Kartellamt: Manipulieren Ölkonzerne die Kraftstoffpreise?

Das Bundeskartellamt nimmt die Ölbranche ins Visier. Erstmals nutzt die Behörde dafür ein neues Kontrollinstrument. Steckt hinter den hohen Spritpreisen ein System?
Vor den Sanktionen kamen etwa 40 Prozent der verarbeiteten Mineralölprodukte aus Russland nach Deutschland. Deutschland verfügt zurzeit noch über zwölf aktive Raffinerien mit einer jährlichen Rohölverarbeitungskapazität von rund 106 Millionen Tonnen im Jahr.
Bei den Raffinerien handelt es sich um hochkomplexe Anlagenverbünde, und jeder Standort ist aufgrund der jeweils gegebenen Verbundstrukturen anders aufgebaut. Zudem sind die Prozessschritte auf definierte Rohölqualitäten der jeweiligen Exportländer abgestimmt. Entlang der zur Verfügung stehenden Haupt-, Koppel- und Nebenprodukte hat sich eine chemische Industrie langfristig entwickelt.
Somit ist es nicht möglich, einzelne Prozesse innerhalb des Anlagenverbundes ohne drastische Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette zu skalieren oder gar zu entfernen. Der BP Energy Outlook 2023 prognostiziert einen um bis zu rund 80 Prozent sinkenden Absatz von Mineralölprodukten bis 2050.
Der Höhepunkt der Nachfrage nach Mineralölprodukten (Peak Oil Demand) galt als bereits überschritten. Aufgrund der aktuellen US-Politik wird damit gerechnet, dass sich der Nachfragehöhepunkt jetzt erst in einem Jahrzehnt einstellt.
Internationale Mineralölkonzerne wie Shell reduzieren schon seit geraumer Zeit ihre Investments in die deutschen Raffineriekapazitäten. So will sich Shell aus der Mineraloelraffinerie Oberrhein (MiRO) in Karlsruhe zurückziehen und mit der Abschaltung des Werksteils Wesseling der Rheinlandraffinerie rund sieben Prozent der deutschen Rohölkapazitäten permanent vom Netz nehmen.
Zudem will Shell auch ihre Raffinerie-Anteile an der PCK in Schwedt abstoßen, was sich jedoch schwerer als erwartet gestaltet. Nachdem Shell 2021 zunächst der Verkauf an Alcmene untersagt wurde, scheiterte im vergangenen Jahr auch die Übernahme durch Prax, weil beide Unternehme, oder ihre Muttergesellschaften seit dem Brexit ihren Sitz nicht mehr in der EU haben und damit den gleichen Regularien unterliegen wie ein Investor aus der Volksrepublik China.
Erstes Verfahren des Kartellamts auf Basis eines neuen Wettbewerbsinstruments
Das absehbare Schrumpfen der Kraftstoffnachfrage sorgt dafür, dass die Stakeholder entlang der Lieferkette nicht mehr investieren, sondern sich möglichst hohe Margen sichern. Diese Marktentwicklung hat jetzt möglicherweise zu einer erheblichen Wettbewerbsstörung im Kraftstoffgroßhandel geführt.
In der Folge macht das Bundeskartellamt im Bereich des Kraftstoffgroßhandels erstmals Gebrauch von dem 2023 in Kraft getretenen neuen Wettbewerbsinstrument, das durch den § 32f Abs. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gegeben ist.
Die Behörde hat nun ein Verfahren eingeleitet, um in einem ersten Schritt zu prüfen, ob im Kraftstoffgroßhandel eine erhebliche und dauerhafte Störung des Wettbewerbs vorliegt. Sollte sich dies bestätigen, könnte das Bundeskartellamt zielgerichtete Maßnahmen erwägen, um diese Störungen abzustellen.
Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, sagt dazu:
Wenn der Wettbewerb in einer Branche schon aufgrund struktureller Gegebenheiten gestört ist, stößt das klassische Kartellrecht, das an einen Gesetzesverstoß einzelner Unternehmen anknüpft, an seine Grenzen. Anhaltspunkte für eine solche strukturelle Störung des Wettbewerbs sehen wir im Kraftstoffgroßhandel. Insbesondere die hier weit verbreiteten Preisinformationsdienste könnten ein hohes wettbewerbliches Risiko bergen.
Dem wollen wir jetzt weiter nachgehen. Unser neues Eingriffsinstrument ist genau für solche Fälle gedacht. Zunächst werden wir prüfen, ob auf einzelnen Märkten oder marktübergreifend eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs besteht. Sollte sich dies bestätigen, werden wir die Ursachen angehen, um den Wettbewerb wieder zu beleben.
Im Rahmen der kürzlich abgeschlossenen Sektoruntersuchung Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel hatten sich schon erste Anhaltspunkte für erhebliche wettbewerbliche Risiken aufgrund der im Kraftstoffgroßhandel genutzten Preisinformationsdienste ergeben. Durch die Veröffentlichung von sehr detaillierten Marktinformationen steigt generell das Risiko einer Kollusion, also einer stillschweigenden Einigung der Marktteilnehmer auf ein Preisniveau, das über dem Wettbewerbspreis liegt.
Zudem scheint auch die Gefahr zu bestehen, dass einzelne Marktteilnehmer Preisnotierungen gezielt manipulieren. Die Ermittlungen haben jedoch bislang keine Hinweise auf konkrete Kartellrechtsverstöße ergeben.
In dem jetzt eingeleiteten Verfahren wird das Bundeskartellamt daher insbesondere die Auswirkungen der beiden in Deutschland am häufigsten genutzten Preisinformationsdienste von Argus Media und S&P Global näher untersuchen.
Mehrstufiges Verfahren zur Marktuntersuchung
Das neue kartellrechtliche Instrument im GWB sieht ein mehrstufiges Verfahren vor und erlaubt es dem Bundeskartellamt in einem ersten Schritt im Anschluss an die oben genannte schon durchgeführte Sektoruntersuchung auf einem oder mehreren Märkten eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festzustellen.
Darauf aufbauend können dann Abhilfemaßnahmen verhängt werden, auch ohne konkrete Feststellung eines Verstoßes gegen das Kartellrecht.
Das neue Verfahren ist subsidiär zu den sonstigen Befugnissen des Bundeskartellamtes. Nach derzeitigem Erkenntnisstand erscheint jedoch die Anwendung der herkömmlichen Befugnisse möglicherweise nicht ausreichend, um die festzustellenden Wettbewerbsdefizite wirksam und dauerhaft zu beseitigen.