Klima-Geld: Sozialstaat mit der Verpflichtung zum gläsernen Bürger

Philipp Fess

Bild: Ari He / Unsplash

Folgt Deutschland Indien mit der Digitalen Identität in einen übergriffigen Verwaltungsstaat? Wenn es nach den Vereinten Nationen und deren Agenda 2030 geht: ja. Ein Einwurf zur Debatte.

"Wir wollen mehr Demokratie wagen", lautet das berühmte Diktum von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Es ist besonders im Kontext der Regierungserklärung vom Oktober 1969 von bemerkenswerter Aktualität:

(Die) demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. (…)

Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz.

Wir sind keine Erwählten. Wir sind Gewählte.

Willy Brandt: Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969

Ein halbes Jahrhundert nach der legendären Brandt-Rede für die Demokratie nehmen die deutschen Sozialdemokraten im Ampel-Koalitionsvertrag darauf Bezug. Nur mit anderem Zungenschlag. "Demokratie" ist gestrichen worden. "Mehr Fortschritt wagen", lautet dagegen der Titel des Dokuments von 2021.

Klima-Geld in der Warteschleife

Im Koalitionsvertrag findet sich unter der nun ahnungsvoll anmutenden Überschrift "sozial gerechte Energiepreise" folgende Passage zum sogenannten Klima-Geld:

"Um – auch angesichts höherer CO2-Preiskomponenten – für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energiepreise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis beenden. (…)

Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld).

Ampel-Koalitionsvertrag: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit

Passiert ist seitdem: Nicht viel, wie die Tagesschau zuletzt Anfang August feststellte. Der Grund: Die Einnahmen der CO2-Bepreisung seien mittlerweile bereits "anderweitig verplant":

Das zeigt der in dieser Woche von der Bundesregierung beschlossene Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds (KTF), einen milliardenschweren Topf außerhalb des eigentlichen Bundeshaushalts. Finanziert werden aus dem Fonds Investitionen, die dem Klimaschutz dienen sollen: in Gebäudesanierungen, in das Schienennetz der Bahn und viele weitere Projekte. Der Wirtschaftsplan des KTF verplant seine Einnahmen bis 2027.

Zwei Jahre früher, 2025, endet die Legislaturperiode, und sollte dann tatsächlich ein Auszahlungsweg für ein Klimageld vorliegen, stellt sich die Frage: Welche Summe kann dann noch als Klimageld pauschal an alle Bürger ausgezahlt werden – wenn alle Mittel aus dem KTF anderweitig verplant sind?

Nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums stellt sich diese Frage jetzt noch nicht. Das Haus von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) verweist auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios darauf, dass der Auszahlungsmechanismus für ein Klimageld noch nicht bereitsteht ("Schritt 1"): "Erst dann stellt sich im Schritt 2 die konkrete Finanzierungsfrage." Haushaltsrechtlich liege bis dahin noch keine "Etatreife" vor.

Tagesschau

Und doch gibt es bereits konkrete Vorschläge für den genannten Auszahlungsmechanismus. Bereits vergangenen Dezember haben Bundestag und Bundesrat das Jahressteuergesetz 2022 (JStG) ratifiziert, in dem sich äußerst pikante Planungsabsichten finden.

Neue "Personenkennzahl" und "Waffengleichheit" zwischen Staat und Bürger

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) kommentierte den vorangegangenen Referentenentwurf des JstG wie folgt:

Mit Artikel 18 Nr. 6 des (Jahressteuergesetzes) JStG 2022 und damit der Änderung von § 139b der Abgabenverordnung will die Bundesregierung die rechtliche Voraussetzung schaffen, Kontoverbindungen (Internationale Kontonummer (IBAN) und ggf. Business Identifier Code (BIC) von Bürger:innen in einem Register zu erfassen und für Direktzahlungen an sie nutzen zu können.

In seiner Begründung gibt das (Bundesfinanzministerium) BMF an, dass mit dieser Änderung die Grundlage dafür geschaffen werden soll, das im Koalitionsvertrag aufgeführte Klima-Geld als sozialen Ausgleich für den "künftigen" Anstieg des CO2-Preises über die am 1. Juli 2022 erfolgte Abschaffung der EEG-Umlage hinaus umzusetzen und zwar unbürokratisch und missbrauchssicher.

Dazu soll die "IdNr-Datenbank, in der alle in Deutschland mit erstem Wohnsitz gemeldeten Personen enthalten sind und die eine eindeutige Identifikation jedes einzelnen Bürgers ermöglicht", als Grundlage dienen.

Die Kontonummern IBAN und ggf. BIC sollen erhoben, gespeichert, verarbeitet, übermittelt und genutzt werden dürfen, damit das Klimageld an die Bürger:innen ausgezahlt werden könne.

Kurzstellungnahme des VZBV zum Referentenentwurf des BMF

"Der VZBV begrüßt den Ansatz des BMF" und "fordert die Bundesregierung auf, das Klima-Geld spätestens zum 1. Januar 2023 einzuführen", hieß es weiter.

