Klagen gegen Correctiv: Streit um Potsdamer Treffen geht weiter

Timo Rieg
Statue der Justiz mit Schwert und Waage

Bild: William Cho /Pixabay

Kernfrage zum Text "Geheimplan gegen Deutschland" bleibt: Wo endet Meinung, wo beginnt Tatsachenbehauptung? Wie brisant das ist, zeigt ein neuer Fall beim RBB.

Wurden Meinungen von Correctiv zum Potsdamer "Geheimplan gegen Deutschland" von anderen zu Tatsachen erklärt? Oder hat Correctiv Falsches behauptet? Der Rechtsstreit geht in eine neue Runde.

Auch ein Jahr nach seiner Publikation beschäftigt der Correctiv-Text "Geheimplan gegen Deutschland" Journalisten, Anwälte, Gerichte und Publikum.

Anlass dazu geben vor allem immer wieder Fragen, was in dem langen Text Tatsachenbehauptungen und was Meinungen sind.

Worüber der Streit geht

Eine zentrale Behauptung darin ist bis heute, bei einem Treffen in Potsdam sei "ein 'Masterplan' zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern; also ein Plan, um die Artikel 3, Artikel 16 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen" diskutiert worden.

In der ersten Fassung hieß es noch, die Ausweisung deutscher Staatsbürger solle "aufgrund ihrer 'Ethnie'" erfolgen, was Correctiv "aus redaktionellen Gründen gekürzt" hat.

Mit der "Kernthese" von der Potsdamer Planung einer "Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland" hat sich kürzlich nochmal die Zeit befasst. Gab es eine solche Planung überhaupt? Die zentrale Botschaft der Zeit-Recherche:

"Alle Teilnehmer des Treffens, mit denen die Zeit gesprochen hat, bestreiten das."

Und selbst Correctiv-Co-Autor Jean Peters sagt demnach, das Wort "Vertreibung" sei bei dem Treffen nicht gefallen. "Aber natürlich war es gemeint", zitiert ihn die Zeit.

Correctiv war in der Ankündigung eines Buches mit der Interpretation ursprünglich noch weiter gegangen:

Der Angriff der AfD auf unsere Demokratie begann nicht erst mit dem Potsdamer Geheimtreffen im November 2023. Die Pläne zur Deportation Millionen Deutscher mit Migrationshintergrund markieren nur für jeden sichtbar den offenen Rechtsextremismus der Faschisten in der AfD.

Correctiv Werbetext zum Buch "Der AfD-Komplex"

Das wurde später geändert in "Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland".

Auch im Correctiv-Text vom "Geheimplan" taucht das Schlagwort als Verb auf, allerdings nicht als Zitat, sondern als Analogie

Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren.

Correctiv

Und prompt sprachen andere Medien von Deportationen, die in Potsdam beraten worden seien, so zum Beispiel das ZDF.

Einstufung der Kernthese: Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung

Verwunderlich an den juristischen Auseinandersetzungen war bisher, dass die Correctiv-Kernthese einer "Ausweisung von deutschen Staatsbürgern" nicht angegriffen wurde, weil diese als Meinungsäußerung interpretiert wurde.

Zwar legen Gerichte Meinungen etwas weiter aus, als dies im Journalismus selbst zielführend ist (Beispiel in diesem Kontext: "dreckig[e] Correctiv-Lüge").

Doch die Behauptung, es sei die Ausweisung Deutscher aus Deutschland geplant worden, ist ohne Wenn und Aber eine Tatsachenbehauptung, soweit nicht deutlich gemacht wird, dass andere, beweisbare Tatsachen als Grundlage für eine solche, eigene Interpretation genutzt wurden, was dann allerdings eine (unbewiesene) Tatsachenvermutung wäre und immer noch keine Meinung.

Denn Meinungen sind persönliche Wertungen ohne einen allgemeinverbindlichen Wertungsmaßstab, am deutlichsten bei allen Geschmacksbekundungen zu sehen: Jeder darf nach Belieben irgendetwas schön oder hässlich finden, köstlich oder grauenhaft.

Schwieriger wird es bei Bewertungen, für die es sowohl verbindliche Maßstäbe gibt (etwa ab wann ein Amt für Verfassungsschutz eine Organisation als extremistisch einschätzt), für die aber ebenso im öffentlichen Diskurs private Kriterien angelegt werden.

