Kaputte Bierkrüge
Archäologen finden die erste Glasherstellungsstätte des alten Ägyptens
Seit fast 25 Jahren gräbt der Hildesheimer Archäologe Edgar Pusch im ägyptischen Nildelta nahe der Ortschaft Qantir, rund 100 Kilometer nordöstlich von Kairo. Er hat dort eine große Entdeckung freigelegt: Pi-Ramesse, eine im Nilschlamm versunkene 3.000 Jahre alte Metropole. Schon vor einigen Jahren sind ihm dabei auch Glasscherben auf den Spaten geraten. Im aktuellen Science werden sie erstmals ausgewertet.
Wo kam das Glas her?
Aus der Archäologie ist bekannt, dass es in Ägypten in der späten Bronzezeit Werkstätten gab, in denen Glas verarbeitet wurde. Man weiß dies, weil man dabei entstehende Abfälle fand: bleistiftgroße Stäbchen aus Glas, die dazu dienten, in der Hitze weich gemacht zu werden, und die dann gewickelt wurden, um Vasen und Parfümflakons daraus herzustellen. Diese jeweils einfarbigen Stäbchen kamen in verschiedenen Farben vor, durch Kombination wurden sie zu bunten Objekten verarbeitet. Sie sind der einzige Hinweis, den man in den vergangenen 100 Jahren auf Glaswerkstätten in Ägypten hatte. Bekannt war auch, dass die Ägypter Glasbarren aus Mesopotamien erhielten. Rätselhaft blieb jedoch, wo das Glas hergestellt wurde: in Ägypten selbst oder in Mesopotamien.
Eiförmige Bierflaschen
Edgar Pusch vom Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim und sein Kollege Thilo Rehren vom Institute of Archaeology des University College in London gelang nun der Nachweis, dass die Ägypter bei dem kostbaren Material nicht auf Importe angewiesen waren, sondern dass sie selbst über erstklassige Glasfabriken verfügten.
Sie schließen das aus der genauen Untersuchung von Scherben, deren Herkunft recht profan anmutet: Sie stammen von kaputten tönernen Bierkrügen. Mit einem Volumen von 3 bis 5 Litern sind diese Bierkrüge relativ groß: Sie sind eiförmig, mit einer Spitze nach unten und haben oben einen zylinderförmigen Rand. Diese Form wie ihre Funktion sind seit langem bekannt. In Pi-Ramesses dienten diese Krüge nun offenbar auch einem zweiten Zweck: Sie wurden benutzt, um aus gemahlenem Quarzstaub und einer besonderen Pflanzenasche Rohglas herzustellen.
Weiße Staubpartikel
Die unzähligen Fragmente von halbfertigem Glas, die Pusch und Rehren in Pi-Ramesses bargen, enthalten viele Partikel Quarzstaub, die es weiß erscheinen lassen. Genau diese Partikel gaben den Wissenschaftlern den entscheidenden Hinweis:
„Ausschlaggebend war, dass in den weißen Brocken noch viel Quarzstaub vorhanden war, so dass wir zeigen konnten, dass es Quarzstaub ist, ein Hinweis auf seine Herkunft aus Ägypten, und nicht Wüstensand aus Mesopotamien“, so Rehren gegenüber Telepolis. „Darüber gab es in den vergangenen 30 Jahren eine intensive Diskussion. Die Frage war immer: Kommt der Quarz aus der Wüste oder ist es gemahlener Quarz. Unter dem Mikroskop war die Sache dann eindeutig – Wüstensandkörner sind rundlicher und gröber als die scharfkantig-gebrochenen Partikel, die wir da im Quarz sahen.“
Ein weiteres Indiz dafür, dass sich in Pi-Ramesses eine primäre Glasherstellung befunden haben muss, war die Tatsache, dass alle gefundenen halbfertigen Glaspröbchen aus reinem Glas waren, ohne farbgebendes Material darin. Dazu muss man wissen, dass in der gesamten Spätbronzezeit Glas als fertiges Objekt grundsätzlich intensiv gefärbt war. Mit diesem Befund konnten die Forscher noch eine zweite Frage beantworten. Dass nämlich die Färbung des Glases mit Metalloxiden in einem zweiten Schritt erfolgt sein musste, nach der eigentlichen Glasherstellung. Das Glas wurde dann also noch einmal aufgeschmolzen und der Farbstoff dazugerührt. Erst danach ging es an die Künstler weiter, die daraus ihre Kunstgegenstände fertigten.
Die Farbe Rot
Sehr wahrscheinlich auch hatten die ägyptischen Glasfabriken der Spätbronzezeit nicht Glas in allen Farben im Angebot, sondern sie waren spezialisiert auf bestimmte Farben.
Während in Amarna überwiegend kobaltblaues Glas hergestellt wurde, spezialisierte man sich in Pi-Ramesses auf Rotglas, eine sehr seltene Farbe. Wenn man einen ägyptischen Glaskatalog durchsieht, findet man zu 90 Prozent hellblaues und dunkelblaues Glas mit weißen und gelben Dekorationen.
Die von uns gefundenen Reste enthielten jedoch überwiegend rotes Glas und nur ganz wenig blaues. Rot ist bis heute die schwierigste Farbe in Herstellung und Verarbeitung von Glas. Kupferblau konnte praktisch jeder herstellen, das war die einfachste Farbe. Für Rot hingegen muss man das Kupfer in einem ganz fragilen Oxidationsgrad halten. Es darf nicht zu wenig Sauerstoff dabei sein, und die Temperatur darf nicht zu hoch steigen, sonst kippt es um und wird schwarz.
Thilo Rehren
Glasspezialisten
Kupfer gab es in der Spätbronzezeit überall, die Herstellung von Rotglas allerdings verlangte Know-how und Fingerspitzengefühl. Die Glasarbeiter von Pi-Ramesses waren darin offenbar Profis. Laut Rehren passt dieser Befund gut ins Gesamtbild. In der ägyptischen Metropole wurde nämlich bereits eine Großgießerei, in der Bronze hergestellt wurde, freigelegt. Zudem fand sich dort der bislang einzige Hinweis auf die Produktion von Ägyptischblau als Pigment. Auch dieser Farbstoff erfordert eine spezielle hochentwickelte Herstellungstechnik.
Weiterhin ist belegt, dass in dieser Gießerei riesige Tempeltüren gegossen wurden. Das erforderte, so Rehren, dass mindestens 100 Leute so organisiert waren, dass sie ihren Tiegel in einem Guss in dieselbe Form hineingießen, schließlich fasste das größte Gefäß, mit dem man damals Bronze goss, maximal einen Liter. Die Temperatur durfte nicht über 1.150 Grad steigen, sonst schmolz der Tiegel.
Königlicher Stoff
Glas war in der späten Bronzezeit ein königlicher Stoff, der nur vom Pharao und den höchsten Beamten benutzt werden durfte. Auf den Wertlisten, die man aus der damaligen Zeit kennt, wird er gleichrangig mit Gold und Silber behandelt. Glas diente dazu, Türkis und Lapislazuli zu ersetzen. Lapislazuli gab es seit der Frühbronzezeit nur aus einer Mine in Afghanistan, Türkise stammten damals aus einer Lagerstätte im Sinai, die unter ägyptischer Kontrolle stand. Beides waren elitäre Schmucksteine. Um mehr davon zu haben, wurde Glas als Ersatz verwendet; es wurde deswegen jedoch nicht geringer geschätzt, sondern als ebenso kostbar.