Kirchenrevolte für die Liebenden

Seinerzeit in der Ostkirche kein Problem: Peter und Paul beim Friedenskuss

Die vatikanische Theologenpolizei hilft den katholischen Reformern auf die Sprünge - Die vom Papst initiierte "zärtliche Revolution" soll den homosexuellen Paaren zugutekommen

Die Nachfolge-Institution der Römischen Inquisition hat jüngst den Ortskirchen Segensfeiern bzw. Segensgebete für homosexuell Liebende untersagt, obwohl diese auf uralte ostkirchliche Liturgien zurückgreifen können und schon seit vielen Jahren zur Pastoral in ungezählten Gemeinden gehören.

Das entsprechende "Responsum" entspricht auffälliger Weise zu 100 Prozent dem Begehren eines vor wenigen Tagen notgedrungen suspendierten Opus-Dei-Bischofs aus der autoritären Kölner Kirchenleitung.

Wortlaut: "Gott segnet nicht die Sünde"

Die "rechtskatholischen Identitären" in den USA jubeln. Die altbekannte Diktion der Beschämung einer zu allen Zeiten und an allen Orten lebenden Minderheit, die in jeder familiären Verwandtschaft vertreten ist und zu der auch der Verfasser dieses streitbaren Debattenbeitrags gehört, wird - diesmal allerdings ohne die infame Vokabel "Mitleid" - wortwörtlich fortgeführt: "Gott liebt alle Menschen" (auch die Gestörten und mit "Schöpfungsdefekten" Behafteten); er segnet sogar die Sünder, "aber er segnet nicht die Sünde". - Mehr Heuchelei in einem Kirchengefüge, dessen zwangszölibatäres Leitungssystem ohne schwule Priester schon längst zusammengebrochen wäre, ist kaum vorstellbar.

Von einer durch Jesus aus Nazareth bewegten Frömmigkeit ist in dem dekretalen Machtakt von oben nichts mehr zu spüren. In gut fundamentalistischer Manier verweigert sich die oberste Glaubensbehörde ebenfalls einem rationalen Diskurs, indem sie sich auf Unfug und Konstrukte eines wahnwitzigen Naturrechtparadigmas zurückzieht. Die Früchte der Aufklärung werden nach drei Jahrhunderten von Teilen der Kurie noch immer als ungenießbar betrachtet. Der Vorgang kommt einer intellektuellen und theologischen Bankrotterklärung gleich.

So viel steht jetzt schon nach wenigen Tagen fest: Die Theologenpolizei des Vatikans hat soeben den entscheidenden Funken entfacht, der einen seit Jahren dahindümpelnden Reformprozess zur frommen Revolte werden lässt. Gegen den Heiligen Geist und seine menschenfreundliche List wird die theologische Polizeibehörde den Kürzeren ziehen.

Die Widersprüche und Komplikationen, die mit diesem Vorgang zusammenhängen, sind aber weitaus vielschichtiger, als es ein selbstgefälliger liberal-katholischer Standort wahrzunehmen vermag. Aus einer gleichermaßen freiheitlich-jesuanischen wie weltkirchlichen Perspektive verdienen die Reformer einer bürgerlichen Wohlfühlkirche ebenso wenig Beifall wie der freundlich verpackte "Theo-Stalinismus" vatikanischer Wahrheitsbesitzer: "Ein Esel schimpft den anderen Langohr."

Die zu sichtenden Ambivalenzen weisen übrigens viele Entsprechungen zu dem auf, was in der Debatte "Linke und Identitätspolitik" zur Sprache kommt. Einige bedeutsame Fragestellungen des ganzen kirchlichen Komplexes der Gegenwart sollen in diesem Text und einem zweiten Teil zumindest benannt werden.

Zwei Gesichter der Amtsführung von Papst Franziskus

In der Nacht nach der letzten Papstwahl habe ich als katholischer Kommentator für Telepolis eine vorauseilende Liebeserklärung an Bischof Franziskus von Rom verfasst, von der bis zur Stunde rein gar nichts zurückzunehmen ist. Franziskus hat die Weltkirche bereitet für das Dritte Jahrtausend, welches über das Geschick der menschlichen Zivilisation entscheiden wird.