Auch der Bund der Steuerzahler machte Druck, war in Medien zu lesen. Allein: Daraus wurde nichts.

Für eine bestimmte Gruppe war das aber keine schlechte Nachricht: Datenschützer und Bürgerrechtler.

Verknüpfung von Steuer-ID und IBAN

Denn die Verknüpfung von Steuer-ID und IBAN heizt einen alten Streit zwischen (Regierungs-)Politikern und Datenschützern wieder an, der bereits im Zuge des sogenannten Registermodernisierungsgesetzes und der vermeintlichen Rückkehr der DDR-"Personenkennzahl" entbrannt war.

Wie heise.de berichtete, hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber schon während des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG "vergeblich" an die Abgeordneten appelliert, "verfassungsgemäße, mildere Mittel wie die Nutzung bereichsspezifischer Lösungen" zu gebrauchen oder auf bereits vorhandene Datenbestände zurückzugreifen.

Kelber wies dabei auf die gebotene "Waffengleichheit" zwischen Staat und Bürger sowie den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts hin.

Bilden von Profilen wird erleichtert

Die drohende "Einführung eines bereichsübergreifenden Personenkennzeichens", so Kelber weiter, erleichtere das Bilden von Profilen "übermäßig" und gefährde "den besonders geschützten geistigen Innenraum" der Bürger.

Er warnte, ein Missbrauch könne nicht effektiv verhindert werden – und die "Hemmschwelle zur Weiternutzung" (siehe: function creep bei der Corona-Warn-App) werde stark herabgesenkt. Trotz allem hat Deutschland hat mit der Energiepreispauschale für Studenten in Höhe von 200 Euro, die nur in Verbindung mit der BundID ausgezahlt wird, bereits einen Präzendenzfall gesetzt.

Es gibt bereits vergleichbare Systeme, in denen staatliche Kompensations- oder sonstige Sozialleistungen an einen sogenannten Unique Lifelong Identifier geknüpft sind, wie er auch gegenüber den EU-Plänen zu Digitaler Identität und Digitaler Zentralbankwährung kritisiert wird.

Indien: Das Aadhaar-Programm – lebenslange Identifikation

Sie finden sich in den Energie-Ausgleichszahlungen von Griechenland, den Rationierungen von Sri Lanka oder dem Digitalisierungs-Zuschuss in Thailand, über den Wirtschaftsjournalist Norbert Häring kürzlich berichtete.

Das System, das die Vereinten Nationen als das geeignetste auserkoren haben, um ihre in weiten Teilen kritikwürdige Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (vgl. Sustainable Development Goals, SDGs) voranzubringen, wird in Indien bereits angewendet.

2009 hat dort die Behörde Unique Identification Authority of India (UIDAI) das Aadhaar-Programm ins Leben gerufen – eine biometrische Form der Authentifizierung, die nach Angaben der Behörde Datenduplikate, Betrug und einer ineffizienten Ausrichtung der Sozialleistungen vorbeugen soll.

Über das Programm, das zusammen mit der einflussreichen IT-Firma Infosys entwickelt wurde, hat Telepolis an anderer Stelle bereits berichtet.

Obwohl offizielle Stellen vielfach die freiwillige Anwendung des Identitätssystems betonen, sieht Abschnitt 7 des sogenannten Aadhaar-Gesetzes eine obligatorische Authentifizierung vor – und zwar bei der Inanspruchnahme von Subventionen, Vergünstigungen und Dienstleistungen.

Dazu kommt eine de-facto-Pflicht in anderen Bereichen des alltäglichen Lebens: Ohne Aadhaar können indische Bürger kein Bankkonto eröffnen, keine SIM-Karten kaufen und teilweise nicht am Schulunterricht teilnehmen.

Erst vor Kurzem erklärte die indische Regierung die Aadhaar-Registrierung für verpflichtend, um Zahlungen im Zuge des Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act von 2005 (MGNREGA) zu erhalten, der für die arme Landbevölkerung "das Recht auf Arbeit" sichern soll.

Vorbild für den Rest der Welt?

Schon 2020 plädierte das indische "Center for Internet and Society" (CIS) in einem Forschungspapier dafür, sozialstaatliche Leistungen fortan über Digitale Identitäten zu vergeben, um Kosten einzusparen und Missbrauch zu verhindern.

Unter den größten ausländischen Förderern des Forschungsinstituts CIS (aufgelistet hier) findet sich eine Reihe von Organisationen, die sich mit Hilfe des Watchblogs influencewatch – das dem als rechtskonservativ geltenden Heartland Institut nahesteht – einigen bekannten Akteuren zuordnen lassen:

- Die Tides Foundation, eine nach eigenen Angaben philanthropische NGO, zu deren größten Geldgebern wiederum George Soros Open Society Foundations (OSF) gehören.

- Der New Venture Fund, spezialisiert auf die Finanzialisierung von Daseinsfürsorge in Form des sogenannten Impact Investments (Telepolis hat mehrfach darüber berichtet), mit der Bill and Melinda Gates Foundation als seinem größten Geldgeber.

