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Kann die Friedensbewegung wieder an Bedeutung gewinnen?

Bedenken vor Eskalation des Ukraine-Kriegs nehmen zu. Doch die internationale Friedensbewegung bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Einige Gründe zeigten sich unlängst in Wien.

Vor einer Woche fand in Wien eine internationale Friedenskonferenz mit hunderten Teilnehmern aus 35 Ländern statt. Ziel dieses Kongresses sollte auch die Verabschiedung einer "Wiener Erklärung für den Frieden" sein.

Doch schon im Vorfeld tauchte ein erstes Problem auf. Nur zwei Tage vor der Konferenz sagte der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) überraschend die bereits zugesagten Räumlichkeiten ab, da dort unliebsame Redner wie der US-Ökonom Jeffrey Sachs auftreten würden.

Der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, verteidigte diese Entscheidung mit der Teilnahme von Rednern wie Sachs, die eine einseitige Sicht auf den Krieg in der Ukraine hätten. Auch fehle in den "vorliegenden Papieren der Konferenz (...) eindeutig, dass ein dauerhafter und umfassender Frieden nur im Einklang mit dem Völkerrecht und der Befreiung aller von Russland besetzten Gebiete möglich ist".

Dann sagte der Presseclub Concordia die Pressekonferenz mit der Begründung ab, es gehe "um die Personen, die auf dieser Konferenz angekündigt sind und wo sie sonst auftreten, nämlich nach dem 24. Februar 2022 in den Propagandamedien des Kreml, wo zum Massenmord an der ukrainischen Zivilbevölkerung aufgerufen wird".

Nun hat sich Jeffrey Sachs vom russischen Propagandisten Wladimir Solowjow ins Fernsehen einladen lassen - einem Hetzer, der einen Angriff auch auf Deutschland fordert. Das kann man ihm vorwerfen. Gleichzeitig gelingt es Sachs aber, die Geschichte des Ukraine-Krieges aus einer US-kritischen Perspektive kenntnisreich zu dokumentieren.

Seine Einseitigkeit sollte daher weder dem ukrainischen Botschafter noch den Gewerkschaften als Argument dienen, eine solche internationale Friedenskonferenz zu blockieren.

Insbesondere den Gewerkschaften (ÖGB) ist vorzuwerfen, dass sie sich dem politischen Druck gebeugt haben. Sie hätten Gewerkschafter zum Kongress entsenden und dort kritisch gegen die Einseitigkeit von Sachs argumentieren können. Dort hätte es sicherlich auch Redemöglichkeiten für Gewerkschaftsvertreter gegeben.

Man kann also feststellen, dass in einer Gesellschaft mit einem klaren demokratischen Anspruch versucht wurde, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine auf undemokratische Weise und auch durch die Intervention des ukrainischen Botschafters zu verhindern.

Den Veranstaltern, u.a. dem International Peace Bureau (IPB), der Women’s International League for Peace & Freedom (WILPF), CODEPINK (USA) und der österreichischen Aktionsgemeinschaft für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit (AbFaNG), gelang es jedoch, kurzfristig neue Räumlichkeiten zu finden, so dass die Veranstaltung dennoch stattfinden konnte.

Stellungnahmen auch von Kriegsexilanten

Während der Konferenz gelang es den Veranstaltern, Vertreter der Friedensbewegung und der Politik aus vielen Ländern per Video oder live zu präsentieren.

Wichtige Statements kamen insbesondere von Rednerinnen und Rednern, die zum Teil im Exil leben und aus vom Krieg in der Ukraine direkt betroffenen Staaten stammen - einige Beispiele:

- Karyna Radchenko (Ukraine), Partnership for Advancing Innovative Sustainability: "Nichts kann den Einsatz von Waffen gegen Zivilisten rechtfertigen. Nichts kann diese Invasion rechtfertigen."

- Oleg Bodrov (Russland): "In der Ostseeregion gibt es 32 Atomwaffen. (...) Wir können keine Feinde sein."

- Nina Potarska (Ukraine): "Frieden ist nicht, wenn das Schießen aufhört. (...) Die Ukrainer wollen Garantien für einen Waffenstillstand".

