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Keimbahntherapie im Alleingang

Ein Arzt profiliert sich als Pionier der Reproduktionsmedizin, ignoriert dabei aber ethische Bedenken und medizinische Risiken

In Mexiko kam erstmals ein Kind zur Welt, das die Erbinformationen dreier Menschen in sich trägt. Ein US-amerikanischer Arzt nutzte eine Gesetzeslücke, um eine Form der Keimbahntherapie am Menschen zu testen. Er setzte damit das Kind einem erheblichen Risiko aus und untergräbt den Versuch, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden.

Im April 2016 wurde ein Kind geboren, das seinen Platz in der Geschichte der Medizin bereits sicher hat. Ähnlich wie das "Retortenbaby" Louise Brown, das 1978 den Durchbruch der künstlichen Befruchtung einleitete, könnte der neugeborene Junge für ein neues, erfolgreiches Kapitel der Reproduktionsmedizin stehen. Noch ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Kind nur als Opfer ärztlicher Überheblichkeit in Erinnerung bleibt.

Die Eltern des Jungen hatten jahrelang vergeblich auf ein gesundes Kind gehofft. Die 36-jährige Frau lebt mit einem seltenen genetischen Defekt: In einem Teil ihrer Mitochondrien - Organellen, die den Energiebedarf der Körperzellen decken - findet sich eine Mutation, die eine schwere Krankheit auslösen kann. Die Frau selber ist gesund, aber bei ihren Kindern kam das sogenannte Leigh-Syndrom voll zur Ausprägung: Die Folge waren vier Fehlgeburten, ein Kind starb im Alter von 8 Monaten, ein weiteres mit sechs Jahren.

Arzt geht dahin, wo "keine Regeln herrschen"

Ein US-amerikanischer Arzt bot seine Hilfe an: John Zhang [1] vom New Hope Fertility Center in New York wollte eine Methode am Menschen testen, die bislang nur bei Tieren erfolgreich [2] war. Dabei wird das Erbmaterial aus dem mütterlichen Zellkern mit den Mitochondrien einer gesunden Spenderin kombiniert. Zhang wählte eine Variante der Methode, bei der das Erbmaterial vor der Befruchtung ausgetauscht wird, den sogenannten Spindel-Transfer. Das Kind erhält dabei den Großteil des Erbmaterials von der Mutter, nur die 37 Gene aus dem Erbgut des Mitochondriums stammen von der Spenderin - diese sollen dem Kind eine normale Entwicklung ermöglichen.

Das Experiment scheint gelungen [3]. Die Schwangerschaft verlief unauffällig, und die ersten drei Lebensmonate hat das Kind gesund überstanden. Untersuchungen deuten an, dass der Anteil von 2/3 defekten Mitochondrien in dessen Körperzellen unter zwei Prozent liegt - weit entfernt von der Grenze, an der das Leigh-Syndrom zum Ausbruch kommt.

Auf den ersten Blick ein großer Erfolg - wenn da nicht der Umstand wäre, dass dieser Eingriff in den USA nicht erlaubt ist. Die Gesundheitsbehörde sieht noch große medizinische Risiken, und der Kongress blockiert die Genehmigungsverfahren aus politischen Gründen. Zhang wich daher nach Mexiko aus - wo seinen Worten zufolge "keine Regeln herrschen".

Der erste genmodifizierte Mensch

Als Rechtfertigung führte er an: "Leben retten ist stets ethisches Gebot". Einmal davon abgesehen, dass Zhang nur bei der Geburt eines Kindes geholfen und kein Leben gerettet hat - er maßt sich damit das Recht an, Ethik nach eigenem Belieben zu definieren. Und das bei einem Thema, bei dem weltweit schwer um einen Konsens gerungen wird.

Mit dem Kind ist nun erstmals ein genmodizifierter Mensch geboren - sagen viele Experten. Auch wenn andere Forscher argumentieren, dass die Erbinformation im Mitochondrium einen Sonderfall darstellt, bleibt eines unstrittig: Die Kombination der Erbinformationen, mit der das Kind in Mexiko auf die Welt kam, kann auf natürlichem Wege nicht zustande kommen. Damit rührt man aber an eine schwierige Frage: Dürfen wir unser eigenes Erbgut manipulieren? Bislang war es Konsens, dass diese Entscheidung der Gesellschaft als Ganzes vorbehalten ist - und nicht einem einzelnen Arzt.

