Klassenrecht?
Hoeneß, Ecclestone und 18 Monate ohne Bewährung für 33-jährige Mutter
3300 Euro erlöste eine wegen Mietrückständen gekündigte, 33-jährige Mutter aus der Einbehaltung der Internet-Kauferlöse von sechs Kaffeevollautomaten. Letzte Woche wurde die Mutter einer dreijährigen Tochter vom Amtsgericht Landsberg wegen "gewerbsmäßigem Betrug" zu 18 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Ein Blick auf die extreme Klassenjustiz in Bayern.
Die Vorteilserwartung in der Schnäppchenreligion
Die Jura Impresa Z 5 zählt zu den Topmodellen der Kaffeemaschinen. Auf Auktionsplattformen im Internet gibt es sie schon einmal für 555 Euro. Die Z 5 wird neu ab 1600 Euro gehandelt. Damit entsteht für Verkäufer und Käufer der mental stimulierende Raum zur Erlangung eines optimalen Vorteils, der auf beiden Seiten etwa vorhandene Vernunft außer Betrieb setzt.
Die Mutter einer dreijährigen Tochter, bereits mehrfach wegen kleiner Gelddelikte und Betrügereien vorbestraft, war wieder einmal in Geldnot. Sie hatte erhebliche Mietrückstände.
Deutsche Schnäppchenreligion: Bei 555 statt 1.600 Euro setzt die Vernunft aus.
Sie beobachtete den Handel mit Kaffeevollautomaten und stellte fest, dass dort zeitnah gute Preise zu erzielen waren. Ein Foto und die Daten waren schnell gefunden und schon trat sie als Händlerin von günstigen Kaffeevollautomaten auf. Sechs Kunden bissen an – und bekamen keine Maschine. Wie naiv kann, darf, muss man sein, wenn man mit deutschen Konten, der eigenen IP und damit mit echtem Namen auf diese Art betrügt?
Die Strafrichterin Sabine Grub am Amtsgericht des schmucken Städtchens Landsberg am Lech sah dennoch "gewerbsmäßigen" Betrug am Werke. Gewerbsmäßig – das müsste doch eigentlich bedeuten: mit professionellen Mitteln. Die Hausfrau hätte die Zahlungen in einer Western Union Filiale in Rumänien entgegennehmen müssen, ihre IP müsste ukrainisch, ihr Ausweis gefälscht sein. Dieser Aufwand wäre aber für sechs Kaffeemaschinen im Wert von 3.300 Euro unvertretbar. In § 263 des Strafgesetzbuches, der Paragraph zu Betrug, wird ein besonders schwerer Fall angenommen, wenn der Täter "einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen."
Dass ein Verlust von 3.300 Euro einen "Vermögensverlust großen Ausmaßes" darstellt, ist zu bezweifeln. Dass bei Fortsetzung des Betruges mit den Kaffeemaschinen "eine große Zahl von Menschen" mit Vermögensverlusten geschädigt worden wäre, ebenfalls. Eine Kaffeemaschine ist keine Riesterrente. Allerdings ist der Vertrieb von Riesterrenten noch immer gestattet.
Es geht nicht um Recht. Es geht um Klassen
Rechtliche Erwägungen führen zur Beurteilung dieses Falles kaum weiter. Die Richterin hat bei der Urteilsverkündung jedoch einen Satz gesagt, der unser Verständnis des Urteils erleichtert:
Bis zum heutigen Zeitpunkt bin ich nicht überzeugt, dass sie das Gleiche nicht noch einmal machen wird.
Sie könne für die Angeklagte keine günstige Sozialprognose abgeben. Die Mutter wurde also verurteilt, um die Gesellschaft vor ihren Taten, mithin um das Vermögen der Bürger vor derartigen Vermögensverlusten zu schützen.
Wie die Mutter sich und ihre Tochter ernähren soll, ist keine Frage der Urteilsbemessung. Die Kosten des Verfahrens, des Gefängnisses und der Bewährungshilfe übersteigen mit Sicherheit den Schaden aus den Taten um ein Vielfaches. Mit 150.000 Euro Gesamtkosten muss mindestens gerechnet werden. Ob die Tochter mit eingesperrt wird? Oder von ihrer Mutter getrennt?
Die Gesellschaft könnte sich vor solchen Taten präventiv schützen, indem sie die Mietschulden der Täterin begleicht und ihre Kündigung verhindert. Indem sie ihr ein Grundeinkommen bezahlt, bei dessen Bemessung sie nicht tricksen muss. Könnte. Müsste.
Es ist auszuschließen, dass die Richterin in Landsberg auch nur elementare Kenntnisse von Opportunitätskosten in der Gesellschaft hat. Sie betrachtet die Welt des Strafrechts völlig losgelöst von den Problemen der Gemeinschaft. Als "Unabhängigkeit der Justiz" wird diese Haltung gerühmt.
Am gleichen Gericht: 15 Monate mit Bewährung für schwere Körperverletzung
Ebenfalls vor dem Amtsgericht Landsberg am Lech wurde ein junger Mann zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt, der einem anderen eine Bierflasche ins Gesicht gestoßen hatte. Die Narben sieht man noch immer. Wegen einer günstigen Sozialprognose wurde die Strafe nur zur Bewährung ausgesetzt.
Anita Trautwein, die Verteidigerin der unglücklichen Betrügerin, wandte im Verfahren ein, ihre Mandantin hätte im Internet eine "Suchtverlagerung" praktiziert. Die Angeklagte flehte in ihrem Schlusswort, man solle sie bitte nicht "in den Knast" schicken. Richterin Sabine Grub darauf:
Der Straftatbestand mit acht Fällen gewerbsmäßigen Betrugs, einem hohen Schaden und zwölf Einträgen im Bundeszentralregister lässt dies nicht zu.
Bernie Ecclestone hat, glaubt man den Aussagen des von ihm bestochenen Landesbankvorstands Gerhard Gribkowsky, den Freistaat Bayern um mindestens 400 Millionen Euro geschädigt. Der Staatsanwaltschaft München ist dies seit zwei Jahren nicht einmal eine Anklage wert (Keine Anklage im größten Bestechungsfall der deutschen Geschichte).
Uli Hoeneß hat nach den bisher bekannten Fakten mindestens sechs Millionen Euro Steuern hinterzogen. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt und hat im März das Anwesen von Hoeneß am Tegernsee durchsucht. Aufgrund seiner Selbstanzeige im Januar könnte Hoeneß völlig straffrei ausgehen. Die schlimmste Strafe: Er ist nun "kein Vorbild mehr".
Hätte diese Strafe nicht auch für Landsberger Hausfrau und Mutter ausgereicht?