Klima: Leben auf Kosten anderer

Der Absatz von Fahrrädern legte 2020 erheblich zu, hier eine Szene in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin. Foto: Michał Parzuchowski, Unsplash

Die Energie- und Klimawochenschau: Von viel zu hohen Emissionen, neuen Protesten der Schülerinnen und Schüler und einer sorglosen grünen Atomaufsicht im Südwesten

Gerade noch so, Corona sei Dank, hat Deutschland sein – unzureichendes – Klimaziel für 2020 erreicht. Das geht aus der neuesten Klimabilanz des Umweltbundesamtes hervor.

Demnach sind im vergangenen Jahr knapp 645 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) emittiert worden, welches das mit Abstand wichtigste Treibhausgas ist. Rechnet man die anderen Klimagase entsprechend ihrer Wirksamkeit in CO2 um, so kommt man alles zusammen auf etwas mehr als 739 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. (Wenn von diesen irgendwo die Rede ist, dann ist im Allgemeinen immer das CO2 mitgemeint.)

Somit wurden 2020 in Deutschland 40,8 Prozent weniger Treibhausgase in die Luft geblasen als 1990. Die Reduktion um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 war das von der ersten Merkel-Regierung beschlossene Ziel für 2020. Nach der letzten Bundestagswahl hatte man es allerdings klammheimlich aufgegeben.

Im Wahlkampf hatte Angela Merkel noch daran festgehalten, aber im Koalitionsvertrag mit der SPD tauchte es dann nicht mehr als verbindliches Ziel auf. Allen Beteiligten war nämlich klar, dass es dazu zusätzlicher Einschnitte bei der Kohleverstromung sowie beim Benzin- und Dieselverbrauch bedurft hätte, die man den betroffenen Energie- und Automobilkonzernen nicht zumuten wollte.

Doch nun hat, zumindest vorübergehend, die Pandemie für weniger Verkehr und Stromverbrauch gesorgt. Vor allem der erste Lockdown im Frühjahr, der den Verkehr stark beschränkte, den Absatz einbrechen und viele Lieferketten versagen ließ, führte zum Emissionsrückgang.

Übers Jahr gerechnet ging der Bruttostromverbrauch um vier Prozent, die Industrie-Emissionen um 4,6 Prozent und die Treibhausgasemissionen aus dem Straßenverkehr um 11,4 Prozent zurück.

Eigenlob

Es liegt auf der Hand, dass wenig bis gar nichts davon nachhaltig ist, doch für Bundesumweltministerin Svenja Schulze bieten die Zahlen vor allem Grund, sich auf die eigene Schulter zu klopfen. Deutschland mache schon im dritten Jahr in Folge Fortschritte beim Klimaschutz, verkündet sie.

Es gebe zwar einen "Pandemie-Effekt", aber auch strukturelle Veränderungen. Der Kohleausstieg komme gut voran, findet sie. Das werden die Menschen am Rande der Braunkohletagebaue in Ostdeutschland und im Rheinland sicherlich anders sehen.

Immerhin will die Bundesregierung den größeren Teil der Braunkohlekraftwerke bis mindestens 2036 weiterlaufen lassen. Und Tagebau-Eigner RWE treibt im Rheinland insbesondere die Grube Garzweiler 2 weiter gegen verschiedene Dörfer in Erkelenz voran und bringt dort die Einwohner gegeneinander auf, wie das Bündnis Alle Dörfer Bleiben berichtet.

Die Bundesumweltministerin fordert unterdessen anlässlich der neuen Emissionszahlen immerhin, dass das bisher vorgesehene Ausbautempo für Solar- und Windenergie verdoppelt werden müsse. Außerdem mahnt sie an weiter Maßnahmen im Gebäudesektor zu prüfen.

Unzureichend

Kritik kommt derweil von diversen Umweltverbänden und aus der Opposition. Unisono wird zum Beispiel vom World Wide Fund for Nature, der Deutschen Umwelthilfe und der Klima Allianz die Bilanz der Umweltministerin als unzureichend kritisiert und mehr Tempo beim Klimaschutz gefordert.

Ein gemeinsamer Appell von mehreren Dutzend Hilfsorganisationen sowie Sport- und Umweltverbänden verlangt, das Klimaschutzgesetz an die Pariser Klimaübereinkunft anzupassen.

