Kein Sex mit Geimpften?
"Lieber Händchen halten, statt Abstand halten": Auch Impfskeptiker sollen auf One-Night-Stands und Tindern nicht verzichten
Der ganz normale Wahnsinn unserer Gegenwart treibt immer neue Blüten. Nachdem modische One-Night-Stand-Plattformen wie Tinder und Bumble die Möglichkeit eingeführt haben, Angaben zum Impfstatus zu machen, mit der Folge, dass viele der dortigen über 80 Prozent geimpften User, auf Ungeimpfte keinen Date-Bock haben, kam es zur vorhersehbaren Gründung eines Datingportals für Ungeimpfte.
Wer plötzlich "viel Freizeit wegen 3 G" hat, kann auf dem "Verbindungsportal" "Impffrei.Love" Liebespartner finden, denen garantiert kein Bill-Gates-Chip eingepflanzt wurde. Mit einem Bild des Matterhorn wirbt die Schweizer Website, die, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, mit einer semipolitischen Organisation namens "Generation Freiheit" verbunden ist, in leicht surrealen Worten für "impffreie Liebe" und wendet sich an "alle impffreien und bewussten Menschen", die "lieber Händchen halten, statt Abstand halten." Weiter raunt man von der "Möglichkeit der Vernetzung mit Gleichgesinnten".
"Naturbelassene Partner" mit Managerdeutsch
Auch die kleinen Selbstportraits einiger offenbar als Aushängeschilder gedachter Mitglieder sind Realsatire, etwa "Moody" aus Frankreich: Der Mann trägt einen Bart wie der Zwerg Gimli im "Herr der Ringe", und salbadert in einer Mischung aus Quasselstrippe und Managerdeutsch: "Ich bin begeistert von dieser Vernetzungsmöglichkeit mit impffreien Menschen – die sich für alternative Strukturen einsetzt".
Dann wird er weinerlich: "In der Kulturbranche ist der Impfdruck gewaltig – die meisten meiner Kollegen sind durchgeimpft. Musik zu spielen, auf der Bühne zu stehen und unter Menschen zu sein ist meine Leidenschaft. In der bestehenden Kulturbranche umgeimpft weiter tätig zu sein, ist so gut wie unmöglich."
"Sky" aus Deutschland ist dagegen offenbar gerade als Wassergeist einem Bächlein entstiegen und lässt ihre Hände übers Schilf streifen: "Als Gärtnerin liebe ich es, mich mit der Natur zu verbinden. Super dass man sich bei Impffrei:Love jetzt auch mit natürlichen und impffreien Menschen und naturbelassenen Partnern verbinden kann."
Bei der Formulierung vom "naturbelassenen Partner" hat der Autor offen gesagt ein bisschen gestutzt: Sucht Sky etwa auch noch speziell nach Anhängern des "Non Bathing"? Einem weiteren Trend, der offenbar direkt aus Hollywood nach Deutschland gekommen ist und wieder mal in Sachsen und Franken besonders viele Anhänger hat. In der Corona-Zeit, heißt es in der Sächsischen Zeitung, hätten viele Menschen weniger geduscht. Vielleicht wurden all diese Leute ja früher mal zu heiß gebadet?
Natürlich auch ein bisschen asozial: Impfstatus als Persönlichkeitsmerkmal
Von dem ganzen Hokuspokus abgesehen ist diese Plattform im Blick auf grundsätzliche soziokulturelle Tendenzen interessant. Zum einen: Die Lust auf Filterblasen kennt jeder. Irgendwann hat man halt keine Lust auf Grundsatzdebatten mehr, sondern bewegt sich lieber unter Menschen, die in bestimmten Fragen ähnlich ticken.
Soweit so gut und verständlich, aber natürlich auch ein bisschen asozial, denn das soziale Leben besteht ja bis zu einem bestimmten Grad auch aus dem Aushalten von Widersprüchen und dem Widerspruch anderer. Sie zu verweigern, hat etwas Kindisches.
Das zweite ist eine neue Entwicklung, die direkt der Erfahrungen mit Corona entspringt: Unser Umgang mit der Pandemie und unser jeweiliger Impfstatus ist nämlich nicht mehr eine Frage der persönlichen, freien Entscheidung – also gerade nicht einer "Generation Freiheit", mit der das Impfskeptikerportal so lauthals hausieren geht – , sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Manche Menschen machen sogar Liebe und Partnerwahl nicht mehr von der Größe primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale, von Herkunft, Beruf oder Weltanschauung abhängig, sondern vom Anteil der Covid-19-Antikörper im Blut.
Es gibt hier übrigens grundsätzlich keinen Unterschied zur Mentalität jener Zeitgenossen, die ihre Beziehungen zu all jenen abgebrochen haben, die Corona-Maßnahmen kritisieren oder die sich aus irgendeinem Grund nicht impfen lassen wollen.
Seine Ansicht zum Impfen und zur Impfpflicht hat der Autor hier oft genug deutlich gemacht. Aber das eigentliche Problem hinter beiden Grundpositionen ist der Absolutismus der Meinungen, der tendenziell zu einem Fanatismus wird, und Abweichungen vom eigenen Denken nicht mehr imstande ist, zu tolerieren. Frei nach Walter Benjamin: Corona als Religion.