Entscheidend für eine Meinung ist, dass die Aussage nicht falsch ist – weil Meinungen gar nicht falsch sein können. Meinungen zeichnet gerade aus, dass auch ganz andere Wertungen möglich sind.

Aber ein in Potsdam verfasster "'Masterplan' zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern", der in irgendeiner Form u.a. Art. 16 des Grundgesetzes unterlaufen soll, kann nur als Tatsachenbehauptung verstanden werden.

Neue Klagen

Weil es für diese Tatsachenbehauptung jedoch im Correctiv-Text an Belegen fehlt und auch die – erst sehr spät gestarteten – Recherchen anderer Medien bisher keine zutage gefördert haben, klagen nun Protagonisten der Correctiv-Story doch gegen diese Aussage – ein Jahr nach Veröffentlichung und Auszeichnung mit Preisen.

Die sie vertretende Kanzlei schreibt dazu:

Die Correctiv-Aussagen wurden durch die Teilnehmer von Beginn an als irreführend kritisiert. Presserechtlich bewegen sie sich an der Grenze zwischen Falschbehauptungen und gerade noch zulässigen Meinungsäußerungen.

Doch diese Grenze ist nun überschritten, wie die zahlreiche Falschberichterstattung als Folge des Correctiv-Berichts belegt. Wenn etablierte Medien reihenweise meinen, dass es sich im Correctiv-Bericht um Fakten handelt, dann liegt der Verdacht nahe, dass Correctiv Falschbehauptungen verbreitet hat. Deshalb klagen jetzt die Teilnehmer.

Höcker Rechtsanwälte

RBB wohl auf Falschbehauptung reingefallen

Im aktuellen Mediendiskurs gibt es Fälle, die zumindest nach den bisher vorliegenden Tatsachen eindeutiger erscheinen.

Unter anderem der RBB hatte mehrfach ausführlich über Vorwürfe sexueller Belästigung durch einen Berliner Grünen-Politiker berichtet, der wegen dieser Vorwürfe seine erneute Kandidatur für den Bundestag zurückgezogen hatte.

Nun heißt es dazu:

Uns ist als rbb in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden.

Betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist, haben dazu beigetragen, dass dieser Fehler geschah. Wir haben dies in unserer Berichterstattung am Freitag öffentlich gemacht", sagt rbb-Chefredakteur Dr. David Biesinger.

RBB-Stellungnahme, Verlinkung nicht im Original

Zwar darf man verschiedener Meinung sein, ab wann ein Verhalten eine sexuelle Belästigung darstellt. Aber spätestens mit einer eidesstattlichen Versicherung wird eine Glaubhaftmachung versucht, welcher einer Meinung nicht bedarf.

Hier geht es also eindeutig um Tatsachenbehauptungen.

Strafanzeige ist nicht gleich Straftat

Ein Dauerbrenner bei unwahren Tatsachenbehauptungen ist die Darstellung polizeilicher Kriminalstatistiken in den Medien. Diese zählen Strafanzeigen, die von Bürgern oder der Polizei selbst gestellt werden.

Ob dabei tatsächlich jeweils eine verbotene und ggf. strafwürdige Handlung vorlag, kann eine solche Statistik nicht erfassen. Denn dazu müssten die späteren Gerichtsverfahren ausgewertet werden, so es zu ihnen überhaupt gekommen ist.

Und doch behauptete die Tagesschau kürzlich wieder:

Die Zahl der rechtsextremen Straftaten in Deutschland hat im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht.

Tagesschau.de

Was eine Straftat ist, obliegt zu entscheiden, jedoch nicht der persönlichen Meinung. Man mag manches für strafwürdig halten, wenn es Gerichte anders sehen.

Aber die Polizei erfasst grundsätzlich eben keine Straftaten, selbst wenn sie diese selbst beobachtet zu haben meint. Nach der Idee der Gewaltenteilung ist dies ausschließlich die Aufgabe der Judikative.

In anderen Fällen verweisen Redaktionen zu Recht darauf, dass solche Statistiken unter anderem von der Anzeigebereitschaft beeinflusst werden. Denn es gibt sicherlich mehr Straftaten, als letztlich abgeurteilt werden, Stichwort Dunkelziffer.