Kind wird Schlagetot, Schlagetot schlägt Kinder tot

Seite 2: Gewaltorgie, blutrünstigst und handlungsarm

Herausgekommen ist bei aller historischer Grundierung gleichwohl eine Gewaltorgie, eine der blutrünstigsten und handlungsärmsten US-Großproduktionen seit dem Spartaner-Untergangsdrama 300 von Zack Snyder, der auch mal so ein Regie-Shootingstar gewesen ist.

Was man Eggers zugutehalten muss, ist, dass er nicht den üblichen pathetischen Heldenschinken abliefert, auf den das Action-Kino-Hollywoods in den letzten 20 Jahren heruntergekommen ist: Pubertierende Superhelden, die irgendwann ihr Vater-Problem lösen müssen oder Familien gründen oder vorhandene verteidigen.

Bild: © 2021 Focus Features, LLC

Andererseits ist dieser Prinz Amleth, der mit der Shakespeare-Figur vor allem die gleiche nordische Sage als Ausgangsquelle gemeinsam hat, durchaus mit einer Figur wie Batman verwandt: Ein düsterer Einzelgänger, der durch die Ermordung seines Vaters traumatisiert, diesen rächen und Ordnung in eine chaotische Welt bringen will.

Mit Shakespeare hat das nichts zu tun. Eggers macht aus Hamlet eine Schlachtplatte.

Mit Game of Thrones kann man schon eher manches oberflächlich vergleichen. Der Unterschied liegt aber darin, dass sich The Northman unendlich viel ernster nimmt. Auf Humor wird in zweieinhalb Stunden komplett verzichtet.

Schon das macht diesen Film schwer erträglich und zu einem üblichen Produkt unserer Gegenwart – über diese Gegenwart wird man sich in späteren Zeiten sehr wundern. Denn nie gab es eine Epoche der Kinogeschichte, die humorloser war als die jetzige.

In seinem Bierernst ähnelt The Northman dem Film The Revenant bei dem ein wortkarger zotteliger Einzelner zweieinhalb Stunden lang durch eine eiskalte Waldlandschaft stapft, um irgendwann einen Rache-Job zu vollenden. Und bei dem sich auch die Geister schieden.

"Keinen Film für unsere Zeit machen"

Und der Film als Film? Die Bilder sind zum Teil beeindruckend, und in den Kampfszenen der wirkliche Pluspunkt des Films. Die Kamera von Eggers' Stamm-DP Jarin Blaschke ist rastlos und muskulös wie der Held, es geht immer vorwärts durch Regen, Wind, Schlamm und Asche, Schnee und Eis peitschend, in langen, ununterbrochenen Fahrten.

Die Charakterzeichnung aber ist mangelhaft. Zuerst sehen wir ein gebrochenes Kind, das alles außer seinem nackten Leben verloren hat, nur um es zwei Minuten später als Erwachsenen zu sehen, der sich, ohne mit der Wimper zu zucken, als blutrünstiger Schlagetot durch die Leinwand hackt und dabei nebenbei Dutzende solcher Kinder tötet.

Alles kann damit entschuldigt werden, dass der Regisseur ja ach so genau ist, und "keinen Film für unsere Zeit machen" wollte, sondern "die Sicht der Wikinger auf die Leinwand bringen" wollte. Aber mit diesem schlichten Argument kann man alles entschuldigen und nichts überprüfen.

Wenn das der Zuschauer nicht versteht, dann ist das eben nicht das Unvermögen der Filmemacher, sondern nordische Mythologie, eine andere Welt, eine andere Kultur, über die wir überzivilisierten Liberalen nicht richten dürfen oder gar können.

Die Frage aber bleibt: Warum das Ganze? Gesetzt es wäre Robert Eggers wirklich gelungen, sich und uns in die Weltsicht der Wikinger zu versetzen, dann bleibt doch die Frage, wozu das eigentlich gut sein soll?

Und natürlich die Frage, was es über unsere Zeit aussagt, wenn sich offenbar Millionen Menschen tatsächlich davon begeistern lassen, virtuell in einen Haufen primitiver Mordbuben verwandelt zu werden? Als Trainingsspiel für den nächsten Kriegseinsatz mag das Ganze noch angehen. Aber als Unterhaltung? Als Kunst?

"Die Sicht der Wikinger auf die Leinwand bringen"

Immer wieder kippt die hysterische, allzu gewollte Intensität in Albernheit um. Übertreibung wird zur Lächerlichkeit, Exzess zur Prätention.

Warum ein Film wie dieser jetzt ins Kino kommt, kann man sich recht gut erklären.

Da ist zum einen die Tatsache, dass das Nordische und die nordische Mythologie und Geschichte gerade schwer in Mode sind, seit mehrere Wikinger-Serien auf den bekannten Streaming-Plattformen Erfolge haben.

Es gab sowieso immer mal wieder Wikinger-Filme im Kino. Unvergessen ist The Vikings, in dem Kirk Douglas und Tony Curtis im Lendenschurz über die Leinwand der späten 50er-Jahre hüpften. Ich glaube, ich habe Kirk Douglas überhaupt zuerst durch diesen Film kennengelernt. Ein Sklave und ein Wikingerprinz kämpfen darin um die Liebe einer gefangenen Prinzessin (Janet Leigh). The Vikings stammt von Richard Fleischer, dem – nomen est omen – Genie des Trashigen im Hollywood Kino jener Jahre.

Die Wikinger wirken hier richtig zivilisiert, eben wie die ersten Amerikaner, die Vorläufer jener weißen angelsächsischen Protestanten, die 1776 das neue Jerusalem gründeten. In Eggers' Film wirken sie nicht mehr so zivilisiert wie dort – eher wie ein Indianerstamm, wie unzivilisierte Halbprimitive, die von einem merkwürdigen System aus Aberglaube und Opfer-Ritualen und vor allem durch härteste Gewalt zusammengehalten werden.

Historisch gesehen hat das manches für sich – aber wahrscheinlich waren die Wikinger schon ein bisschen zivilisierter und menschlicher, als sie in diesem Film erscheinen.