Kanada: Sterbehilfe für Drogenabhängige?

Das Gesetz zur medizinischen Sterbehilfe soll auf psychische Erkrankungen erweitert werden. Auch Drogenabhängigkeit wird ins Spiel gebracht. Eine Debatte über Abgründen.

Die Debatte über Sterbehilfe in Kanada führt an Abgründe. Im Sommer dieses Jahres war es die Frage, ob Arme zum Tode gedrängt werden? Die kanadische Öffentlichkeit wurde mit Aussagen von Personen konfrontiert, die ihren Antrag zur Sterbehilfe mit einer finanziellen Not und einem Zwang begründeten. Ein Beispiel:

Durch die Regelung der Sterbehilfe in Kanada habe ich erfahren, dass mir die Pflege und Unterstützung fehlt, die ich zum Leben brauche. (…) Ich wurde durch Missbrauch, Vernachlässigung, mangelnde Pflege und Drohungen zur Sterbehilfe gezwungen.

Roger Foley

Dies sagte der Mann vor dem ständigen Ausschuss für Justiz und Menschenrechte. Es gab in der Debatte noch drastischere und bittere Anklagen gegen die Gesundheitsversorgung: "Die Regierung sieht mich als überflüssigen Abschaum, als Nörgler, als nutzlos und als Nervensäge an."

Unbenommen davon, wie repräsentativ solche Aussagen zum Sterbehilfegesetz in Kanada (Medical Assistance in Dying, MAID) sind, sprechen sie heikle Punkte an. Die kommen jetzt neu bei anders gelagerten Fällen in die Debatte: bei unheilbar Drogenabhängigen.

Düstere Vision

Das MAID-Gesetz soll – nach einem verlängerten zweijährigen Ausschluss – um psychische Erkrankungen erweitert werden. Die Abstimmung im Parlament ist für März nächsten Jahres angesetzt. Wie das US-Medium Vice berichtet, gibt es Vorstöße, dass damit auch schwer Drogenabhängige in den Kreis der Antragsberechtigten aufgenommen werden.

Wie der Abgrund dazu aussieht, formuliert ein Kommentator der konservativen kanadischen Publikation National Post mit einer düsteren Vision, wonach bald Euthanasie-Vans durch Stadtviertel fahren, die als Aufenthaltsort für Drogenabhängige bekannt sind.

Natürlich könne davon nicht die Rede sein, so Chris Selley: "Aber von etwas, das vielleicht 50 Prozent so entsetzlich ist? Ich würde nicht dagegen wetten."

Grund: Ihm gibt zweierlei zu denken. Einmal, die Argumentation, die besonders auf Gleichberechtigung setzt und dann die "beträchtlichen Einsparungen beim Gesundheitssystem", die schon bei der früheren Diskussion zur Sprache kam. Was er mit Gleichberechtigung meint, führt der Kommentator so aus:

Es gibt diejenigen, die dies als eine einfache Frage der Gleichberechtigung im Rahmen der Charta betrachten: In demselben Sinne, in dem die Regierung jemandem keinen Pass verweigern kann, weil er eher schwarz als weiß ist, kann die Regierung jemandem keine MAID verweigern, weil er eher eine psychische als eine physische Krankheit hat.

Chris Selley, National Post

Man habe bei MAID den Faden verloren, weil man es zu einer Frage der Rechte und nicht der medizinischen Versorgung gemacht hat, so der Einwand Selleys.

Fürsprecher der Sterbehilfe in Kanada

Als Fürsprecher zitiert Vice David Martell vor, einen Spezialisten für Suchtkrankheiten bei Nova Scotia Health und einen der ersten MAID-Anbieter in Kanada, der für Gleichberechtigung argumentiert:

Es ist nicht fair, Menschen von der Förderung auszuschließen, nur weil ihre psychische Störung entweder teilweise oder vollständig eine Störung des Drogenkonsums ist. Es geht um die Gleichbehandlung der Menschen.

David Martell

Kritiker, die gegen die Aufnahme von Drogensüchtigen in die Antragsberechtigten sind, machen darauf aufmerksam, dass die kanadische Regierung auch die Versorgung der Suchtkranken verbessern könnte, etwa durch Methadon-Ersatz.

Wie steht es um die Selbsteinschätzung?

Außerdem gibt es die ganz große Frage, wie es um die Selbstschätzung von generell von schwer psychisch Erkrankten und besonders von Drogensüchtigen steht. Das ist ein schwieriges Feld, in dem Gruppenzwänge wie auch die gegenwärtige Moral der Gesellschaft – wer soll unterstützt werden, wer wird bei knappen Kassen als "nicht förderungswürdig" angesehen? – eine enorme Rolle spielen.

Zwar basiert der Zugang zur Sterbehilfe laut Gesetz auf Freiwilligkeit und auf festgesetzten Kriterien, aber, wie es die Erfahrung lehrt, sind Experten, die Gutachten ausstellen, nicht frei von gesellschaftlichen Entwicklungen und Tendenzen.

Und wie die Diskussion im Sommer vorführt, steht die Selbsteinschätzung, die lieber den Tod wählt, sehr wohl in Zusammenhang von gesellschaftlichen und staatlichen Bedingungen, die auch ein anderes Leben ermöglichen könnten.

Derzeit haben Personen Anspruch auf eine MAID, wenn sie an einem "ernsten und unheilbaren medizinischen Zustand" leiden, an einer schweren Krankheit oder Behinderung, die zu einem "fortgeschrittenen und irreversiblen Verfall" geführt hat und anhaltende physische oder psychische Leiden verursacht. Wer eine MAID erhält, muss sich neben anderen Kriterien zwei Begutachtungen durch unabhängige Gesundheitsdienstleister unterziehen.

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