lassen wir uns patentieren, wie alle Hochtechnologien. Das macht jedes Land so. Bei der Welthandelsorganisation sind die geistigen Eigentumsrechte verankert, und wir halten uns daran. Wir sammeln alle genetischen Ressourcen, konservieren sie, identifizieren ihren genetischen Fingerabdruck. Nichts anderes machen auch die Industrieländer. Das ist ein regelrechter Wettlauf. Vorbei sind die Tage, wo es noch einen freien Austausch des biologischen Materials gab.
Mangani Rao im Interview mit dem Autor am 25.10.2007 in Hyderabad
Bei der UN-Biodiversitätskonferenz vom 19.Mai bis zum 30.Mai in Bonn, geht es um den Schutz der Artenvielfalt, um die nachhaltige Nutzung der Natur, und um die Zugangsregelungen und den gerechten Ausgleich von Vorteilen, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Große Ziele hat sich die UN-Artenschutzkonferenz gesteckt: Die 9.Konferenz der 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention über biologische Vielfalt will das rasante Artensterben aufhalten. Das tut Not, denn das 20.Jahrhundert mit seinem alles niedertrampelnden Fortschritt hat Spuren hinterlassen:
Nach Schätzungen von Wissenschaftlern sind allein 75 Prozent aller Nutzpflanzensorten im vergangenen Jahrhundert unwiederbringlich verloren gegangen, durch Industrialisierung, monokulturelle Landwirtschaft, Urbanisierung und Verkehr. Und die Vereinheitlichung der Produktion schreitet weiter voran: Die Agrarindustrie etwa setzt auf wenige Pflanzensorten, mit denen sich auf dem Weltmarkt viel Geld verdienen lässt - allerdings nur, wenn Gentechnik, Kunstdünger und Pestizide schrankenlos zum Einsatz kommen. Die mehr als eine Milliarde Kleinbauern, Hirten und Sammler weltweit, die auch die UN-Konferenz mittlerweile als Hüter der Artenvielfalt anerkennt, verschwänden dann nach und nach.
Noch leben sie vor allem in den Ländern des Südens. Dort finden sich auch die artenreichsten Gebiete. Sie wecken nicht nur den Appetit der Saatgutkonzerne, sondern auch den der hiesigen Chemie- und Pharmaunternehmen: 500 Milliarden Dollar jährlich beträgt allein das Handelsvolumen mit Medikamenten auf pflanzlicher Basis. Viele der pflanzlichen Wirkstoffe stammen aus diesen artenreichen Regionen des Südens – ohne dass die Bewohner jemals an den Gewinnen beteiligt worden wären.
Ein Beispiel: Eine Karlsruher Firma hält seit zwei Jahren ein Patent auf den Wirkstoff Umckaloabo. Das ist ein Hustensaft, der aus der südafrikanischen Geranie Pelargonium gewonnen wird. Südafrikaner, die aus der Pflanze seit Jahrhunderten ihren Hustensaft brauen, sammeln sie nun für einen mageren Lohn ein. Die ersten Tinkturen aus der Pelargonie kamen bereits Anfang des 20.Jahrhunderts nach Europa. In Deutschland werden sie heute patentgerecht verarbeitet. Nun klagen Südafrikaner gegen das Unternehmen. Ihr Vorwurf: Diebstahl traditionellen Wissens.
Regelung der Zugangs- und Schutzrechte
Dieben soll künftig genauer auf die Finger geschaut werden, und zwar mit ABS. Wenn davon auf der Artenschutzkonferenz in Bonn die Rede ist, geht es nicht um ein neues Bremssystem, sondern um den geregelten Zugang zu Wirkstoffen, traditionellem Wissen und genetischen Ressourcen. Bei einer kommerziellen Nutzung sollen Ausgleichszahlungen an die Staaten fließen, aus denen das Material stammt. In Bonn heißt das Access and Benefit Sharing, kurz ABS.
Gefördert wird das ABS u.a. vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Mit ABS, so verlautet es aus dem Ministerium, könne die Armut in den Entwicklungsländern bekämpft werden. Außerdem entständen neue Geschäftschancen für die Konzerne im Norden und die Staaten im Süden.
Einige Nichtregierungsorganisationen wollen mit dem ABS die kollektiven Zugriffsrechte der lokalen Bevölkerung absichern. Sie soll das Recht erhalten, umfassend über die Absichten von Konzernen oder Forschungsinstituten informiert zu werden und soll dann auch „Nein“ sagen dürfen, wenn diese Zugriff haben wollen.
Aber noch sind viele Verhandlungsgrundlagen ungeklärt: Das ABS-Abkommen, das spätestens 2010 von den Vertragsstaaten verabschiedet werden soll, macht zunächst die Staaten selbst zu Nutznießern. Ungewiss ist, ob und wie viel Geld überhaupt bei den lokalen Gemeinschaften ankommt. Und das Abkommen soll nur für die Zukunft gelten und nicht für die Gensequenzen und Pflanzen, die schon in den Genbanken und Forschungslaboren des Westens lagern. ABS trägt, sagt Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, eindeutig die Handschrift der Industrie. Zugangsrechte seien wichtiger als Schutzrechte der indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften.
Für jeden ein Stück vom Kuchen?
Diese Zugangsrechte auf genetische Ressourcen und deren Patentierung stellen für die Artenvielfalt eine große Bedrohung dar. Denn Pharma- und Saatgutkonzerne drängen mit Hilfe der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) oder dem Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) in der Welthandelsorganisation danach, ihren Patenten internationale Geltung zu verschaffen.
„Für jeden ist ein Stück vom Kuchen da“, sangen die kölschen Höhner zur Eröffnung der UN-Konferenz. Die Organisatoren hatten die Musikgruppe damit beauftragt, anlässlich der Artenschutzkonferenz ein Lied zu komponieren. Wie dieses Lied erweckt auch ABS den Eindruck, dass die Schutzinteressen der lokalen Bevölkerung und das Zugangsinteresse der privaten und sogenannten öffentlichen Forschung vereinbar sind. Eine Win-win-Situation, würden neoliberale Ökonomen sagen.
La Via Campesina, der Dachverband der Kleinbauernorganisationen, hält davon nichts. Auf Kundgebungen vor den Toren des Konferenzgebäudes in Bonn machen die Kleinbauern ihre Kritik deutlich: Grundlage des ABS seien Patente und Zertifikate, also private Eigentumsrechte an Gensequenzen, Pflanzen und Saatgut. Aber genetische Ressourcen seien gar nicht privatisierbar, sondern kollektives Eigentum indigener und bäuerlicher Gemeinschaften, die zum Beispiel in Afrika, Asien, Lateinamerika und einigen Nischen Europas bis heute ihr Saatgut tauschen. Sind Pflanzen und Saatgut einmal patentiert, ist es im Geltungsbereich der Patente mit dem freien Tausch vorbei. Dann wollen die Saatguthersteller Lizenzgebühren kassieren.