Klima-Protest: Freisprüche für Letzte Generation – zumindest von Hauptvorwürfen
Berliner Amtsgericht will Gewaltbegriff nicht überdehnen. In einem Fall stellt es aber eine Ordnungswidrigkeit fest. Warum die Gruppe sich dennoch bestätigt sieht.
Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten sind erneut Angeklagte aus der Klima-Initiative "Letzte Generation" vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen worden. In drei Verfahren sei am Montag und am Dienstag mussten sich Beteiligte von Blockadeaktionen der Gruppe vor dem Gericht verantworten.
Die Vorwürfe der Nötigung durch Sitzblockaden und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aufgrund des Anklebens von Händen auf der Fahrbahn seien aber verneint worden, teilte die Gruppe im Anschluss mit.
Nach Angaben des Gerichts kam es aber in einem Fall zu einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, weil sich die Angeklagte nach Auflösung der Straßenblockade nicht unverzüglich entfernt habe – also nicht wegen einer Straftat, sondern wegen einer Ordnungswidrigkeit, für die sie nun eine Geldbuße in Höhe von 150 Euro entrichten muss.
Die Hauptverhandlung gegen die 21-jährige Lisa S. am Montag bezog sich auf eine Sitzblockade vom 7. November 2022, bei der auch Sekundenkleber zum Einsatz kam. Der Richter habe betont, dass er die Protestform zwar persönlich ablehne – eine Verurteilung wegen Widerstands und Nötigung stelle aber aus seiner Sicht eine haarsträubende Überdehnung des Gewaltbegriffs dar, teilte die Gruppe am Dienstag mit.
Erfolg hatte demnach die Argumentation der Angeklagten mit Artikel 20a des Grundgesetzes, der den Staat zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für kommende Generationen verpflichtet.
Gemäß dem Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 kam die damalige Bundesregierung dieser Verpflichtung zumindest nicht schnell genug nach, um auch die Freiheitsrechte der jungen Generation zu gewährleisten.
Wenn effektiver Klimaschutz nicht zeitig erfolge, sei er später nicht mehr "freiheitsschonend" möglich, argumentierte das Gericht: "Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehlt."
Statt einer grundlegenden Kurskorrektor hat die aktuelle Bundesregierung allerdings noch die Sektorziele für den Klimaschutz gestrichen.
Abwägung zwischen Grundrechten: Blockade nicht verwerflich
So musste das Gericht zwischen Grundrechten abwägen: Das Blockieren einer Straße und damit ein Verhalten, das Autofahrer zur Duldung der Blockade zwingt, kann eine Nötigung gemäß § 240 StGB darstellen. Allerdings nur, wenn sie "zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen" ist.
Die notwendige Verwerflichkeitsprüfung habe für den zuständigen Richter Plüür nur eine Entscheidung zugunsten der Angeklagten zugelassen.
Rolf Meyer, Sprecher der "Letzten Generation" wertete dies als vollen Erfolg: "Die erneuten Freisprüche am Amtsgericht Tiergarten zeigen, dass unsere Proteste auch juristisch als legitim bewertet werden können. Unsere Regierung bricht geltendes Recht und so steuern wir noch in diesem Jahrhundert auf eine drei Grad heißere Welt zu", erklärte er am Dienstag.
"Wir freuen uns, dass immer wieder auch Richter:innen den Mut haben, die Legitimität unseres Protests anzuerkennen", sah Meyer von der festgestellten Ordnungswidrigkeit in einem Fall ab.
Es handelt sich allerdings um erstinstanzliche Entscheidungen. Im vergangenen Jahr wurde bereits ein vergleichbarer Freispruch vom Landgericht Berlin aufgehoben. Letztendlich streben die "Klimakleber" eine endgültige Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht an.
Redaktioneller Hinweis: Das Bundesverfassungsgericht hat im Klima-Beschluss von 2021 keinen Verstoß der Bundesregierung gegen Artikel 20a des Grundgesetzes festgestellt, sondern sah lediglich die Freiheitsrechte der jungen Generation für die Zukunft gefährdet, falls dieser Schutzpflicht nicht in absehbarer Zeit beschleunigt Rechnung getragen wird und entsprechende Maßnahmen später unter großem Zeitdruck erfolgen müssen. Der Artikel wurde insoweit korrigiert.
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