Kanzler Schröder erhält die rote Karte
Die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen als Quittung für Rot-Grün
Der Schatten des unseligen Irak-Kriegs, Zwistigkeiten in Europa, steigende Arbeitslosenzahlen und Schulden ohne Ende. Der Bundeskanzler ist deprimiert. Doch es kommt noch dicker: Kanzler Schröder hat am Abend des 2. Februar 2003 gleich zwei Mal verloren. Niedersachsens SPD bricht total ein und die FAZ spricht von einer "Revolution" in Hessen. Ministerpräsident Roland Koch erringt die absolute Mehrheit der Landtagssitze und selbst der seit Möllemann traumatisierte Spaßpolitiker Guido Westerwelle beginnt langsam wieder zu lächeln.
Der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel bekam die prognostizierte Quittung für des Kanzlers uneingelöste Versprechen, Wirtschaft und Arbeitsmarkt ohne weiteren Verzug aus der Talsohle zu retten. Gabriels späte weltmännische Feststellung, dass es im Irak um Öl und nicht um Frieden gehe, konnte niemanden mehr beeindrucken, nachdem es die Spatzen von den Dächern pfeifen und die niedersächsische Regierung im Übrigen auch kein Veto-Recht im UNO-Sicherheitsrat hat.
Der Traum aller Schwiegermütter, Christian Wulff, hat es nun im dritten Anlauf geschafft, Ministerpräsident von Niedersachen zu werden. 13 Jahre Opposition sind vorbei. Wulff zufolge ist Niedersachen pleite und daher will er jetzt die Aufbruchstimmung in der Wirtschaft und die Arbeitsmarktpolitik mobilisieren. Der vormalige "Hoffnungsträger" Gabriel ist entzaubert und vielleicht ist es ein winziger Trost für den Kanzler, dass ihm sein smarter Kronprinz bis auf Weiteres nicht mehr im Nacken sitzt.
Roland Koch mag sich dagegen nun auf eine bundespolitische Karriere vorbereiten. Die Hessen-Wahl könnte nur das Vorspiel der Macht gewesen sein, sich demnächst mit Angela Merkel intimer zu befassen. Koch bastelt angeblich bereits eifrig an einem neuen Image, um den "brutalstmöglichen" Eindruck loszuwerden, der ihm in den Medien vorangeht. Aber mehr noch stellt sich die Frage, ob sein derzeitiges Image nur Image ist. Dem bekennenden Hobbykoch will kein verbindliches Mediengesicht gelingen, sodass seine populistische Eignung als künftiger Spitzenmann der CDU auch Parteikollegen nicht so ohne weiteres einleuchten könnte.
Von Ideologie, Ausländerfeindlichkeit und Brachialpolitik will er jetzt jedenfalls nichts mehr wissen, er möchte zum kompromissfähigen Pragmatiker mutieren. Die hässliche Finanzaffäre ist inzwischen auch bereits in der Geschichte versenkt. Sein "Nein" zur doppelten Staatsbürgerschaft hat Koch inzwischen gegen ein Integrationsprogramm für Ausländer, insbesondere junge Ausländer mit schlechten Berufsaussichten, eingetauscht. Der Koch im Schafspelz oder Einsicht in die Notwendigkeit, dass im Windkanal einer Mediendemokratie nur noch energische Lauheit Erfolg versprechend ist? Die machterprobte CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel wird sich jedenfalls davon nicht täuschen lassen, dass Koch sich nun expressis verbis freut, ihr Rückenwind für die Bundespolitik gegeben zu haben. Irgendwann geht der Tanz los, doch auch Christian Wulff mag sich nach diesem furiosen Ergebnis demnächst zu Höherem berufen fühlen.
Dem Kanzler bläst dagegen nun auf Bundesebene der Wind stärker in das Gesicht. Zwar will die CDU/CSU ihre verstärkte Präsenz im Bundesrat nicht für eine "Blockademehrheit" nutzen, sondern selbstverständlich konstruktiv mitarbeiten. Alles andere will der Wähler ohnehin nicht hören. CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber hat das neue Kooperationsmodell indes sogleich so übersetzt, dass man nun einen Politikwechsel "erzwingen" könne.
Droht nun die Paralyse einer ohnehin lahmen Politik
In dieser dem Kanzler aufgezwungenen Mitarbeit, die nicht allzu weit von einer großen Koalition entfernt ist, wird seine Stellung auch innerhalb der kleinen Koalition schwächer, weil er von nun an jede rot-grüne Stimme braucht. Für schneidige Reformkurse ohne Rücksichten auf innerparteiliche Interessengruppen und den anhaltenden Druck der Gewerkschaften werden die Zeiten noch schlechter. Der Wahlsieg in Niedersachen könnte zudem die vorgezogene Wahl des Bundespräsidenten gewesen sein. 2004 bei der Wahl zum nächsten Bundespräsidenten könnte die CDU/CSU die erforderliche Mehrheit in der Bundesversammlung besitzen, Rau abzulösen, wenn nicht völlig unerwartet Bayern noch zuvor an die SPD fiele. Angeblich werden bereits die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan und die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth von der CDU als Kandidatinnen für das höchste Staatsamt gehandelt.
Der Wähler gibt's, der Wähler nimmt's. So redeten auch diesmal Sieger und Verlierer vom Wählerauftrag, aber der Wähler ist ein sonderbares Wesen mit verzögerten Reaktionen. Landtagswahlen als demokratische Korrektur der Bundespolitik hat der Verfassungsgesetzgeber so nicht vorgesehen und die trotz aller gegenteiligen Versprechungen vielleicht eintretende Paralyse einer ohnehin lahmen Politik könnte die Republik noch weiter verdüstern.
Inkonsequent war die vermeintliche "Denkzettelwahl" ohnehin, da die Grünen zumindest zulegen konnten. Indes nutzt es ihnen ohne einen mächtigen Seniorpartner nicht allzu viel. Wenn der rot-grüne Reformkurs freischwebender Versprechen nicht demnächst selbst fundamental reformiert wird, wenn die Arbeitslosenzahlen nicht sinken und die Wirtschaft weiter vor sich hin dümpelt, könnte dieses Wahl-Desaster also nur der Anfang vom Ende gewesen sein. Wie es danach aber weitergeht, entscheidet zwar der Wähler, aber darauf ist auch nicht mehr Verlass als auf einen Haufen verunsicherter Politiker.
Das gespaltene Selbstverständnis unserer Medienpolitiker, es allen Recht zu machen und zugleich unpopuläre Entscheidungen zu treffen, könnte ein Fehler unseres demokratischen Betriebssystems sein. Doch wer wagt schon an dieser neuralgischen Stelle, über Abhilfen nachzudenken...