Das deutsche Reduktionsziel für 2030 müsse von derzeit 55 auf 70 Prozent gegenüber 1990 erhöht werden. (40,8 Prozent sind erreicht, wobei es aber voraussichtlich wieder einen Anstieg geben wird, sobald die Wirtschaft wieder in Gang kommt.)

Doch selbst wenn dieses so ehrgeizig erscheinende Ziel erreicht würde, käme Deutschland erst beim globalen Durchschnitt an. Dann wären die hiesigen pro-Kopf-Emissionen bei etwas mehr als vier Tonnen pro Jahr gedrückt und entsprächen erst damit in etwa dem globalen Mittelwert.

Düstere Realität

"Würden alle Länder wie Deutschland Klimaschutz machen, dann haben wir Ende des Jahrhunderts eine Erderwärmung von bis zu vier Grad, was eine Katastrophe wäre", kritisiert daher der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin aus Kiel die Bundesregierung.

In der Linksfraktion ist er für den Bereich Klima und Energie mitverantwortlich. Da möchte man ihm beipflichten, doch leider sieht die Realität noch etwas düsterer aus: Würden alle Länder eine Energiepolitik wie Deutschland betreiben, dann lägen die weltweiten pro-Kopf-Emissionen nicht bei 4,7 Tonnen jährlich, sondern bei 7,7 oder - ohne Corona-Effekt - auch über acht Tonnen CO2 pro Jahr. (Wegen der Vergleichbarkeit der Zahlen werden hier die anderen Treibhausgase, die meist weniger langlebig sind, nicht berücksichtigt.)

Dann wären die jährlichen globalen Emissionen fast doppelt so hoch wie derzeit und die Erde würde wohl eher auf sieben oder noch mehr Grad globaler Erwärmung zusteuern.

Das ist zum Glück nicht der Fall und die Erde steuert derzeit "nur" auf eine Erwärmung von drei bis vier Grad zu, was zum Ende des Jahrhunderts vermutlich zur Aufgabe mehrerer großer Millionen-Metropolen an den Küsten, zum Untergang einiger Inselstaaten und zur Bedrohung der Ernährung von mehreren Milliarden Menschen führen würde.

Schulstreiks für das Klima

Umso dringlicher ist es natürlich, dass das seit vielen Jahrzehnten auf Kosten anderer lebende Deutschland, wie es unter anderem Beutin für die Linkspartei fordert, seine Klimaziele erheblich verschärft. Die Fridays-For-Future-Schülerinnen und -Schüler fordern dazu unter anderem den Kohleausstieg bis 2030 und Klimaneutralität des ganzen Landes bis 2035.

Dafür wird es am kommenden Freitag mal wieder einen globalen Aktionstag geben, der hierzulande unter den Pandemie-Bedingungen mit allerlei fantasievollen Aktionen organisiert werden soll, die ohne größere Menschenansammlungen auskommen.

In Berlin ist zum Beispiel ein Livestream geplant. Die Jugendlichen sind offensichtlich deutlich verantwortungsbewusster und empathischer als die Gegner der Pandemiebestimmungen, die am Wochenende in verschiedenen Städten mal wieder ohne Masken durch die Straßen demonstrierten.

Mehr Räder

Aus verschiedenen Ecken der Welt wurde im vergangenen Jahr ein erheblicher Anstieg des Fahrradverkehrs berichtet. Städte wie Bogota in Kolumbien, New York in den USA und London in Großbritannien räumten daraufhin den Drahteseln auf den Straßen zum Teil erheblich mehr Platz ein.

Auch hierzulande folgte manche Stadt dem Beispiel, was wiederum den Autofreunden in den Redaktionsstuben und in Parteien wie der FDP und der AfD gar nicht recht war. In Berlin erhielt daher von ihnen die ebenfalls nicht sehr radfahrerfreundliche Polizei viel Beifall für Geschwindigkeitskontrollen auf den neuen Radwegen, damit die Radler auch ja nicht zu schnell fahren.

Diese zeigten sich jedoch von so viel feindlicher Stimmungsmache weitgehend unbeeindruckt und kauften, was das Zeug hielt. Der Absatz von Fahrrädern legte 2020 erheblich zu, wie die Zahlen von Statista zeigen.

Demnach verkauften hiesige Händler im vergangenen Jahr rund fünf Millionen E-Bikes und Fahrräder, 17 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Besonders E-Bikes wurden vermehrt nachgefragt. Der Verkauf von Fahrrädern stieg leicht auf etwas über drei Millionen.

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