Kapitalabfluss auf Rekordniveau: Standort Deutschland wird unattraktiv
Firmen investieren im Ausland oder wandern ganz ab. Zugleich zieht Deutschland weniger Investitionen an. Probleme sind oft hausgemacht. Das sind die Hintergründe.
Deutschland wird als Standort für Unternehmen immer unattraktiver. Sie investieren deutlich mehr im Ausland, als die Bundesrepublik Investitionen anzieht. Die Kapitalflucht nimmt inzwischen besorgniserregende Ausmaße an. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Seit Jahren schon hält dieser Trend an, aber im Jahr 2022 verzeichnete Deutschland den größten Kapitalabfluss. "Der Wert im Jahr 2022 mit rund -132 Milliarden US-Dollar stellt (…) den höchsten, bisher verzeichneten Netto-Abfluss dar", heißt es in der Studie.
Das IW benennt verschiedene Gründe für diesen alarmierenden Trend. Einerseits haben sich die Investitionsbedingungen in Deutschland in den vergangenen Jahren aufgrund hoher Energiepreise und eines zunehmenden Fachkräftemangels verschlechtert.
Viele Probleme seien hausgemacht, sagte IW-Ökonom Christian Rusche. Hohe Steuern für Unternehmen, eine überbordende Bürokratie und eine marode Infrastruktur zählt Rusche zu den Problemfeldern. "Damit Deutschland künftig wieder zur ersten Adresse für ausländische Investitionen wird, muss die Bundesregierung dringend gegensteuern."
Deutschland zieht weniger Investitionen aus EU-Ländern an
Rusche weist in der Studie darauf hin, dass diese Entwicklung nicht neu ist, sondern bereits vor der Coronapandemie begonnen hat. Zwischen 2014 und 2018 schwächte sich der Nettoabfluss ab, weil mehr in Deutschland investiert wurde. Seit 2019 steigt er jedoch wieder stark an.
Besonders besorgniserregend ist laut Bericht, dass 70 Prozent der Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen in andere europäische Länder flossen, während die Investitionen der europäischen Nachbarn in Deutschland stark zurückgingen. Dies deutet darauf hin, dass Deutschland seine Position als bevorzugter Investitionsstandort in Europa verliert.
Um diesen negativen Trend umzukehren, fordert Rusche die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um Deutschland für Unternehmen attraktiver zu machen. Deutschland müsse dringend gegensteuern, um wieder erste Adresse für ausländische Investitionen zu werden.
Ursache für Kapitalflucht: Klimaschutz, EU-Programme, Fachkräftemangel
Die Gründe für die Kapitalflucht sind laut Studie vielfältig. Zum einen sind es Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz, wie der Ökonom Hans-Werner Sinn im vergangenen Jahr schrieb. Als Beispiel werden die verschärften Abgasgrenzwerte für Autos angeführt, die Ende 2018 beschlossen wurden.
Dadurch hätten die Autobauer "ihre Wettbewerbsfähigkeit zum Teil eingebüßt", weil sie primär auf den Verbrennungsmotor spezialisiert waren. "Da die Automobilindustrie eine deutsche Schlüsselindustrie darstellt, sei die Industrie in Deutschland somit ‚herzkrank‘", heißt es in der Studie.
Eine weitere Ursache könnte demnach im NextGenerationEU-Programm liegen. In der Studie heißt es dazu:
Ab Juni 2021 werden EU-Staaten Zuschüsse und Kredite von mehr als 800 Milliarden Euro gewährt. Da die höchsten Zahlungen und dadurch ausgelöste Investitionen nicht in Deutschland stattfinden, kann dies zu Abflüssen von Kapital ins Ausland beigetragen haben.
Hinzu kommen die Folgen des Krieges in der Ukraine und der westlichen Sanktionen. Auch die Unsicherheiten bei der Energieversorgung konnten durch den Atomausstieg nicht beseitigt werden. Dass diese Faktoren eine Rolle gespielt haben, zeigt der verstärkte Kapitalabfluss ab dem zweiten Quartal 2022.
Auch der Fachkräftemangel und die damit verbundenen steigenden Arbeitskosten werden als mögliche Gründe genannt. In einer Umfrage gaben 76 Prozent der befragten Unternehmen an, dass dies die derzeit größten Herausforderungen seien.
Kapitalflucht könnte anhaltender Trend sein
Ob der Kapitalabfluss auch in den kommenden Jahren anhalten wird, ist umstritten. So verwies das Handelsblatt auf die Ergebnisse einer Umfrage der Managementberatung Horváth unter deutschen Industrieunternehmen.
Danach plant fast jedes dritte Unternehmen in den nächsten fünf Jahren, hauptsächlich wegen der hohen Personalkosten, Personal in West- und Südeuropa abzubauen und in Indien, Nordamerika und China aufzustocken.
Das RWI-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen betont dagegen, dass Investitionsströme oft mehrjährigen Zyklen folgen. Nach einem Einbruch gehe es in der Regel wieder aufwärts, zitiert das Handelsblatt einen RWI-Experten. Zuletzt seien die Investitionszuflüsse aber "überraschend schwach" gewesen.
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