In seinen Rundschreiben sind die Rückbindung an die "zärtliche Revolution" des Jesus von Nazareth, der von Johannes XXIII. ersehnte Weg hin zu einer Kirche der Armen und das für die Katholizität zentrale Bekenntnis zur Einheit der ganzen Menschheit wieder sichtbar geworden. Den nach uns Kommenden wird dieses Pontifikat, das einigen bürgerlichen Kleingeistern zufolge schon jetzt gescheitert sein soll, als ein Lichtblick sondergleichen erscheinen.

Viele Freundinnen und Freunde, darunter am nachdrücklichsten eine Reihe von Priestern, halten mir jedoch entgegen, der autoritäre Schatten des Papstes und seine Ambivalenz seien nicht zu übersehen: Eine Franziskanerin trägt Anliegen der Frauen vor und wird in aller Öffentlichkeit mehr oder weniger patriarchal abgekanzelt.

In ein und demselben Dokument werden die Theologietreibenden zum Aufbruch ermutigt und gleichzeitig im Sinne der vatikanischen Theologenpolizei an ein unseliges Paradigma des 19. Jahrhunderts geknebelt. Die Amazonas-Bischöfe dürfen den Schrei ihrer Kirchen nach verheirateten Priestern - neben ehelosen - vortragen, doch dann taucht das entsprechende Synodenvotum nicht mehr auf, weil "die anderen" angeblich die "geistliche Unterscheidung" nicht richtig geübt haben …

Beim Thema "Homosexualität" sticht die Strategie "Good Guy, Bad Guy" besonders ins Auge. Der Papst, der hier übrigens erstmals wieder eine freie Debatte ermöglicht hat, versichert ohne jegliche theologische Verbindlichkeit: "Wer bin ich, dass ich verurteile?"

Die Glaubenskongregation darf aber unverdrossen jene gewalttätige Ideologie reproduzieren, der zufolge das Begehren homosexueller Menschen einem ewigen "Schöpferplan" zuwiderläuft und nur sexuell enthaltsame Lesben und Schwule ein gottwohlgefälliges Leben führen. Der Papst ist nicht Auftraggeber, wie die Internationale Reformbewegung betont, aber er billigt mit seiner Unterschrift die Veröffentlichung.

Solche Schizophrenien, auch wenn sie den mächtigen fundamentalistischen Netzwerken im Vatikan und der Angst vor Kirchenspaltung geschuldet sein mögen, können auf die Dauer nicht gut gehen: "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen." (Matthäus-Evangelium 5,37)

Dem Bruder Papst sei der Fall eines mir bekannten Ehepaares mit zwei homosexuellen Kindern mitgeteilt, das an seinem Wohnort zu den treuen Kirchgängern zählt. Dem einst von Rom produzierten "System Meisner" und dem von Rom (ob seiner Finanzkräftigkeit? ob seiner Überwachungsdienste im synodalen Prozess?) hartnäckig protegierten Kardinal Rainer Woelki haben sie schon lange abgeschworen.

Doch nun, nach dem jüngsten Dokument gegen die Segnung einer Form der Liebe, die die katholische Kirche in ihrem inneren Kreis besser als jede andere Institution auf dem ganzen Erdkreis kennt, erwägen auch sie den Kirchenaustritt. Mit Bangen fragt unsereins: "Wer bleibt dann denn noch übrig?"

Ein informeller Frauenkreis im Erzbistum Köln, zu dem auch meine Schwester gehört, hat dieser Tage die klerikale Männerherrschaft in der Kirche unter diese Überschrift gestellt: "Macht und Geld - Sex und Crime". Über Jahre musste ich viele vertraute Gesichter aus der Kirchenbank schwinden sehen.

Wenn Rom jetzt die unter einem deutschen Papst eingesetzte Pulverisierung der katholischen Landschaft durch "theologische Atombomben" aus alten Waffenbeständen weiter beschleunigt, so ist das auf jeden Fall auch eine Form von Kirchenspaltung.

Pastoraler Ungehorsam, der nicht mehr aufgehalten werden kann

Das "Responsum" der Glaubenskongregation gegen Gottes längst erwiesenen Segen für die homosexuelle Liebe kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem viele Christen pandemiebedingt den Gotteshäusern fernbleiben. Die sonntägliche Liturgie schenkt Katholiken eine wohltuende seelische Regression in Räumen und Bildern der Geborgenheit, doch sie reproduziert ebenso Sonntag für Sonntag die seit Kindertagen eingeübte Verbundenheit mit dem real existierenden Kirchengefüge.

