Kind wird Schlagetot, Schlagetot schlägt Kinder tot

Seite 4: Man(n) scheut das Weib und tötet lieber

Viel lieber allerdings würden wir Amleth dabei zusehen, wie er etwas Überraschendes tut und sein Leben in die eigenen Hände nimmt.

Aber The Northman bleibt von Anfang bis Ende ein grausames und geradliniges Spektakel. Nur ist das, was zwischen den blutigen Schlachten passiert, nicht spannend genug. Immerhin an Hamlet dürfen wir am Ende doch noch einmal denken, als die von Nicole Kidman gespielte Mutter wieder auftaucht. Wie war das noch bei Shakespeare?

Hier nun wird man als Zuschauer fast von selbst auf psychoanalytische Deutungsmuster geführt. Denn als Amleth von seiner Mami zurückgewiesen wird, und er sich, weil er Mami nicht befreien kann, kurz mal auf das Russengirl Olga einlässt, ist es auch mit dem tatsächlich hollywoodesken Hoffnungsschimmer so schnell wieder vorbei wie mit dem schönen Wetter in Island.

Amleth scheut das Weib und tötet lieber.

Schicksal ist Schicksal. Sein Leben ausschließlich der Rache zu widmen, vor allem wenn man es stattdessen mit Anya Taylor-Joy verbringen könnte, ist trotzdem ziemlich dumm und glücklicherweise unzeitgemäß.

So bleibt am Schluss die Frage: Wie kann etwas nur so blutig und langweilig zugleich sein?

Kompromißlosigkeit, Arroganz und Weigerung, sich Vorgaben zu unterwerfen

Die einzige echte Rechtfertigung für diesen Film ist sein Umfeld: Eine mehr und mehr homogenisierte Kinolandschaft, die so sehr von leerem Spektakel entmachtet wurde, in dem Kritiker darauf konditioniert wurden, milde Überraschungen wie Staatsgeheimnisse zu behandeln, ihrem Geschmack nicht mehr zu vertrauen, auf Bildung keinen Wert zu legen und aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen.

In so einem Umfeld muss dann Robert Eggers wirklich als Genie erscheinen. Und in so einem Umfeld und einer Kino-Ära, die von Kompromissen geprägt und fast zerstört wurde, ist The Northman in seiner Kompromisslosigkeit und Arroganz und Weigerung, sich Vorgaben zu unterwerfen, tatsächlich einer der wichtigen und bleibenden Filme des Jahres.

Faszinierend in seiner Primitivität, seinem blutgetränkten magischen Realismus, seiner Verrücktheit, seinem Exzess. Ein Film mit der Wucht einer Walküre.

Er erinnert uns daran, wie selten wir heutzutage ein großes, lautes Spektakel zu sehen bekommen, das nicht auf Superhelden und Schurken aus den Comics basiert, sondern auf der kühnen Phantasie oder wenigstens dem schlechten Geschmack und der Geldgier eines Menschen. Das allein verdient schon Respekt.

...unser Jahrhundert, Götterdämmerung, Ragnarök –, menschliche Zeiten, liberale: Aufwartungs- und Halbtagsvorstellungen von allen Dingen, nichts wird rund gesehen, nichts allgemein. Alles ist uferlos, ideologisch und jeder darf entweichen. Aber da hämmert eine Gruppe das Absolute – ihm verfallend, aber es geistig überwindend – in abstrakte harte Formen: Bild, Vers, Flötenlied.

Gottfried Benn, s.o.

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