Kein Kriegsspiel

World of Warcraft: Erlebniswelt online

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Monster killen, Schätze suchen, Dinos abrichten, Riesenadler fliegen und immer mächtiger werden: World of WarCraft gibt der virtuellen Schnitzeljagd via Internet ein neues Feeling - und das einem größeren Publikum als je zuvor.

Wenn ein Spiel am Tag seines Erscheinens mehr als 280.000 Europäer zum Kauf verlockt, dann ist das schon erwähnenswert. Besonders deshalb, weil es sich bei "World of WarCraft" um ein Online-Rollenspiel handelt. Denn anders als in Korea, wo das Genre virtueller "Wirklichkeiten" schon vor knapp zehn Jahren Millionen Spieler in den Bann schlug, begann sich in der westlichen Welt erst 1999 mit Sonys "Everquest" eine Fangemeinde zu entwickeln.

Zu seiner besten Zeit erreichte "EQ" damals mit 500.000 Spielern einen Rekord, der bis vor kurzem noch unerreicht war: Zwei Wochen nach Auslieferung der 560.000 Stück starken Erstauflage von "WoW" war das Spiel in Europa vielerorts ausverkauft. Nach Angaben des Entwicklers Blizzard Entertainment gingen in den USA, Australien und Neuseeland zuvor bereits 600.000 Einheiten über die Ladentheke. Der Erfolg des ersten Massive Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPG) im Fantasy-Universum von Azeroth ließ die Branche einerseits jubeln, andererseits schaudern. Denn MMORPGs sind XXL-Erlebnisse, eigenständige Hobbys, die freizeitlich wenig Raum für mehr Game-Sessions lassen. Die monatliche Abogebühr von 10 bis dreizehn Euro möchte ebenfalls keiner verfallen lassen. Blizzard hält dafür mehr als 80 Server auf Trab, beschäftigt einen 24-Stunden-Service und verspricht kostenlose Downloads mit neuen Quests, Gegenständen und Arealen.

Statt normalen Offline-Rollenspielen den Vorzug zu geben, tummeln sich im Universum von "WoW" hunderte Spieler gleichzeitig. Bei spontanen Chats im Vorbeilaufen schließt man Bekanntschaften. Bis zu fünf Spieler können sich zu einer Gruppe zusammenschließen. Im Bund gegen Feinde entsteht Teamgeist. Stärken und Schwächen werden ausgeglichen, indem z.B. der Priester den Kämpfenden aus der Ferne heilt. Der wiederum stürzt sich verantwortungsbewusst ins Schwert jedes Monsters - das ist die ganz normale Welt von WarCraft, die Anfang der 90er ihren Anfang nahm. Ein Blick zurück:

1994 veröffentlichte die kleine US-Software-Schmiede Blizzard ihr Game WarCraft, eine Variation des noch jungen Genres der Echtzeitstrategiespiele, die sich stark an Hits wie Dune 2 orientierte. Ein Jahr später übertraf WarCraft II die Konkurrenz mit taktischem Tiefgang und gilt heute als einer der Meilensteine des Genres. Fans der Serie sind fasziniert von der Comic-haften Fantasy-Optik und der "Herr der Ringe"-ähnlichen Atmosphäre.

2002 kam nach ausführlichen Add-ons und Konsolenumsetzungen endlich der Nachfolger, das schön animierte, heran-zoombare WarCraft III. Das mit Rollenspielelementen angereicherte 3D-Strategiespiel trieb den Erfolg der Serie auf die Spitze. Bis heute haben sich die "WarCraft"-Games weltweit fast zwölf Millionen Mal verkauft (zum Vergleich: Das Gesellschaftsspiel "Monopoly" wurde knapp 200 Millionen Mal abgesetzt - seit 1935) und "WarCraft III" gilt als Strategiespielreferenz auf LAN-Parties und Turnieren wie der ESL Pro Series. 2001 kündigte Blizzard Entertainment dann sein bisher größtes Projekt an: ein auf der "WarCraft"-Welt basierendes MMORPG.

