Klima-Aktionstage in Berlin: Blockade als Straßenfest
Hedonistische Protestformen gegen düstere Zukunftsaussichten
Alte Sessel und Sofas, eine mobile Küche und ein Klavier wurden gegen 14 in Windeseile auf die Kreuzung am Schlesischen Tor in Berlin gezerrt, dazu gab es Musik und Redebeiträge gegen einen Normalzustand, der immer tiefer in die Klimakatastrophe führt. Die Blockade des Netzwerks Extinction Rebellion (XR) an diesem Samstag hat den Charakter eines Straßenfestes. Die Botschaft: Ja, die Lage ist ernst. Sehr ernst – aber eine lebenswerte Zukunft ist immer noch möglich.
Kartoffelsalat, Spezialkleber und Bügelschlösser
Alles soll einladend sein; wer durch die Blockade aufgehalten wird, soll nicht das Gefühl haben, dass es gegen ihn oder sie persönlich geht. "Welcome to the Rebellion" steht auf einem Transparent. Die Polizei wirkt zunächst etwas ratlos.
In der "ungehorsamen Kiezküche" mitten auf der Kreuzung beginnen Aktive mit Kochmützen, in aller Ruhe Kartoffelsalat zuzubereiten; währenddessen fixieren sich mehrere Personen mit Spezialkleber und Bügelschlössern an einem pinkfarbenen Autowrack mit dem XR-Symbol – einer stilisierten Sanduhr, die daran erinnern soll, dass die Zeit knapp wird.
Mehr-Generationen-Protest
Rund 350 Menschen unterschiedlichen Alters haben sich hier versammelt. In einer Bezugsgruppe ist die jüngste Person, die sich mit dem Aktionsnamen Indigo vorstellt, Anfang 20 – der Älteste, Aribert Peters, hat schon vor 35 Jahren den Bund der Energieverbraucher in Bonn gegründet.
"Nicht so grimmig gucken", sagt ein Aktivist Anfang 50, der ein Schild mit der Aufschrift "Ich bin hier für meinen Sohn" hält und sich mit weiteren Personen an einer alten Badewanne auf der Kreuzung festgekettet hat, zu einer Gruppe junger Polizeibeamter. Bösere Worte gibt es bei XR kaum – auch verbale Gewalt ist tabu, aber ziviler Ungehorsam gilt als Gebot der Stunde, solange die Energie- und Verkehrswende verschleppt wird.
Die aktuelle Energiekrise sehen die Aktiven vor allem als Quittung für Versäumnisse beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, der von Lobbyisten bewusst ausgebremst worden sei. Sonst würde sich die Frage, welcher Gaslieferant das kleinere Übel sei, gar nicht stellen.
Eine Rednerin gibt sich am Schlesischen Tor überzeugt, dass der menschengemachte Klimawandel nicht mehr auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, dass es sich aber immer noch lohne, mit friedlichen Mitteln alles zu tun, um den Schaden zu begrenzen, Menschenleben zu retten und das Artensterben zu bremsen.
Dass um jedes Zehntel Grad gekämpft werden muss, ist hier die Devise. Was streckenweise hedonistisch und leicht wirkt, scheint erstaunlich gut organisiert zu sein. Dabei halbwegs optimistisch zu bleiben, ist eine Herausforderung. Aus den Lautsprecherboxen kommt Hip-Hop-Musik:
Und die Alten erzählen vom Häuserkampf, beim Barbecue in den Ruinen der Deutschen Bank;
Vogelnester in einer löchrigen Leuchtreklame; wir wärmen uns auf an einer brennenden Deutschlandfahne;
Und wenn einer auf 'ner Parkbank schläft, dann nur weil sich ein Mädchen an seinen Arm anlehnt;
Drei Stunden Arbeit am Tag, weil es mehr nicht braucht. Heut Nacht denken wir uns Namen für Sterne aus.
Kannibalen in Zivil: Hurra, diese Welt geht unter
Mit Aktionen wie dieser soll in der Hauptstadt bis zum 20. September "ein Zeichen gegen die Blechlandschaften in unseren Städten" sowie gegen "gefährliche Investitionen in Kohle, Öl und Gas" gesetzt werden, erklärt Ellen Gerdes, Ingenieurin aus Hildesheim.
"In Bewegung bleiben"
Nach etwa einer halben Stunde ertönt die erste polizeiliche Durchsage: Die Versammlung im Bereich des Schlesischen Tors sei zwar nicht angemeldet, werde aber von der Polizei als Versammlung betrachtet. Ein Versammlungsleiter möge sich bitte melden.
Mit der nächsten Durchsage werden die Beteiligten aufgefordert, auf eine benachbarte Grünfläche auszuweichen. Gegen 15.30 Uhr beginnt die Polizei schon mit der Räumung. Einzelne Personen werden von der Kreuzung gezogen, zum Teil auch mit Schmerzgriffen, aber die Lage ist für die Beamten zunächst unübersichtlich, da es keine klassische Sitzblockade ist.
Das Organisationsteam hat bewusst dazu geraten, auf der Kreuzung "in Bewegung" zu bleiben, nach Möglichkeit zu tanzen und sich nicht provozieren zu lassen. Ein Teil der Aktiven wird schließlich eingekesselt, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen.
Dem Vernehmen nach sollen nach der Räumung nur an Ort und Stelle die Personalien festgestellt werden. Das nimmt einige Zeit in Anspruch, aber wer angereist ist, wird die Nacht wohl eher im Aktionscamp im Invalidenpark als in Polizeigewahrsam verbringen; und wer in Berlin wohnt, bei sich zu Hause. Die Aktionstage sollen in diesem Stil weitergehen.
"Es geht jetzt darum, Menschen einzuladen, in den friedlichen Widerstand zu gehen gegen das fossile System, das unsere Lebensgrundlagen unaufhörlich für Profit zerstört", erklärt Annemarie Botzki aus dem XR-Presseteam. Ziviler Ungehorsam sei "moralisch und strategisch wichtig".