Diese Kette der Rückbindung "frommer Lämmer" ist gerade drastischer denn je unter- oder abgebrochen, wobei z.B. im Rheinland die anfanghafte Aufdeckung jahrzehntelanger Abgründe der Gewaltvertuschung hinzutritt.

Kurzum: Noch nie waren Abnabelung und die Bereitschaft zum frommen Ungehorsam größer.

Deshalb sollten die Attacke der Glaubenskongregation gegen zig Millionen homosexueller Katholikinnen und Katholiken auf der ganzen Erde und die neu aufgelegte Diffamierung aller sexuell aktiven Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen als Sünder nicht vorrangig als "Foul", sondern als das entscheidende "Eigentor" gesehen werden.

Die Revolte wider das vatikanische Hetzdokument ist erst seit wenigen Tagen angelaufen und gewinnt unaufhörlich an Fahrt. Hier seien vor allem Beispiele aus der Nähe angeführt:

• Deutlich fiel das prompte Votum der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands aus, womit nachfolgend die gesamte neue Frauenbewegung in der Kirche als Teil des Widerstandes erwartet werden darf: "Für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare!"

• Die Katholische Frauenbewegung und Männerbewegung im Bistum Bozen-Brixen weigern sich, das homophobe Segnungsverbot aus Rom anzunehmen.

• Für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat Thomas Sternberg am 15. März klargestellt, dass der Segen für die homosexuelle Liebe in vielen Teilen der Weltkirche ein Thema ist: "Die Kirche ist dazu berufen, Menschen zu segnen. Sie ist nicht dazu berufen, Menschen, die darum bitten, den Segen Gottes vorzuenthalten."

• Für das Katholische LSBT+ Komitee übte der Theologe Dr. Michael Brinkschröder eine Fundamentalkritik: "Die Glaubenskongregation ist inzwischen selbst zu einem der größten Hindernisse für die Evangelisierung geworden, da sie eine Diskriminierungskirche durchsetzen möchte."

• Nicht minder scharf fällt die Kritik des deutschen Jesuiten Andreas R. Batlogg aus, dessen Ordensbruder Kurienkardinal Luis F. Ladaria den gesamten Skandal des unheiligen Offiziums verursacht hat: "Waffen wurden (und werden?) gesegnet. Aber zwei Menschen nicht, nur weil sie gleichgeschlechtlich empfinden, so geboren, so von Gott geschaffen wurden, also kein 'Schöpfungsunfall' … Nur zu gerne wüsste ich, was Papst Franziskus dazu sagt."

• Der Berufsverband der Pastoralreferent*innen Deutschlands e.V. erklärte auf seiner Delegiertenversammlung am 16. März: "Pastoralreferent*innen begleiten und segnen seit vielen Jahren homosexuelle Menschen und werden es weiter tun. Wir rufen auch alle Bischöfe, Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferent*innen dazu auf."

• Das Forum katholischer Theologinnen e.V. konstatierte am 17. März sachgerecht: "Die Haltung der vatikanischen Glaubenskongregation […] entspricht nicht der der jesuanischen Botschaft."

• In Österreich hat die "Franziskus-treue" Pfarrerinitiative öffentlich zum pastoralen Ungehorsam aufgerufen: "Wir segnen gleichgeschlechtliche Paare auch weiterhin."

• Mehr als tausend Seelsorger und Theologen in Deutschland wollen das Verbot aus dem Vatikan stillschweigend ignorieren; der von zwei Priestern (Bernd Mönkebüscher, Friedenspreisträger Burkhard Hose) formulierte Aufruf wandelt die österreichische Formel so um: "Wir verweigern die Segnung nicht."

• Katholische Dogmatiker und Fundamentaltheologen betonen in ihrer Erklärung vom 19. März zur vatikanischen Homophobie: "Wer offene Fragen und Prozesse machtförmig abzuschließen versucht, beschädigt die Autorität des kirchlichen Lehramtes."