- Das EastWest Management Institute, eine Public-Private-Partnership, die sich der "Demokratieförderung" verschrieben hat und zu deren Förderern neben den OSF, dem Rockefeller Brothers Fund, dem US-Außenministerium und der US-Entwicklungsbehörde USAID auch die Weltbank zählt.

Sowie, mit großzügigen Einzelspenden:

  1. Die Ford Foundation
  2. Die Hewlett Foundation
  3. Der Rockefeller Brothers Fund
  4. Der Omidyar Network Fund

Die UN und die "finanzielle und soziale Inklusion"

Der Ruf des CIS nach der Digitalen Identität verklingt indes nicht innerhalb der indischen Landesgrenzen, sondern wurde im Juli 2022 auch von global agierender Seite aufgegriffen, und zwar vom International Institute for Sustainable Development (IISD), das 1988 aus der UN-Generalversammlung hervorging und sich der Öffentlichkeitsarbeit für die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verschrieben hat.

Zu den (aus deutscher Sicht) prominentesten Geldgebern des IISD zählen:

  1. USAID
  2. Die Ford Foundation
  3. Die Bill and Melinda Gates Foundation
  4. Die EU-Kommission
  5. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
  6. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMU)
  7. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Es mag nicht verwundern, dass sich jenes IISD dem Urteil des indischen Instituts anschließt, wo es doch teilweise von denselben Geldgebern unterstützt wird. Wortwörtlich heißt es in einem Artikel:

Die Verknüpfung von Aadhaar mit Bankkonten (zusammen mit dem verbesserten Zugang zu Mobiltelefonen) ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung des Ziels der universellen finanziellen Inklusion, da sie die direkte Überweisung von Geldern auf Bankkonten von Leistungsempfängern im Rahmen verschiedener staatlicher Sozialprogramme ermöglicht.

Im Rahmen des indischen Treibstoffsubventionsprogramms spart die Überweisung von Bargeld auf Aadhaar-gebundene Bankkonten für den Kauf von Flüssiggasflaschen beispielsweise rund 1 Milliarde USD pro Jahr und kann durch die Verringerung von Leckagen und die Verbesserung der Effizienz potenziell über 11 Milliarden USD pro Jahr an Staatsausgaben einsparen.

Mehrere andere Wohlfahrtsprogramme zielen auf die drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung ab, und ihre Verknüpfung mit Aadhaar hat zu einer besseren Verwaltung durch eine effizientere Ausrichtung auf die Leistungsempfänger geführt.IISD: Nutzung der digitalen Identität für eine stärkere finanzielle und soziale Inklusion

Nachhaltigkeit hat ihren Preis

Diese Sichtweise steht ganz im Einklang mit dem, was die Vereinten Nationen als Ziel 1 der "globalen digitalen Kooperation" ausgeben und die auch beim kommenden SDG-Gipfel vom 18. bis zum 19. September eine wesentliche Rolle spielen soll.

Für den Gipfel hat UN-Generalsekretär Guterres bereits angekündigt, "Gas geben" zu wollen, um nach der Hälfte der (bisher verstrichenen) Zeit noch die deadline für die Agenda 2030 zu erreichen.

Auf dem Programm steht bei dem Gipfel unter anderem:1

- Der Ausbau der digitalen Infrastruktur mittels neuer Daten- und Technologiekapazitäten, einem auf den Menschen ausgerichteten Governance-Rahmen und "innovativer Finanzierung".

- Eine Daten-"Dividende" nach dem Vorschlag des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom, die Privatpersonen für die Nutzung ihrer persönlichen Daten rekompensieren soll.

- Ein SDG-Stimulus in Höhe von 500 Milliarden pro Jahr, der den Entwicklungsbanken für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in besonders bedürftigen Regionen zur Verfügung gestellt werden soll (vgl. debt sustainability).

- Die Frage, "wie UN und Regierungen von Beiträgen aus der Zivilgesellschaft profitieren können".

- Die Frage, "wie Multi-Stakeholder-Partnerschaften" zum Fortschritt bei den SDGs beitragen können.

Zu welchen Konditionen die besonders im Globalen Süden angesichts einer sich angekündigten neuen Schuldenkrise teilweise dringend benötigten Zuwendungen vergeben werden, steht noch aus.

Zu hoffen steht wohl, dass sie nicht in der radikalen Gestalt auftreten, die betroffene Länder speziell der Weltbank und dem Weltwährungsfonds als (Klima-)Neokolonialismus vorwerfen (Stichwort: debt for climate-swaps). Auch Sri Lanka hat sich nicht zuletzt durch eine überstürzte grüne Transformation in die Krise gestürzt.

Andererseits liegen die 1970er-Jahre, in denen die indische Regierung ihre Bevölkerung zur massenweisen Sterilisation angeregt hat, weil Weltbank und Co. eine Reduktion des als klimaschädlich geltenden Bevölkerungswachstums zur Bedingung gemacht haben sollen, nicht allzu weit zurück.

Fußnoten

[1] Vgl. dazu: SDG summit programme und Taking Solutions to Scale through High Impact Initiatives sowie SDG stimulus