- Yurii Sheliazhenko (Ukraine), Ukrainische Friedensbewegung: "Friedensarbeit bedeutet, Feinde in Freunde zu verwandeln. (...) Krieg ist Töten, Krieg ist ein Verbrechen".

- Olga Karach (Belarus): "Wir haben keine Zeit für die Probleme der Frauen, für die Probleme des Klimawandels, weil der Krieg herrscht."

Doch der Tenor der Tagung - vor allem in den Plenumsbeiträgen - lag auf der Kritik des Westens und dessen Schuld bei der Entstehung des Kriegs in der Ukraine – auch hier einige Beispiele:

- Jeffrey Sachs (USA): "Der Krieg soll Russland schwächen. (...) "Die USA denken nicht an die Ukraine, sondern daran, Russland zu schwächen. (…) Die USA haben die Verhandlungen abgebrochen."

- Noam Chomsky (USA) plädierte "für eine bessere Verhandlungsposition" und forderte ein Ende des "anhaltenden Gemetzels und der Zerstörung".

- Prof. Anuradha Chenoy (Indien): "Der Frieden ist da, wenn der Westen ihn will."

Die von den Organisatoren selbst erstellte und leider nicht im Plenum diskutierte Abschlusserklärung beschränkte ihre Kritik an dem russischen Angriff auf die Ukraine auf den knappen Satz "We condemn Russia’s illegal invasion of Ukraine."

Die Forderung nach dem Abzug der russischen Truppen und der Einstellung der russischen Luftangriffe fehlte jedoch. Hier wäre eine Öffnung zu weiteren politischen Positionen besser gewesen, wenn man den zuvor medial geäußerten Verdacht der politischen Einseitigkeit hätte zerstreuen wollen.

Perspektiven für die internationale Friedensbewegung

Was lässt sich nun aus dem Verlauf und den Inhalten dieser internationalen Konferenz für die Perspektiven der internationalen Friedensbewegung ableiten?

Die Hauptgegner sind nach wie vor die Nato und die USA sowie die EU - also die Hauptakteure des sogenannten Westens. Der brutale Imperialismus Russlands wird in den meisten Redebeiträgen ausgeklammert. Nur wenige weisen darauf hin, dass es sich bei der gegenwärtigen russischen Regierung und den mit ihr verbundenen Institutionen um ein autoritäres Regime handelt, das seine Opposition nach innen repressiv ausschaltet und nach außen imperialistisch-aggressiv agiert.

Die Kritik an den völkerrechtswidrigen Kriegen der USA wie dem Vietnamkrieg oder dem zweiten Irakkrieg ist nachvollziehbar und berechtigt. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Russische Föderation in ihren Nachbarstaat mit dem Ziel einmarschiert, die Staatlichkeit der Ukraine zu zerstören.

Das russische Militär und unter anderem die Privatarmee der Wagner-Gruppe haben dies mit unglaublicher Brutalität gegen die ukrainische Zivilbevölkerung getan.

Auch die völkische Ideologie und die rassistische Überhöhung des Russentums in Verbindung mit russischen Großmachtambitionen müssten von der Friedensbewegung beim Namen genannt werden, wenn sie aus der ideologischen Sackgasse und der geopolitischen Einseitigkeit, in der sie sich noch immer befindet, herauskommen will.

Das bedeutet - um nicht missverstanden zu werden - nicht, die ökonomischen und geopolitischen Interessen des Westens zu verschweigen.

Die Profite des militärisch-industriellen Komplexes, die Bewirtschaftung riesiger ukrainischer Agrarflächen durch US-Konzerne, Bodenschätze wie Lithium, Grafit und Kobalt sowie verschiedene Seltene Erden, Profite aus einem Wiederaufbau und Strategien geopolitischer Konkurrenz spielen sicherlich eine Rolle.

Dies gilt sowohl für das bisherige Desinteresse der US-Regierung an ernsthaften Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung als auch für die westliche Einmischung in die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022.

Nur ein ukrainischer Sieg würde diesen wirtschaftlichen und politischen Interessen dienen. Auch dies muss kritisch analysiert und deutlich angesprochen werden.

