Keine Einigung in Sicht
Griechenland und die Eurogruppe finden bei einem ersten Krisentreffen in Brüssel keinen gemeinsamen Nenner. Schäuble spricht von Regeln, Varoufakis von Politik
In der langen Geschichte der Eurokrise gab es stets ein überragendes Motiv zum Handeln: den echten oder vermeintlichen Druck der Märkte. Immer wenn Investoren und Spekulanten gezielt Positionen gegen bestimmte Euroländer aufgebaut hatten und eine "Ansteckungsgefahr" für die gesamte Währungsunion vermutet wurde, reagierte die Politik. Dann wurden hektisch Sondergipfel in Brüssel einberufen und über Nacht die Regeln geändert, übrigens nicht immer zum Vorteil des betroffenen Landes.
Doch diesmal, beim Krisentreffen der Eurogruppe mit dem neuen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, ist alles anders. Das Treffen ist nicht auf Druck der Märkte einberufen worden, sondern auf Druck der Politik. Diesmal muss nicht bis zur Öffnung der Börsen am nächsten Morgen in Asien eine Lösung gefunden werden, sondern bis zum nächsten regulären Treffen der Eurogruppe am kommenden Montag - ein politisches, ziemlich willkürliches Datum.
Offiziell wird es damit begründet, dass am 28. Februar das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland auslaufe und Eile geboten sei. Doch auch dies ist eine politische Entscheidung, kein ökonomischer Imperativ. Das Datum 28. Februar war bei der letzten regulären Eurogruppe im Dezember 2014 festgelegt worden - gegen den Willen der damaligen konservativen griechischen Regierung, die sich eigentlich schon am 1. Januar aus dem Hilfsprogramm und den damit verbundenen Auflagen befreien wollte.
Politik macht auch die Europäische Zentralbank: Ausgerechnet am 11. Februar, also am Tag dieses womöglich entscheidenden Krisentreffens der Euroländer, läuft die Sondergenehmigung aus, griechische Staatsanleihen als Sicherheiten zu akzeptieren. So schafft die EZB, die politisch unabhängig sein will, jenen Druck, für den früher die Märkte gesorgt haben. Die Geldversorgung Griechenlands hängt nun nur noch an einem seidenen Faden - den Notfallkrediten aus dem so genannten ELA-Programm.
Über all das reden Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen nicht so gern. Sie stellen ihre Entscheidungen immer gern als völlig unpolitisch dar, die nur von den scheinbar ehernen Regeln der EU geleitet werden. Auch dieses Treffen in Brüssel macht da keine Ausnahme. Griechenland könne nur dann weitere Hilfen erwarten, wenn es sich an die Regeln halte und das laufende "Programm" akzeptiere, so Schäuble. Zuvor hatte er offen mit einem Bruch gedroht: "Dann ist es eben vorbei", antwortete Schäuble auf die Frage, was geschehe, wenn Athen den Reformweg nicht weiter verfolgen wolle.
Einen völlig anderen, allerdings ebenfalls extremen Ansatz verfolgt Varoufakis. Für ihn scheint alles politisch zu sein, die Regeln stellt er radikal in Frage. So möchte der Star-Ökonom, der auch diesmal wieder in Lederjacke auftritt, das laufende Programm streichen und durch eine Brückenfinanzierung bis zum Sommer ersetzen. Erst danach - und nicht schon am kommenden Montag - soll ein neues Hilfskonzept stehen. Zudem möchte Varoufakis größere Margen im griechischen Budget nutzen und dafür den vereinbarten Primärüberschuss (vor dem Schuldendienst) von 4,5 Prozent des BIP auf 1,5 Prozent senken.
Völlig unmöglich, heißt es aus Berlin, wo man noch nicht einmal Varoufakis Forderung anerkennt. "Hier geht es nicht um eine Forderung, sondern um eine Vereinbarung", heißt es in Regierungskreisen. "Jedes Land ist völlig frei zu tun, was es will", erklärt Schäuble zu Beginn der Krisensitzung in Brüssel. Er sehe aber nur zwei Möglichkeiten: Entweder werde das laufende Hilfsprogramm "ordentlich zu Ende gebracht oder wir haben kein Programm". Wenn Athen das Programm verlasse, "dann sind wir ganz gespannt, was Griechenland für Vorstellungen hat".