Manipulation der Keimbahn

Ein weiterer Punkt: Die Mitochondrien-Spende erlaubt eine Manipulation der Keimbahn. Alle Änderungen können an nachfolgende Generationen vererbt werden. Bei dem neugeborenen Jungen ist dies zwar noch nicht der Fall (Mitochondrien werden ausschließlich von der Mutter vererbt), aber den Weg dorthin hat Zhang bereitet. Und es ist ein Schritt mit weitreichenden Konsequenzen: Wenn sich derartige Änderungen im menschlichen Erbgut verbreiten, können sie kaum noch rückgängig gemacht werden.

In den USA werden Eingriffe in das Erbgut ähnlich kritisch gesehen wie in Deutschland, und die Diskussion über deren Zulassung ist noch in vollem Gang. Zhang interessiert sich offenkundig nicht für die öffentliche Debatte - er unterläuft sie sogar, indem er eigenmächtig Fakten schafft. Die Diskussion über grundsätzliche Fragen hinkt ab jetzt der Realität hinterher.

In Großbritannien ist die Diskussion bereits ausgestanden, nach jahrelanger sorgfältiger Abwägung und aktiver Beteiligung der Bürger. Praktisch umgesetzt wurde die Mitochondrien-Spende jedoch noch nicht - das medizinische Risiko erscheint immer noch zu hoch. Und auch in diesem Punkt ging Zhang rücksichtslos vor: Statt die Untersuchungen der britischen Experten abzuwarten, überträgt er die Methode bedenkenlos vom Tier auf den Menschen. Dabei gehört er zu den Menschen, die am besten wissen sollten, wie hoch das Risiko ist: Bereits 2003 führte Zhang einen Spindel-Transfer [4] in China durch - das Resultat waren drei Fehlgeburten.

Bedenklich ist auch, dass Zhang sein Handwerk nur mäßig zu beherrschen scheint. Beim einem Spindel-Transfer ist es unvermeidlich, dass einzelne defekte Mitochondrien in die Spender-Eizelle gelangen. Bei geübten Forschern liegt dieser Anteil deutlich unter einem Prozent - bei Zhang lag er um das Zehnfache höher [5]. Die Eizellen, mit denen die künstliche Befruchtung durchgeführt wurde, waren qualitativ weit vom üblichen Standard entfernt.

Das Kind hatte wohl Glück: In Nabelschnur, Haarwurzeln und ähnlich leicht zugänglichen Geweben liegt der Anteil der Mitochondrien unter zwei Prozent. Aber es bleiben eine Reihe von Fragen. So ist noch unklar, wie stark das Gehirn betroffen ist - wo das Leigh-Syndrom die größten Schäden hinterlässt. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Anteil der defekten Mitochondrien im Laufe der Zeit erhöht [6] oder dass sich die Manipulation der Eizelle negativ auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirkt. Laut Zhang ist das Kind gesund - doch noch kann niemand sicher sein, dass es auch so bleiben wird.

Bekannt wurde die Geburt, weil das Magazin New Scientist eine Exklusivgeschichte [7] veröffentlichen durfte. Fast schon im Stil eines Sensationsjournalismus und Wochen bevor die Fachwelt davon unterrichtet wird. Die Geschichte ging um die Welt. Das Presse-Foto wird von Zhang dominiert, der triumphierend in die Kamera schaut, während der Säugling auf seinem Arm fast in der Bildecke verschwindet. Verrät sich hier sein eigentliches Motiv, ging es Zhang vor allem um Ruhm und Aufmerksamkeit? Falls ja, hat er sein Ziel erreicht.

Zhang erweist sich als ein Arzt, der in einer außergewöhnlichen Situation seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Weder dem Kind noch der Gesellschaft gegenüber. Das Schlimme dabei: Er wird für dieses Verhalten belohnt. Kurzfristig durch die mediale Aufmerksamkeit, langfristig - falls das Kind gesund bleibt - auch noch durch einen Eintrag in die Geschichtsbücher.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3344945

Links in diesem Artikel:
[1] http://drjohnzhang.com/
[2] http://dx.doi.org/10.1038/nature08368
[3] http://dx.doi.org/10.1016/j.fertnstert.2016.08.004
[4] http://dx.doi.org/10.1016/j.rbmo.2016.08.002
[5] http://dx.doi.org/10.1038/nature.2016.20698
[6] http://dx.doi.org/10.1038/nature.2016.19948
[7] http://www.newscientist.com/article/2107219-exclusive-worlds-first-baby-born-with-new-3-parenttechnique/