Kidnapping an den elektronischen Wahlurnen?
Weitere Unstimmigkeiten bei der US-Präsidentschaftswahl sind aufgetaucht
Amerika wird gelegentlich "The Promised Land" genannt. Nur gelegentlich stellen sich Außenstehende die Frage: Wem wurde das Land eigentlich versprochen? Eine solche Gelegenheit bietet sich in letzter Zeit in unangenehm regelmäßigen Abständen von vier Jahren: Bei der Wahl im Jahr 2000 konnte der Journalist Greg Palast noch direkt nachweisen, dass die Wahl in Florida kriminell, massiv und in diesem Fall entscheidend von Offiziellen in der Staatskanzlei des Bush-Bruders Jeb beeinflusst wurde.
In diesem Jahr ist zwar das Ergebnis kein anderes, aber immerhin sind sich die meisten Kommentatoren einig, dass die wenigen beobachteten Unregelmäßigkeiten den Wahlausgang nicht entscheidend verändert haben und George W. Bush tatsächlich so richtig gewählt wurde, wie man das aus Demokratien kennt. Dass diese Unregelmäßigkeiten allerdings sehr regelmäßig Angehörige insbesondere schwarzer Minderheiten betreffen, wissen schon weniger Kommentatoren zu berichten. Und wenn dann der Kandidat der demokratischen Partei auch noch selbst zugibt, er habe wohl verloren, ist die Bereitschaft unter Journalisten zu weiterem Hinterfragen endgültig auf ihrem Tiefpunkt angelangt. Man spricht in diesem Zusammenhang wohl von der normativen Kraft des Faktischen.
Egal, ob four more years oder four more wars, Bush hat's geschafft. Ist es jetzt noch etwas anderes als Querulantentum nachzufragen, wie genau dieses Ergebnis zustande gekommen ist? Eine Demokratie - und schließlich hält sich die USA für die beste der Welt - braucht dann vielleicht doch mehr als das heimelige Gefühl, dass schon alles in Ordnung sein wird: Sicher würde es wehtun zu erfahren, dass der eigene Präsident oder Kanzler ein Lügner oder Krimineller ist. Man sei nur beispielsweise an Herrn Berlusconi erinnert, um der europäischen Selbstzufriedenheit in Hinblick auf die USA den ein oder anderen Fleck auf der demokratischen Weste entgegenzuhalten.
Eine Wahrscheinlichkeit von 1:250 Millionen
So eindeutig die diesjährige Wahl in den USA letztlich auch ausgefallen zu sein scheint, sind doch schon während der Wahlnacht einigen Zweifel gekommen, woran es wohl lag, dass die ersten Hochrechnungen in den drei entscheidenden Staaten Florida, Ohio und Pennsylvania noch recht deutlich für Kerry ausgefallen waren - und er letztlich doch nur Pennsylvania gewinnen konnte. Schließlich ist man nicht zuletzt aus Deutschland gewohnt, dass bereits die ersten Hochrechnungen recht genaue Ergebnisse liefern und Abweichungen von über einem Prozentpunkt schon mehr als ungewöhnlich sind.
So wurden zum Beispiel in Utah aufgrund der sogenannten exit polls (Wählerbefragungen) Hochrechnungen produziert, die maximal um 0,3 Prozentpunkte vom tatsächlichen Endergebnis abwichen. (Für die Neugierigen: Bush erzielte in Utah 71,1% der Stimmen.) In den genannten drei Staaten lag die Abweichung etwas höher: zwischen 5 und 6,5 Prozentpunkten. Jeweils zu Gunsten von Bush. Waren die Hochrechnungen noch von einem Sieg Kerrys in allen drei Staaten ausgegangen, wurden die Zahlen nach tatsächlicher Auszählung schnell korrigiert.
Auf den ersten Blick klingt das alles ein wenig unwahrscheinlich: Gerade in drei Staaten, die als entscheidend für den Ausgang der Wahl galten, waren offensichtlich die Hochrechnungen falsch. Wie groß ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass per Zufall in allen drei Staaten Bush derart drastisch zulegt? 1:250 Millionen, sagt Professor Steven F. Freeman von der University of Pennsylvania. Nicht nur das, auch seien die Hochrechnungen allem Anschein nach auf einer vernünftigen Datenbasis erhoben worden. Wo könnte dann der Fehler liegen? Ob Walden O'Dell, Chef des Wahlmaschinenherstellers Diebold, einfach nur sein Versprechen eingelöst hatte, sicherzustellen, dass Ohios Wählerstimmen auch wirklich an den Präsidenten gehen? (Selbst die FAZ berichtete - zwei Monate später.)
Merkwürdiges in Nebraska 1996
Vielleicht lohnt an dieser Stelle ein Blick in die jüngere Geschichte des Staates Nebraska. Dort wurde im Jahre 1996 ein gewisser Charles Hagel, Mitglied der Republikanischen Partei, zum Senator gewählt. Ein Jahr später sah sich der Vorsitzende des Ethik-Ausschusses des US-Senats genötigt, Hagel aufzufordern, veröffentlichungspflichtige Angaben zu seinen finanziellen Beteiligungen an US-Firmen zu präzisieren. Hagel hatte eine Beteiligung an einem "Investmentfonds", der McCarthy Group Inc., angegeben. Bei Beteiligungen, die in diese Kategorie fallen, sind Senatoren freundlicherweise nicht zur Angabe weiterer Details verpflichtet.