• Schon Anfang dieses Jahres hatten 32 von 38 befragten Theologen ihre Zustimmung zu einer Segnung homosexueller Paare signalisiert.

• Die Theologieprofessoren Stephan Goertz und Magnus Striet sehen die Glaubenskongregation bei sexualethischen Fragen weiter in die Bedeutungslosigkeit abstürzen und halten de facto eine Moraltheologie, die ihr Anliegen nur noch auf irrationale Weise kommuniziert, für nicht mehr katholisch.

• Der Bundesverband der katholischen jungen Gemeinde verurteilt es in einer theologisch überzeugenden Stellungnahme, dass die oberste Glaubensbehörde die göttliche Schöpfungswirklichkeit der homosexuellen Liebe als Sünde diffamiert.

• Ähnlich verweigern die Zustimmung z.B. die Pfadfinderschaft St. Georg, der Bund der katholischen Jugend und die Katholische Arbeiternehmerbewegung im Bistum Münster.

• Der Pallotiner-Regens Christoph Lentz hängt zum Protest die Regenbogenfahne aus dem Fenster. Dies wäre, flächendeckend im kirchlichen Raum nachgeahmt, ein preisgünstiges, unanfechtbares und sehr wirkungsvolles Erkennungszeichen für den Widerstand.

• Der Berliner Hochschulseelsorger und Dominikanerpater Max Cappabianca empfiehlt auf Twitter gelassen: "Rom nicht ernst nehmen und in der Seelsorge weitermachen. Es gibt Wichtigeres als dumme Papiere!" (katholisch.de, 16.03.2021)

• Geradezu fassungslos zeigen sich hingegen der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm, der Wormser Dompropst Tobias Schäfer und ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann angesichts der Entgleisung der römischen Glaubensbehörde (katholisch.de, 16.03.2021); ebenfalls der Trierer Generalvikar, Dr. Ulrich Graf von Plettenberg.

• Die Laiengremien der Bistümer Aachen und Münster fordern ihre - durchaus hörbereiten - Bischöfe auf, in ihrem Namen gegen das "Responsum" anzugehen.

• Der emeritierte Münsteraner Weihbischof Dieter Geerlings hielt schon 2019 eine Segensform für homosexuelle Paare für möglich.

• Der belgische Bischof Johan Bonny (Antwerpen) ist wütend und schämt sich wegen des vatikanischen Aberwitzes. Er gehört zu den wenigen, die präzise die Folgen auch für die heterosexuellen Kirchenglieder benennen:

"Wenn wir von 'Sünde' sprechen, wo es um irreguläre Verhältnisse mit Blick auf unser Eheverständnis geht, so ist davon tatsächlich die Mehrheit unserer Gläubigen betroffen."

• Eine - z.T. nicht minder deutliche - Ablehnung des vatikanischen Segensverbots kommt ebenso vom Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz Erzbischof Franz Lackner, dem Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer und Bischof Markus Büchel (St. Gallen) und dem Feldkircher Bischof Benno Elbs.

• Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, Pionier einer neuen Debatte über Segensformen einer neuen Debatte über Segensformen, stellt durch seine kontinuierlichen Wortmeldungen ein Bewusstsein für den engen Zusammenhang von Frauen-Ausschluss im klerikalen Männerbund und kirchlicher Homophobie unter Beweis.

Bischof Heinrich Timmerevers (Bistum Dresden-Meißen) befürwortet die Segnung homosexueller Paare.

• Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf teilt mannigfache Enttäuschung über das "Responsium" mit und sieht sich jetzt angespornt, "verstärkt seelsorgliche Angebote und Konzepte zu entwickeln für und insbesondere: gemeinsam mit homosexuellen Menschen".

Birgit Mock, Co-Vorsitzende des "Synodalforums Sexualmoral", betont: Die Segnung der homosexuellen Liebe sei in Deutschland vielerorts eine Tatsache.

• Im Bistum Essen betrachten der Generalvikar Klaus Pfeffer sowie der Ortsbischof Franz-Josef Overbeck (zugleich Militärbischof) die sexualethische Position der Glaubenskongregation als unhaltbar.

• Mit Georg Bätzing, dem etwas sanfter argumentierenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Limburg, wird ein Rückfall in die Missachtung der Menschenwürde und der "Freiheit der Kinder Gottes" ebenfalls kaum möglich werden.