Der Einstieg ins Spiel geht schnell. Mit Erwerb erhält der Käufer einen kostenlosen Probemonat. Wie in anderen Rollenspielen erstellt er zunächst einen gut- oder bösartig gesinnten Charakter, "Allianz" oder "Horde", zwei Seiten, die sich im Spiel gegenüberstehen. Beide haben je vier unterschiedliche Rassen: Mit vereinten Kräften stehen Menschen, Nachtelfen, Gnome und Zwerge gegen Orks, Tauren, Untote und Trolle. Nochmals unterteilt in Klassen kann z.B. ein Nachtelf Druide oder Troll, Jäger, Paladin oder Magier sein, was seine Spezial-Fähigkeiten im Kampf erneut kanalisiert. So sind Krieger robust und generieren Wut, die sie an ihren Gegnern in Form von Hieben unterschiedlicher Art und Stärke abreagieren. Jäger dressieren Wildtiere und lassen sie für sich kämpfen. Druiden hingegen lernen im Verlauf Zaubersprüche, die dem Ziel einen Schlag verpassen oder andere Spieler heilen. Außerdem können sie ihre Gestalt zum Bären oder Seelöwen verwandeln.

Während des Spiels nimmt jede Figur noch zwei weitere Fertigkeiten wie Kräuterkundiger, Schneider, Verzauberungskünstler, Alchemist oder Schmied auf, was ihr und ihren Mitspielern in bestimmten Situationen von Nutzen sein wird. Das Spiel beginnt je nach Volk in einem anderen Gebiet: sattgrüne Wälder, schneeweiße Gebirge, staubige Steppen oder verrußte Mittelalterstädte sind bevölkert mit Spielern aus ganz Europa. Aufgaben empfängt der Held bei Nichtspieler-Charakteren (NPCs), die an einem leuchtenden Fragezeichen zu erkennen sind. Sie beauftragen ihn mit einer Mission, genannt "Quest", die oft in Kapitel eingeteilt ist und deren Abschluss mit Geld, Erfahrungspunkten und Utensilien wie Kleidung, Waffen oder Zaubertränken belohnt wird. Der Charakter erklimmt Level für Level, indem sein Spieler Erfahrungswerte sammelt und diese in detaillierte Fähigkeiten investiert. So schafft er sich eine individuelle Spielfigur, deren Reise in mehrere parallel zueinander laufende Etappen eingeteilt ist:

"Holt jeweils eine Probe von Früchten, Nüssen und Getreide aus dem Lager der Furbolgs im Norden", lautet eine Quest. "Mischt alles in der Schale, stellt diese bei dem Freudenfeuer neben dem Cliffspring ab und lockt dadurch den Satyr an. Nehmt ihm seinen Talisman und kommt zurück." Angesichts des gigantischen Terrains eines einzelnen Gebietes scheint der Spieler zunächst wie verloren. Übersichtliche Karten verschaffen ihm auf seiner Suche nach Monstern, Kontaktpersonen, Gegenständen und Orten Orientierung. Riesenvögel, Reittiere, Schiffe, Bahnen oder Teleportzauber verkürzen weite Reisen. Kämpfe gegen Feinde und Dialoge mit Freunden sind dabei die Essenz.

Spielerisch, grafisch, und akustisch liefert Blizzard einen kommerziellen Hit. Schnell entwickelt "WoW" den Reiz des Charakteraufbaus - der Zugewinn verschiedener Kräfte schreitet zu Beginn Genre-untypisch zügig voran. Sorgfältig gestaffelte Menüs, erstklassige, nahezu fehlerfreie Textübersetzungen und eine einfache Steuerung erleichtern den Einstieg. Doch Genre-Neulinge seien gewarnt: Obwohl "WoW" auch halbstündige Action-Sessions erlaubt, sind Onlinerollenspiele Freizeitkiller. Quest-Belohnungen wie eine neue Waffe wollen sofort eingesetzt werden. Wenn sich der Spielabend dann fast unbemerkt um Stunden verlängert, wird einem klar, dass dieser fantastische Ort völlig anders beansprucht als herkömmliche Spiele.