Kehrt Deutschland zur Kernkraft zurück?
Kernkraft-Debatte in Deutschland neu entfacht. CDU/CSU fordern Reaktivierung alter Meiler. Doch wer würde die Kosten und Risiken eines Neustarts tragen?
Obwohl sich derzeit immer deutlicher zeigt, dass das französische Atomstrompreiswunder eine ausgewachsene Mogelpackung war und die Bevölkerung aktuell mit drastisch steigenden Preisen und hohen Staatsschulden beglückt wird, fordert man jetzt in Deutschland die Wiederaufnahme der Stromproduktion auf der Basis von Kernkraft. Man bezieht sich dabei auf die verstaatlichte französische Framatome, die ohne staatliche Hilfe längst Geschichte wäre.
Der hohe Kühlwasserbedarf der Kernkraftwerke sorgt auch im atomverliebten Frankreich gerade in der Sommerzeit, wenn viele Klimaanlagen betrieben werden, immer wieder zu Produktionseinschränkungen bei den thermischen Kraftwerken und damit zu teurer Ersatzbeschaffung in Deutschland, die hierzulande den Strompreis nach oben treiben.
Dass der deutsche TÜV-Verband schon 2021 für eine Weiterführung der deutschen Kernkraftwerke eintrat, lässt sich schlüssig aus dem Wunsch erklären, dass für die deutsche TÜVs nicht unerhebliche Geschäftsfeld der Kernkraftwerkssicherheit noch möglichst lange zu erhalten.
Als Leitfigur der Christenparteien dient der Spezialist für einfache Lösungen, der zuletzt den Beschäftigten in den Kernkraftwerken den Ruhestand verweigern wollte. Offensichtlich aus Angst vor den Wahlerfolgen der AfD bei den letzten Wahlen will jetzt die CDU/CSU über dieses Stöckchen springen. Dabei sind die deutschen Stromversorger keinesfalls daran interessiert, sich wieder in der Kernkraft zu engagieren, wo man deren Risiko gerade erfolgreich auf den Steuerzahler übertragen hat.
"Die Betreiber der drei letzten vom Netz gegangenen Atommeiler betonen, dass ihre Kraftwerke aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen nicht wieder hochgefahren werden können", sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).
Der Kernkraftanteil an der deutschen Stromversorgung schrumpfte seit Jahren
Das Merit-Order-Modell erklärt, welche Stromerzeuger im wettbewerblichen deutschen Markt zum Zuge kommen. Grundsätzlich wird immer der preiswerteste Anbieter im deutschen Strommarkt ausgewählt, bis der aktuelle Bedarf gedeckt ist. Die allesamt schon wirtschaftlich abgeschriebenen deutschen Kernkraftwerke hatten 2021 noch einen Marktanteil von knapp 12 Prozent, der im Folgejahr auf knapp 6 Prozent sank.
Vor dem Hintergrund, dass die letzten Kernkraftwerke in Deutschland im Jahre 2022 endgültig vom Netz gehen sollten, hielt man es für vertretbar, auf die letzte 10-Jahreswartung zu verzichten. Diese Revisionen wurden in Deutschland klassischerweise nicht von den Kraftwerksbetreibern selbst, sondern von kleinen Subunternehmen durchgeführt, die sich inzwischen auf Dienstleistungen beim Kraftwerksrückbau umgestellt haben.
Dennoch bekennen sich CDU und CSU klar zur Kernenergie. Im Falle eines Wahlsiegs bei der nächsten Bundestagswahl wollen die Unionsparteien die zuletzt vom Netz genommenen Atomkraftwerke reaktivieren. Die letzten Atomkraftwerke seien zwar abgeschaltet, der Rückbau habe aber bisher nicht begonnen, glaubt man bei den Christenparteien.
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Man habe sich bei Framatome, einem Tochterunternehmen des französischen Energiekonzerns Areva, schlau gemacht, das bestätigt habe, dass fünf bislang nicht abgebaute Atommeiler ″unkompliziert reaktiviert und schnellstmöglich wieder ans Netz gehen könnten″. Dass Framatome inzwischen eine Mehrheitsbeteiligung der mehrheitlich staatlichen EdF ist und Areva nur noch das Projekt Olkiluoto 3 in Finnland sowie einen Anteil von 40 Prozent von Orano im Portfolio hat, scheint auf dem Weg durch die Partei verloren gegangen zu sein.
Wer übernimmt die Kosten für einen KKW-Weiterbetrieb?
Beklagten sich Kernkraftwerksbetreiber schon über eine beeinträchtigte Rückbauplanung durch die letzte Laufzeitverlängerung, ist die Bereitschaft zu einem weiteren Politikwechsel im Zusammenhang mit dem ungeliebten Kernkraftthema eher marginal. Letztlich müsste der Steuerzahler sämtliche anfallenden Kosten schultern, hätte jedoch nur einen marginalen Nutzen von dieser Aktion, weil CDU/CSU den Strom nur der Industrie zur Verfügung stellen wollen, die vielfach auch noch von den Netzkosten befreit ist, die auf die privaten Endkunden umgelegt werden, welche für gerade einmal 20 Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich sind.
Wollte man, wie von der CDU/CSU gefordert, die letzten fünf stillgelegten Kernkraftwerke wieder in Betrieb nehmen, müsste man einen Betreiber finden, welcher im ersten Schritt die dringend fälligen und bislang immer wieder verschobenen Revisionen schultert, das benötigte Personal anwirbt und qualifiziert ausbildet und die Brennstoffversorgung sicherstellt.
Das einzige Land, das heute noch über eine stabile Lieferkette für Kraftwerksuran verfügt, ist Russland, dessen einschlägige Lieferungen daher auch keinerlei Sanktionen unterliegen. Wie die deutsche Politik, die bislang ihr Heil in der zunehmenden Sanktionserweiterung gegen Russland sieht, diese Abhängigkeit beim Kernbrennstoff vertreten will, ist bislang nicht einmal ansatzweise geklärt.
Insgesamt kann man vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren und dem Umbau des deutschen Strommarktdesigns davon ausgehen, dass die Kosten für einen zeitlich befristeten Neuaufbau einer deutschen Kernkraftwirtschaft aufgrund der starken Abhängigkeit von politischen Entscheidungen nicht marktwirtschaftlich, sondern nur über den Ausbau staatlicher Subventionen und wiederum staatlicher Risikoübernahme möglich wäre, was letztlich vom Steuerzahler zusätzlich zum nominellen Strompreis zu finanzieren wäre.