Kein Bedarf an Präzisierungen bei der Providerverantwortlichkeit

Interview mit Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im nächsten Jahr steht die Evaluierung bzw. Nachbesserung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes im Bundestag an. Christiane Schulzki-Haddouti befragte Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) zu zentralen Diskussionspunkten: Konvergenz der Medien und die Zweiteilung des deutschen Multimediagesetzes in Bund- und Länderkompetenzen, die Inhalteverantwortlichkeit der Provider und erste Abwanderungstendenzen sowie das unter Anbietern derzeit äußerst umstrittene Signaturgesetz. Innerhalb der FDP gilt Schmidt-Jortzig als "Internet-Sympathisant", der die jüngsten Diskussionen mit größter Besorgnis beobachtet.

Im Moment haben wir die Zweiteilung in das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) des Bundes einerseits und den Mediendienstestaatsvertrag der Länder andererseits. Die technische Entwicklung wird zu einer immer größeren Konvergenz zwischen den betroffenen Technologien führen, und vielleicht kann man schon in fünf Jahren nicht mehr zwischen den Verbreitungsformen unterscheiden. Muß man da nicht zu einfacheren Lösungen kommen, die größere Rechtssicherheit bieten?

Schmidt-Jortzig: Die Regelungswerke laufen weitgehend parallel, so daß derzeit jedenfalls kein großer Schaden entsteht. Sie haben aber recht: Diese Zweiteilung ist aus der Sicht des Bundes unglücklich, weil einheitliche Vorgänge künstlich in verschiedene Regelwerke "zerrissen" und teilweise sogar geringfügig unterschiedlich geregelt werden. Mittelfristig müssen wir zu einheitlichen Regelungswerken vor allem im Datenschutz, im Jugendschutz, im Urheberrecht und im Verbraucherschutz kommen - daran wird kein Weg vorbei führen.

Halten Sie angesichts des Compuserve-Urteils eine genauere Formulierung des Grundsatzes der Verantwortlichkeit der Provider erwünscht oder sogar nötig? Immerhin steht im nächsten Jahr die Nachbesserung des Multimediagesetzes auf der Tagesordnung des Bundestags.

Schmidt-Jortzig: Ich sehe im Moment keinen Bedarf für Präzisierungen. Das Gesetz enthält eine präzise Abstufung der Verantwortlichkeiten, abhängig von den Pflichten der Provider. Bei dem sogenannten "Compuserve-Urteil" wird vielfach übersehen, daß hier eine andere Frage eine wichtige Rolle spielte, die nicht nach dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz, sondern nur nach den normalen Regeln beurteilt werden kann. Es geht nämlich darum, wie weit eine deutsche Tochtergesellschaft für Dinge verantwortlich gemacht werden kann, die die amerikanische Muttergesellschaft anbietet. Das Amtsgericht München hat seine Antwort auf diese Frage gegeben und ich habe gehört, daß das nicht das letzte Wort sein wird, weil Staatsanwaltschaft und Verteidigung in die Berufung gehen wollen.

Ein Provider, Psinet, ist angeblich aufgrund des Urteils bereits in die USA abgewandert. Ist das nicht bereits ein Zeichen dafür, daß das Gesetz Providern zu wenig Rechtssicherheit bietet?

Schmidt-Jortzig: Insgesamt sehe ich die Gefahr der Abwanderung von Providern nicht so dramatisch. Soweit ich weiß, ist nämlich noch kein Provider ganz abgewandert; lediglich in einem Fall wurde ein Teil des Datenbestandes in das Ausland verlagert. Dafür kommen andere Provider gerade nach Deutschland, weil ihnen die Regeln hier Vorteile bieten. Anderswo werden sie rechtlich nach wie vor wie Verleger behandelt und sind damit für erheblich mehr verantwortlich als in Deutschland.
Der gerade bekanntgewordene schlimme Fall von Kinderpornographie zeigt im übrigen, daß die Provider die Verantwortlichkeit akzeptieren, die sich aus dem Gesetz ergeben. Sie arbeiten auch jenseits der streng juristischen Verantwortlichkeit mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen, und das aus einem guten Grund: Es nützt weder ihnen noch irgend jemandem anders, wenn das Internet - aus meiner Sicht völlig zu Unrecht - in den Ruf gerät, die "Schmuddelecke" der digitalen Gesellschaft zu sein.

Die Möglichkeit digitaler Signaturen macht Anpassungen im Zivilrecht erforderlich, die jedoch nicht stattgefunden haben. Das Signaturgesetz im Rahmen des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes sieht hohe Sicherheitsstandards vor, die Anwender und Anbieter mit hohen Kosten belasten. Warten Sie auf eine EU-Richtlinie oder müssen die Standards des deutschen Gesetzes abgesenkt werden?

Schmidt-Jortzig: Derzeit wird tatsächlich über eine EG-Richtlinie verhandelt, die einen gemeinsamen Rahmen für elektronische Signaturen geben soll. Daraus könnte sich die Anforderung ergeben, digitale Signaturen mit den handschriftlichen Unterschriften gleich zu behandeln. Unter dem Gesichtspunkt der Klarstellung würde ich diese Möglichkeit auch im deutschen Recht begrüßen. Wirkliche rechtliche Barrieren für den elektronischen Geschäftsverkehr gibt es aber bei uns nicht. Das hat erst jüngst wieder eine Umfrage ergeben, die das Bundesjustizministerium bei allen maßgeblichen Verbänden durchgeführt hat. Eingeweihte wird das Ergebnis dieser Umfrage auch nicht überraschen, denn - was viele eben einfach nicht wissen - nach deutschem Recht sind die meisten Verträge "formfrei", müssen also nicht im ursprünglichen Sinne schriftlich abgefaßt und unterschrieben werden. Das gilt auch für Verträge, die im Internet geschlossen werden: Wenn Sie schon "im normalen Leben" keinen schriftlichen Vertrag und keine Unterschrift brauchen, haben Sie damit auch im Internet keine Probleme.
Die relativ wenigen Rechtsgeschäfte, die man in Deutschland wirklich schriftlich abschließen muß, würde ich ohnehin nicht über das Internet abwickeln: Ein Grundstückskauf wäre mir über das Internet zu unsicher, und eine Eheschließung nur über das Internet verträgt sich jedenfalls nicht mit meinen Vorstellungen von Ehe.

Siehe auch: Schweizer Provider in der Verantwortung
Kulturkampfland Österreich
Selbstregulierung - der Heilige Gral des Internnet
Zum Wahlkampfthema Innere Sicherheit