Entpolitisieren, abblocken, kommen lassen - so die Taktik der Bundesregierung im neuen Schuldenstreit mit Athen. Ganz ähnlich argumentiert Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, der seit seinem missglückten Athen-Besuch politisch angeschlagen ist. "Heute kommt keine Lösung, das weiß ich aus Erfahrung. Das geht Schritt für Schritt", sagt er. Nun müsse zunächst die griechische Regierung ihre Pläne präsentieren. "Ich hoffe, dass wir heute und bis zum 16. Februar Fortschritte machen." Die Eurogruppe sei willens, zu einer Lösung zu kommen.
Immerhin, der Niederländer spricht vom Willen zu einer Lösung. Damit setzt sich Dijsselbloem von Schäuble und anderen Hardlinern ab - und macht einen Schritt auf den französischen Finanzminister Michel Sapin zu, der sich schon bei Varoufakis Besuch in Paris vor zehn Tagen als Vermittler angeboten hatte. Doch wie die Lösung aussehen soll, bleibt auch nach stundenlangen Beratungen unklar.
Die Gräben werden tiefer
Kommt statt des zunächst von Athen geforderten Schuldenschnitts nur eine Streckung, die allerdings - wenn man es geschickt anstellt - dieselbe entlastende Wirkung haben könnte? Lockt Griechenland die Eurogruppe mit Selbstverpflichtungen in einem Zehn-Punkte-Plan, wie in Athen zu hören war? Kann die OECD in Paris die Rolle der verhassten Troika übernehmen - oder muss es bei der Überwachung durch "die drei Institutionen" EU, EZB und IWF bleiben, wie man in Berlin betont?
Antworten gibt es an diesem Abend keine. Varoufakis sei nicht wie erwartet mit einem Konzeptpapier gekommen, berichten Diplomaten. Vielmehr habe er nur vier Prinzipien für eine mögliche Lösung umrissen. Athen wolle finanzielle Stabilität, finanzielle Nachhaltigkeit und eine Umstrukturierung der Schulden erreichen sowie die humanitäre Krise lösen.
Demgegenüber bestand die Eurogruppe auf dem laufenden Programm, das man allenfalls um ein paar Wochen verlängern könnte - allerdings ohne an den Spar- und Reformauflagen zu rütteln. Damit wäre das von der neuen griechischen Regierung geforderte Ende des Austeritätskurses allerdings hinfällig. Am Ende der Eurogruppen-Sitzung gab es daher noch einiges Hin und Her um ein gemeinsames Statement. Varoufakis verweigerte seine Zustimmung, während Deutschland wie üblich versuchte, die Formulierungen noch härter zu fassen.
Schließlich ging die Sitzung - wie erwartet - ohne Einigung zu Ende. Während Eurogruppenchef Dijsselbloem noch seine Pressekonferenz vorbereitete, hieß es in Athen schon, man werde keine Verlängerung des laufenden Programms akzeptieren. Ob dieser Streit durch ein paar nette Formulierungen übertüncht werden kann, blieb am Mittwochabend offen. Klar ist nur, dass sich die Fronten weiter verhärtet haben. Vor allem zwischen Athen und Berlin ist der Graben tiefer denn je.
Einen offenen Bruch will man aber noch vermeiden. Beim EU-Gipfel am Donnerstagabend soll die neue Griechenland-Krise nicht oder nur am Rande angesprochen werden. Ratspräsident Donald Tusk hat den Streit ausgeklammert, Kanzlerin Angela Merkel noch keinen Termin mit ihrem neuen Counterpart Alexis Tsipras vereinbart. Zum Schwur dürfte es daher erst am kommenden Montag kommen, bei der nächsten regulären Eurogruppe. Vielleicht werden bis dahin ja auch die Märkte nervös. Grund genug hätten sie.