Doch offensichtlich war Hagel ein Irrtum unterlaufen: Die McCarthy Group war kein Investmentfonds im Sinne des Senatsausschusses. Im Gegenteil gehört zu McCarthy auch eine Firma namens ES&S, Election Systems & Software, die Wahlmaschinen herstellt. Interessenskonflikt genug für einen Senator, der unter anderem über Wahlrechtsreformen zu entscheiden hat, könnte man argumentieren. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass gut 85 % aller in Nebraska bei Hagels Wahl 1996 benutzten Wahlmaschinen von ES&S stammen (Das Problem mit den elektronischen Wahlsystemen und der amerikanischen Demokratie).
Mehr als nachdenklich sind viele Beobachter geworden, als sie die genauen Zahlen der Wahl gesehen haben: Hagel, so Bev Harris von BlackBoxVoting.org, konnte in nahezu jeder demographischen Gruppierung als Sieger vom Feld gehen, auch in größtenteils schwarzen Bezirken, die noch nie einen Republikaner gewählt hatten. Ob das mit einem anderen Irrtum zu tun haben konnte, der Hagel gegenüber dem Ethik-Ausschuss unterlaufen war? Er hatte vergessen, dass er bis Anfang 1996 Chef von ES&S war, die die Wahlmaschinen für die Senatswahl gebaut und programmiert hatten.
Dabei ist es verständlich, dass ein Senator potentiell kompromittierende Informationen über seine Beziehungen in die freie Wirtschaft nicht gern preisgibt. So etwas sieht zwar schlecht aus, aber jemandem auf solcher Grundlage Wahlfälschung zu unterstellen, ginge dann doch ein bisschen weit. Eine weitere Gruppe von Statistikern, die sich mit den Wahlergebnissen aus Florida befasst hat, wollte ebenfalls nicht so weit gehen. Das Doktorandenteam um Professor Hout von der Universität in Berkeley, Kalifornien, hatte nur herausgefunden, dass in einigen Counties in Florida (Broward, Miami-Dade und Palm Beach) die erwarteten Ergebnisse signifikant deutlicher für Bush ausgefallen waren, als das in Counties ohne elektronische Wahlmaschinen der Fall war. Allein in Broward County habe Bush 72.000 Stimmen mehr bekommen als statistisch zu erwarten waren.
Fündig geworden in Mülltonnen vor dem Wahllokal
In einem anderen County, Volusia, geht Bev Harris inzwischen etwas weiter und spricht von "deutlichen Anzeichen" für Wahlfälschungen von offizieller Seite. In der Radiosendung von Thom Hartmann berichtet sie von ihrem Versuch, von den Wahloffiziellen in Volusia die offiziellen polling place tapes, Ausdrucke der Wahlzettel-Auswertungsmaschinen, zu sehen.
Diese werden üblicherweise am Abend der Wahl ausgedruckt und von örtlichen Wahlleitern unterschrieben. Die, die Bev Harris zu sehen bekam, waren anders: mit Datum vom 15. November und ohne Unterschriften. Immerhin waren die Zahlen die des offiziellen Endergebnisses. Auf der Suche nach den Originalen fand Harris in der Tat einige wie Originale aussehende polling place tapes - in der Mülltonne des Wahlleiterbüros. Beim Vergleich dieser ordnungsgemäß unterschriebenen Ausdrucke vom 2. November mit den speziell für Harris angefertigten fielen dann auch gewisse Unregelmäßigkeiten auf: Die Ausdrucke für einzelne Wahlbezirke unterschieden sich oft in Hunderten von Stimmen - obwohl einzelne Wahlbezirke oft nur einige hundert bis wenige tausend Wähler haben. Wo die meisten Unterschiede auftauchten? In Bezirken mit großen Minderheitenanteilen. Fielen die Unterschiede vielleicht immer für einen Kandidaten aus? Ja. Für Bush.
Bev Harris ist schon auf dem Weg in andere Counties, um möglichen Nachahmungstätern in dortigen Wahlbüros auf dem Weg zur Mülltonne vielleicht noch zuvorkommen zu können. Thom Hartmann sagte gegenüber telepolis, in Volusia seien die Zählarbeit und der juristische Teil der Aufarbeitung des Umgangs mit den polling place tapes jetzt in der Hand von Mitarbeitern vor Ort. Genaue Zahlen über die Abweichungen von den mutmaßlichen Original-Ausdrucken erwarte er im Laufe dieser Woche. Eine Anfrage nach den Videoaufnahmen vom Kampf um die beweiskräftigen Mülltonnen hat Bev Harris derweil noch nicht beantwortet.
Während der Kampf um die Präsidentschaft vorbei ist, dauert der um die Demokratie weiter an. Und wenn man nach einer Wahl in Florida oder anderswo jemanden wie Katherine Harris sagen hört, dass die Demokratie wieder einmal triumphiert habe, sollte man besser hellhörig werden und sich an einen Klassiker der politischen Bildung erinnern: Edmund Blackadder im Gespräch mit dem Reporter Vincent Hanna. Blackadder hatte als einziger Wähler einen grandiosen Wahlsieg für seinen Kandidaten in einem sogenannten rotten borough gefeiert, wo letztendlich der Wahlsieg von der Größe des Geldbeutels abhing.
Hanna: One voter; 16,472 votes. A slight anomaly?
Blackadder: Not really [...]. The number of votes I cast is simply a reflection of how firmly I believe in his policies.
Hanna: Well, that's excellent. [...] Another great day for democracy in our country.
Wenn die Zahlen irgendeinen Schluss zulassen, glauben Diebold und ES&S wirklich sehr fest an George Bush.