Für die Friedensbewegung sollte daher gelten: Das eine nicht lassen, aber auch das andere tun. Die westlichen Interessen und die Ablehnung diplomatischer Verhandlungsergebnisse einerseits und die Verurteilung der russischen Aggression als völkerrechtswidrig, verbunden mit der Forderung nach Rückzug des russischen Militärs aus dem ukrainischen Territorium, andererseits müssen von der Friedensbewegung angemessen thematisiert werden.

Wenn dies der Öffentlichkeit glaubhaft vermittelt werden kann, wird die Friedensbewegung wieder aus ihrem Schattendasein heraustreten können und den Zulauf und die Unterstützung erhalten, die die brutale Problematik der derzeit weltweit geführten Kriege verdient.

Diese Einschätzung wird manchen ideologischen Hardlinern nicht gefallen, die aus alter Verbundenheit immer noch meinen, die russische Regierung und Putin seien in der gegenwärtigen Situation zu unterstützen und es handele sich vor allem um einen US-imperialistischen Stellvertreterkrieg. Im Interesse des Weltfriedens und letztlich auch im Interesse der internationalen Friedensbewegung ist aber eine kritische Perspektive auf beide Seiten zu fordern.

In diesem Sinne schreibt auch die österreichische Journalistin Anna Giulia Fink in ihrem Kommentar in der Tageszeitung Der Standard:

Die alte Friedensbewegung mag es gut meinen in ihren Absichten: Tatsächlich sollte alles versucht werden, um ernsthafte Initiativen für Verhandlungen zu ermöglichen. (…) Zwar wird Moskau als Aggressor bezeichnet, aber nicht alle gestehen der Ukraine das Recht zu, fremde Streitkräfte aus dem eigenen Land zu vertreiben. Mehr noch: Kiew wird Mitschuld an der Invasion gegeben. Diese Weigerung, die Positionen des unbedingten Pazifismus zu hinterfragen, ist gefährlich: Sie macht blind für russische Kriegsverbrechen. Diese waren bei der sogenannten Friedenskonferenz nur am Rande Thema.

Trotz aller westlichen Interessen an der Ukraine und aller historisch gegebenen und gebrochenen Versprechen: Ziel der Verhandlungen muss sein, dass sich das russische Militär so weit wie möglich in Richtung der eigenen Staatsgrenzen zurückzieht, dass beide Staaten die Kampfhandlungen einstellen, dass eine international zu schützende entmilitarisierte Zone an der russischen Ostgrenze zur Ukraine eingerichtet wird und dass über den Status der Krim und der anderen russisch besetzten Gebiete verhandelt wird.

Das sollten zentrale Forderungen der internationalen Friedensbewegung sein. Bis dahin aber muss die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung gegen einen übermächtigen Aggressor unterstützt werden - allerdings ohne Waffen zu liefern, die den Krieg weiter eskalieren und völlig unkontrollierbar machen können.

Ausgeschlossen werden sollten daher Lieferungen von Kampfflugzeugen, weil damit Angriffe auf russisch besetztes und innerrussisches Gebiet möglich und wahrscheinlich werden.

Dann ist der Point of no Return erreicht und die Eskalationsdynamik nicht mehr kontrollierbar. Zwangsläufig werden dann die Stimmen noch lauter werden, auch Nato-Soldaten in größerem Umfang zu entsenden.

Hier zeigt sich, wie wichtig es wäre, eine immer größer werdende zivilgesellschaftliche Friedensbewegung zu haben, die die Problematik differenziert und multiperspektivisch wahrnehmen kann und die herrschende Politik zunehmend unter Druck setzt, den verhängnisvollen bellizistischen Eskalationskurs zu verlassen.

Waffenstillstandsverhandlungen müssen so schnell wie möglich beginnen und auch durch internationalen Druck und die Vermittlung der dafür zuständigen internationalen Organisationen (Vereinte Nationen und OSZE) erreicht werden [1].

Wie wichtig ist die internationale Friedensbewegung?

