Khashoggi und die Rivalität zwischen Regionalmächten
Der Konflikt zwischen Istanbul/Ankara und den Saudis um die Vorherrschaft in der sunnitischen Welt reicht 274 Jahre in die Vergangenheit zurück
Dass die Türkei das saudische Konsulat in Istanbul überwachte und damit erlangte Informationen zur Tötung des saudischen Kronprinzengegners Jamal Khashoggi an die Öffentlichkeit gab, dürfte nicht nur damit zu tun haben, dass Khashoggi aus einer türkischen Familie stammt, die sich in osmanischer Zeit auf der arabischen Halbinsel niederließ, sondern auch damit, dass Saudi-Arabien und die Türkei eher Rivalen als Freunde sind. Diese Rivalität reicht lange zurück.
Sie begann bereits 1744 - mit der ersten Entstehung des Staates Saudi-Arabien. Damals schlossen der Stammesführer Muhammad ibn Saud und der Sektenführer Muhammad ibn Abd al-Wahhab einen Pakt: Ibn Saud versprach ibn Abd al-Wahhab in diesem Pakt, für seine Interpretation des Koran zu kämpfen, wofür der Wahhabitenvater die Familie Saud als politische Herrscher anerkannte. Diese religiöse Legitimation brauchte die Familie, um sich vom Osmanischen Reich zu lösen, dessen Sultane seit dem 16. Jahrhundert als Kalifen religiöse Autorität über die gesamte islamische Welt für sich beanspruchten.
Zwei Mal untergegangen
Nachdem die Krieger dieses Bündnisses 1802 im heute irakischen Kerbala nicht nur zahlreiche Schreine zerstörten, sondern auch zwei- bis fünftausend schiitische Zivilisten als "Häretiker" töteten, schickte Sultan Mahmud II. 1811 via Muhammad Ali Pascha, den albanischen Gouverneur von Ägypten, albanische Truppen auf die arabische Halbinsel. Die zerstörten am 11. September [sic] 1818 die damalige Saudi-Hauptstadt Diriyah und brachten den Muhammad-ibn-Saud-Nachfolger Abdullah bin Saud in Ketten nach Istanbul, wo man ihn der Korruption, der Rebellion und der "Spaltung der Moslems" für schuldig befand und von Festakten begleitet enthaupten ließ.
Aber schon ab 1824 eroberte Turki ibn Abd Allah ibn Muhammad ibn Saud, ein überlebendes Mitglieder des Hauses, von der heutigen Hauptstadt Riad aus große Teile des ehemaligen Territoriums seiner Familie zurück. Der von ihm begründete Staat bestand bis 1891, als der Sultan es schaffte, den Saudi-Herrscher Abd al-Aziz ibn Abd ar-Rahman as-Saud nach mehreren militärischen Niederlagen gegen mit Istanbul verbündete Beduinenstämme mit einer fürstlichen Pension nach Kuwait ins Exil zu schicken.
Dort bleib er jedoch nur elf Jahre lang, bis er zurückkehrte und die verfeindeten Stämme mit Hilfe der fanatischen wahhabitischen Ichwan-Bruderschaft ausschaltete. Nachdem diese ihre Aufgabe erledigt hatte, ließ er ihre Führer beseitigen und sich 1927 zum König von Nagd und Higaz ausrufen. Die Briten, die dankbar waren, dass Abd al-Aziz ibn Abd ar-Rahman as-Saud die Expansion der Ichwan in den Irak und nach Transjordanien eingedämmt hatte, erkannten seinen Anspruch darauf kurz darauf an, obwohl er seine Ölkonzessionen nicht an ihre, sondern an amerikanische Firmen vergab.
Neo-Osmanische Politik
Das Kerngebiet des Osmanischen Reiches wurde von Mustafa Kemal Atatürk nach der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg in einen türkischen Nationalstaat umgebaut. Atatürks Nachfolger zeigten lange Zeit eher ein Interesse an einer Aufnahme in die EU als an einer Führungsrolle an den Gebieten, die ihre Vorfahren früher beherrschten. Auffällig für Einflussnahme dort begeisterte sich erst der jetzige türkische Staatschef Reccep Tayyip Erdoğan, der aus der islamistischen AK-Partei kommt.
Mit seiner neo-osmanischen Politik und Sätzen wie dem, dass nur die Türkei "die moslemische Welt führen" könne, belebte Erdoğan die Rivalität zu Saudi-Arabien neu, weil der inzwischen durch Öl schwerreich gewordene Gottesstaat, der die Pilgerstädte Mekka und Medina beherrscht, ebenfalls eine solche Führungsrolle beansprucht. Ein Anspruch, der beim aktuellen Kronprinzen Mohammed bin Salman stärker sichtbar wird als beim noch amtierenden greisen König Salman ibn Abd al-Aziz.
Feste Fronten
Beide Regionalmächte haben inzwischen feste Verbündete, die Gegner der jeweils anderen Macht sind: An der Seite der Türkei stehen die Moslembrüder (über die Erdoğan während des "Islamischen Frühlings" in mehreren Staaten Einfluss zu erringen versuchte) und Katar, das von Saudi-Arabien und dessen Alliierten im letzten Jahr mit einer Wirtschaftsblockade bestraft wurde (vgl. Konflikt am Golf: Saudi-Arabien will Katar mit einem Kanal zur Insel machen).
Zu Saudi-Arabiens Verbündeten zählen unter anderem die aktuelle ägyptische Staatsführung (die dort 2013 die türkisch unterstützten Moslembrüder entmachtete) und die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Außenminister Abdullah bin Zayid Al Nahyan, Ömer Fahrettin Türkkan, den letzten osmanischen Statthalter in Medina, auf Twitter der Plünderung bezichtigte, weil der im heutigen Bulgarien geborene Offizier 1918 die dortige Bibliothek nach Istanbul bringen ließ, um sie vor wahhabitischen Bilderstürmern und Säuberern zu schützen. In der Türkei reagierte man auf Abdullah bin Zayid Al Nahyans Anschuldigung, indem man die Straße, in der sich die Botschaft der Emirate befindet, nach Ömer Fahrettin Türkkan umbenannte.
Die Enthüllungen im Fall Khashoggi kann man als Versuch Erdoğans sehen, die Beziehungen zwischen seinem Rivalen Saudi-Arabien und der Supermacht USA zu verschlechtern. Als Versuch, der zumindest aktuell nicht aufgegangen zu sein scheint (vgl. Trump: Fest an der Seite von Saudi-Arabien). Mehr Erfolg scheint man damit gehabt zu haben, das Image des saudischen Kronprinzen als Reformer zu beschädigen (vgl. Eine eigene Rechtsordnung und mehr Roboter als Menschen).
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