Klima-Volksentscheid: Die Panik fossiler Lobbys vor der Energiewende

Plakat für Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral. Bild: Klimaneustart

Am Sonntag entscheidet Berlin, ob die Stadt bis 2030 klimaneutral werden will. Die Bildzeitung spricht vom "Klima-Knebel", die CDU versucht verzweifelt, die Wogen zu glätten. Wenn einer Lobby die Felle wegschwimmen. Ein Kommentar

Denjenigen, die sich für mehr Klimaschutz aussprechen und protestieren, wird immer wieder vorgehalten, alarmistisch und radikal zu sein. Man kritisiert zudem, dass Klimaschützer:innen keine Lösungen anbieten.

Dabei verweisen die, die mehr und angemessenen Klimaschutz verlangen, auf etliche Studien, national wie international, die zeigen, dass eine schnelle Energiewende für die Industriestaaten in einem Jahrzehnt technisch machbar (wenn auch anspruchsvoll) sowie ökonomisch und politisch gewinnbringend durchsetzbar ist.

Ja, es wird ein Kraftakt werden, weil viel zu lange die fossilen Lobbys Politik und Öffentlichkeit lähmen konnten. Und ja, es muss sozial ablaufen, auf keinen Fall zulasten der Schwachen. Doch wie der IPCC-Bericht oder der UN-Generalsekretär Antonio Gueterres klarstellen: Woran es mangelt, ist der politische Wille, nachhaltigen Wohlstand für alle zu sichern. An Lösungen hingegen fehle es nicht.

So zeigt eine aktuelle Studie des Ökoinstituts, in Auftrag gegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wie eine soziale Wärmewende aussehen könnte. Und die New York Times berichtet vor einigen Tagen über eine neue peer-reviewed Studie, die darlegt, dass die Energiekosten bei einem schnellen Übergang von Fossil zu Erneuerbar gegenüber einem Business-As-Usual-Szenario schnell und drastisch sinken werden – wegen der Lerneffekte und technologischen Dynamiken.

Andere Untersuchungen kommen zu noch vorteilhafteren Ergebnissen.

Aber in der breiteren Öffentlichkeit werden die Vorschläge entweder ignoriert oder mit Kampagnen und Angstschüren zur Seite gewischt. Der Kampf um eine Verkehrswende hin zu Elektro-Mobilität, die Wärmewende und um Windräder zeigt, wie jeder Geländegewinn neuen Attacke provoziert.

Letztlich ist es ein Zwei-Fronten-Krieg. Wie der Energiewende-Pionier Hermann Scheer von der SPD, einer der Mitinitiatoren des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, es früh erkannte: Beim Klimaschutz geht es einerseits um das Ringen um eine andere Energiepolitik, andererseits um die öffentliche Meinung, einen Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen. Beides hänge, so Scheer, eng miteinander zusammen.

Genau das wissen die sehr genau, die mit Kohle, Gas und Öl weiter viel Geld machen wollen, sowie jene, die ihnen dabei politisch assistieren. Sie haben daher nicht nur die Energiewende blockiert und untergraben – und tun das weiter. Gleichzeitig wurde immer wieder Stimmung gegen den Wechsel von Öl, Kohle und Gas auf Sonne und Wind gemacht. Die großen Medien boten ihnen willfährige Echokammern.

Die Argumente sind dabei: Geht technisch nicht, kostet Unsummen, deindustrialisiert Deutschland, wird auf dem Rücken der Arbeiter:innen und sozial Schwachen ausgetragen, verschandelt heimische Landschaften und führt zur Rebellion der Bürger, die ihren Wohlstand frei genießen wollen.

Solche seit Jahrzehnten immer wieder recycelten Befürchtungen haben sich in der Vergangenheit nicht bewahrheitet. Im Gegenteil.

Letztlich ist der Abschied von den Fossilen zu einem sozialen Kulturkampf transformiert worden, der die Ängste vieler Menschen vor Ungewohntem und Neuem in einer neoliberal entsicherten Gesellschaft politisch instrumentalisiert.

Dazu kommt, dass viele kein Vertrauen mehr in Staat und Politik haben. Sie glauben nicht, dass sie die Transformation fair gestalten werden – was, siehe Sozialabbau, stagnierende Reallöhne, Bankenrettungen, Coronahilfen oder Energiegelder per Gießkanne, nicht unbegründet ist.

Ein Prüfstein für den Kampf um die Köpfe und Herzen könnte am Wochenende in Berlin zu beobachten sein. Dort wird am Sonntag über einen Volksentscheid abgestimmt, der die deutsche Hauptstadt früher von fossiler Energie unabhängig machen will als geplant – nicht erst 2045, sondern schon 2030.

Das ist keine willkürliche Datumsänderung, um die Leute zu ärgern, sondern tatsächlich eine alternativlose Deadline. Denn die Kohlenstoff-Uhr tickt: Noch sechs Jahre bleiben, dann ist das Emissionsbudget für die 1,5-Grad-Obergrenze, die von Klimawissenschaften und im Pariser Klimavertrag als Maximum festgelegt wurde, aufgebraucht.

Studien zeigen, dass die Industriestaaten spätestens 2035 komplett dekarbonisiert sein müssen, eher früher, um die Obergrenze von zwei Grad Celsius Erderhitzung nicht zu überschreiten. In der breiteren Öffentlichkeit wird über die weitreichenden politischen Implikationen dieser Emissionsrealität aber mehr oder weniger geschwiegen.

Daher könnte der Berliner Volksentscheid eine wichtige Symbolwirkung erzeugen. Ziel ist es, das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz verpflichtend auf das neue Datum auszurichten. Damit würde sich die deutsche Hauptstadt hundert anderen Städten der EU wie Kopenhagen, Paris, Rom, Lissabon oder Oslo anschließen, die bis 2030 klimaneutral sein wollen.

Die Initiative Klimaneustart, die unterstützt wird von zahlreichen Organisationen und Gruppen wie Brot für die Welt, dem Fahrradclub ADFC, Inkota oder dem IPPNW, betont dabei, dass es darum gehe, Berlin zu einer energetisch unabhängigen und für alle lebenswerten Stadt zu transformieren.

Alle großen Studien der letzten Jahre zeigen es: Ein bezahlbares Leben für alle, eine zukunftsfähige Wirtschaft und ehrgeiziger Klimaschutz sind keine Widersprüche. Diese drei Ziele ergänzen sich hervorragend!

Es liegt auch eine Machbarkeitsanalyse der Energy Watch Group vor. Sie zeigt unter anderem, dass Berlin bis 2030 in einer Energiepartnerschaft mit Brandenburg 100 Prozent erneuerbaren Strom beziehen kann.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.