• Am heutigen Montag berichtet das kircheneigene Portal katholisch.de über ein bislang schon von mehr als 200 Theologie-Professorinnen und -Professoren getragenes Votum, das der vatikanischen Glaubensbehörde eine inakzeptable theologische Qualitätsstufe bescheinigt.

• Die Zahl der deutschen und österreichischen Priester, Seelsorger und Seelsorgerinnen, die trotz Verbot weiterhin den Segen der homosexuellen Liebe feiern werden, beträgt inzwischen schon 2.000.

Zum Fortgang des Geschehens wird u.a. ein thematisches Dossier im Forum für Theologie und Kirche.

Fast möchte man glauben, der Papst habe die Glaubenskongregation deshalb im "Ratzinger-Paradigma" belassen, um ein so breites Sichtbarwerden des wirklichen Glaubenssinns unten in der Kirche zu ermöglichen. Dass die wenigen verbliebenen Hardliner-Bischöfe bei uns - allen voran die Hirten in Passau und Regensburg - den Inquisitionstext gegen Schwule und Lesben nachbeten, kann keinen verwundern.

Möglich ist natürlich, dass Rom sich aufgrund der oben beschriebenen Ambivalenz-Linie selbst blind in eine ausweglose Situation hineinmanövriert hat. Denn diesmal wird sich die "andere Kirche" auf dem Globus, für die es - trotz der bahnbrechenden Pionierversuche des französischen Bischofs Jaques Gaillot ab 1995 - noch immer keine hinreichenden Kommunikations- und Übersetzungsstrukturen gibt, international besser vernetzen. Bislang profitierte die mächtige Kirchenzentrale noch stets davon, dass die Ortskirchen gar kein unabhängiges Bild zur globalen kirchlichen Willensbildung vorweisen konnten.

Falls der Vatikan die erst ganz am Anfang stehende Revolte für die Liebenden wider alle Wahrscheinlichkeit doch noch zum Verstummen bringen kann, dann wird es mit Methoden bewerkstelligt sein, wie man sie nur aus Diktaturen kennt. Dann jedoch wüssten wir, dass Jesus - trotz des Bischofs Franziskus - vor den Toren der Stadt Rom den Staub von seinen Sandalen abgeschüttelt hat und weiterhin allerorten auf dem ganzen Erdkreis anzutreffen ist.

Ausblick: Schwule Priesterpaare am Nato-Altar?

Nunmehr haben wir an einem brennenden Beispiel der jüngsten Zeit zuerst die vatikanische Widersprüchlichkeit ein wenig erhellt. Doch die bürgerlichen Kirchenreformer hierzulande verfolgen gleichfalls einen kritikwürdigen Kurs.

Ihre zentralen Themenstellungen (wie Frauenfrage, Sexualethik, Ökumene, Aufhebung der klerikalen Zweiklassenkirche) sind natürlich nicht, wie absurder Weise immer wieder behauptet wird, Anzeichen für eine nationalkirchliche, irgendwie "spezifisch deutsche" Agenda.

Das Defizit besteht vielmehr darin, dass die Armen im synodalen Prozess - genauso wie bei den zentralistischen Fraktionen im Vatikan - gar nicht auftauchen. Man sieht sie nirgends beteiligt. Auch von der Verwandlung in eine Kirche der Solidarität im Dienst an der einen Menschheit, einer Kirche im zivilisatorischen Ernstfall (Ökologie) und der Umkehr zu einer Kirche des Friedens spürt man bislang noch nichts. Dies soll Schwerpunktthema eines zweiten Teils sein. Denn: "Schwule Priesterpaare am Altar der NATO-Militärkirche sind auch keine Lösung."

Der Verfasser ist examinierter Krankenpfleger, Theologe und Publizist. Seine Bücher zum Thema: "Das Lied der Liebe kennt viele Melodien" (vier Auflagen 1997-2005); "Die Fromme Revolte - Katholiken brechen auf" (2009); "Wie die Menschheit eins ist. Die katholische Lehre ‚Humani generis unitas‘ für das dritte Jahrtausend" (2016); "Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus" (2020). - Aktuelles Forschungsprojekt: "Kirche & Weltkrieg".