Das Problem ist, dass die Ukraine angegriffen worden ist. Nicht die Amerikaner haben die russische Grenze überschritten, sondern die Russische Föderation hat die ukrainische Grenze überschritten. Die Russische Föderation hat sich völkerrechtswidrig vier ukrainische Regionen angeeignet und in ihr Staatsgebiet eingegliedert. Während der Invasion und Besetzung haben russische Akteure zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

All dies darf man nicht verdrängen und sich einseitig auf die Seite des Aggressors stellen oder diesen Ausbruch aus einer rechtsbasierten Weltordnung relativieren, weil man die Geschichte der brutalen US-amerikanischen Aggressionen und deren Missachtung der internationalen Rechtsordnung in der Vergangenheit kennt.

Wenn aber (organisierte) Teile der Friedensbewegung dies einseitig tun und dort auch versuchen, die entscheidenden Machtpositionen zu besetzen, dann verprellt man potentielle zukünftige Teilnehmer an Friedensaktionen, die mitarbeiten und sich ein eigenständiges kritisches Bild machen wollen. Die Friedensbewegung wird dann auch in der Öffentlichkeit nicht ernst genommen oder medial weiter bekämpft.

Der Weg aus der Sackgasse führt für die Friedensbewegung über präzise und abgestufte Forderungen zu einem Friedensprozess, der sich präzise am Völkerrecht und insbesondere an der UN-Charta orientiert. Alles andere ist aus meiner Sicht kontraproduktiv und nicht im Interesse der angegriffenen ukrainischen Zivilgesellschaft und der Teile der Welt, die am meisten unter diesem Krieg zu leiden haben.

Deutschland und seine (Ampel-)Regierung sind ein wichtiger internationaler Akteur mit erheblichem Einfluss auf EU-Entscheidungen, aber auch auf Prozesse im internationalen Kontext. Vorrangiger Adressat der deutschen Friedensbewegung sollte daher zunächst die deutsche Bundesregierung sein. Andere nationale Friedensbewegungen sollten entsprechend Druck auf ihre Regierungen ausüben.

Die internationale Friedensbewegung sollte sich vor allem an die UNO, die OSZE und die EU wenden.

Die zivilgesellschaftliche Bewegung gegen den Vietnamkrieg, aber auch die Massenproteste gegen die Raketenstationierung in Europa waren sehr erfolgreich und könnten (mit Einschränkungen) Vorbild für eine solche Bewegung sein.

Die Frage, wie die internationale Friedensbewegung aus der Sackgasse herausfinden kann, ist keine vorwiegend theoretische und abstrakte Frage, sondern berührt unser aller existentielles Interesse. Die aktuelle, sich ständig beschleunigende Eskalationsdynamik des Krieges in der Ukraine zeigt, wie wichtig ein zivilgesellschaftlicher Gegenpol zu den Politikern wäre, die diese Eskalation befeuern.

Dies alles macht aber nur Sinn und ist nur dann wirksam, wenn die Friedensbewegung zahlenmäßig wieder wächst. Dies wird aber nur mit einer unabhängigen und jeden Machtmissbrauch kritisierenden Friedensbewegung der Fall sein. Dazu wird es notwendig sein, die Machtstrukturen der gegenwärtigen Friedensbewegung kritisch zu analysieren und zu rekonstruieren, wie kritische Positionen von den gegenwärtigen Schwerpunkten der Friedensbewegung kanalisiert oder unterdrückt werden.

Eine Öffnung der Diskussion für ein breiteres friedenspolitisches Spektrum ist die Voraussetzung für eine Verbreiterung der Friedensbewegung und die Einbeziehung von Menschen, die sich selbst nicht als klassisch links verstehen. Es geht darum, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die in Kirchen, Sportvereinen, Gewerkschaften und Parteien aktiv sind, für die Friedensbewegung zu gewinnen.

Ohne diese Veränderungen wird die heutige Friedensbewegung eher den Charakter einer - eher unbedeutenden - politischen Gruppierung ohne nennenswerten friedenspolitischen Einfluss annehmen. Das aber wäre fatal, denn gerade jetzt braucht die Welt eine gestärkte und demokratisierte internationale Friedensbewegung.

Prof. Dr. habil. Klaus Moegling [2] i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Homepage mit ökologischen, demokratietheoretischen und friedenspolitischen Inhalten.


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