Klima und Rassismus

Seite 2: Ursprüngliche Akkumulation und Klimazerstörung

Die von den Eroberern erbeuteten Güter, Naturprodukte und Schätze des Bodens, der Gewässer und der Fauna und Flora, bildeten einen wichtigen Grundstock der ursprünglichen Akkumulation, der materiellen Basis für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsprozesse.

Wie immer Europa sich mit Beginn der Neuzeit und vor allem nach der Französischen Revolution ohne sie entwickelt hätte, bleibt der kreativen Phantasie überlassen, aber auch ohne "belastbare" Zahlen lässt sich aus dem vorhandenen Wissen über die Dynamik von wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung schlussfolgern, dass wir uns, ohne die rechtlose Konfiszierung fremden Eigentums, einen vergleichsweise abgemagerten Entwicklungsprozess vorstellen müssen.

Die erste industrielle Revolution, das Heranwachsen der kapitalistischen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, ist weder zu erklären noch zu verstehen ohne den Lebens- und Blutzoll und die Enteignung zahlloser Menschen im globalen Süden.

Die Basis für einen qualitativen Sprung von der Hand- und mechanischen Fertigung von Gütern in Manufakturen zur Massenproduktion, aber auch für Technik, Wissenschaft und Kultur, waren naturgemäß zunächst die Ressourcen, die "vor der Haustür" lagen, etwa Erze und Kohle, in größerem Maßstab aber wurde mehr und mehr genutzt, was dem Rest der Menschheit entwendet werden konnte.

Die Ergebnisse der Forschungen zur Erderwärmung, wie sie auch in den Berichten der IPPC zusammengetragen worden sind7, bestätigen diese These, denn sie weisen einen steilen Anstieg seit etwa 1850 nach, dem Beginn der Nutzung fossiler Brennstoffe, zunächst für die Eisen- und Stahlgewinnung, dann aber immer stärker für die Produktion von Gütern sowohl für den weiteren Ausbau von Industrie und Handwerk als auch für den Massen-Konsum.

Einzelheiten dieses Prozesses, seiner ökonomischen Verflechtungen, seiner Dynamik und seiner politischen Rahmenbedingungen, sind von vielen Ökonomen und Soziologen aufgearbeitet worden, Marx und Engels etwa haben mit ihren Schriften zum Verständnis der kapitalistischen Produktionslogik und ihrer sozialen und gesellschaftlichen Folgen beigetragen.

Die Quintessenz ihrer Analysen lautet, dass der "fette Import" von Roh- und Wertstoffen für die Klimaveränderung der letzten zweihundert Jahre essenziell ist. Im Überblick der ökonomischen Entwicklung der letzten Jahrhunderte, insbesondere der Zeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts und der letzten Jahrzehnte, lässt sich eine empirisch belegbare Korrelation feststellen zwischen der Belastung des Klimas durch Treibhausgase und chemische Gifte einerseits und der Verschärfung kolonialistischer und imperialistischer Ausbeutung und Ausraubung andererseits.

Gäbe es diese ungleichgewichtigen Verhältnisse zwischen Menschen, Völkern und Kontinenten nicht, fänden zweifellos, wie immer seit Bestehen des Blauen Planeten, klimatische Veränderungen statt, wie sie sich aus dem natürlichen Zusammenspiel der Kräfte, die auf ihm wirken, ergeben: Schwankende Sonnenaktivität, natürliche Erhöhung oder Senkung der CO2-Konzentration durch die Dynamik der ozeanischen Wassermassen, tektonische Verschiebungen der Erdmassen und Vulkanausbrüche und sicherlich noch durch viele andere Faktoren und ihr Zusammenwirken.

Aber einen Klimakollaps, wie er sich seit 150 Jahren abzeichnet, seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts definitiv nachweisbar ist und seit Beginn des 21. Jahrhunderts für immer mehr Menschen unmittelbar spürbar wird, hätte es ohne den fünfhundertjährigen ökonomischen, politischen, ideologischen Krieg des Nordens gegen den Süden, ohne die unstillbare Gier auf die Reichtümer vieler anderer Menschen und die Enteignung ihrer Lebengrundlagen, mit realistischer Wahrscheinlichkeit nicht gegeben.

Belege und Begründungen für diese Annahme haben Karl Marx und Friedrich Engels, Wladimir I. Lenin, Frantz Fanon, Aimé Césaire, Eduardo Galeano8 und tausend andere wissenschafts-politische Autoren akribisch zusammengetragen, empirisch werden sie tagtäglich erfahrbar durch die Folgen der globalen Verordnung neoliberaler Profitgenerierung.

Aus der militärisch gesicherten Herrschaft mächtiger politisch-ökonomischer Assoziationen über die große Mehrheit, die als Arbeitsware mit mehr oder weniger Gewalt rekrutiert oder als nützliche Idioten9 gekauft, bis zur Erschöpfung ausgebeutet oder indirekt oder nicht selten auch direkt vom Leben zum Tode befördert wird, resultieren nicht nur deren privater Reichtum, profitables Wachstum, technologische Durchdringung aller Lebensbereiche und ungebremster Konsum, sondern, als ihr janusköpfiges Schreckensantlitz, auch der drohende Zusammenbruch der über Jahrmillionen gewachsenen und, wie die bis in die Gegenwart hinein relativ ungebrochene Bewohnbarkeit des Planeten belegt, funktionierenden klimatischen Systeme.

Das klimabezogene Fazit lautet: Rassistisch motivierte, kolonialistisch und imperialistisch organisierte Raubzüge liegen dem sogenannten "Fortschritt" des nord-westlichen Imperiums zugrunde, kaum eine produktive, technologische, kulturelle Bewegung vollzieht sich ohne Rückgriff auf Diebesgut, dem wir, hier und heute und jeder einzelne, unseren zusammengeklauten Wohlstand verdanken. Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus - im weiteren Verlauf gelegentlich als "K-I-R" abgekürztes Syndrom - sind unmittelbarer Ausdruck der Unterwerfungs- und Vernichtungslogik, nach der Europa und Nordamerika seit fünfhundert Jahren funktionieren, sie garantieren nahezu alle – ideellen und materiellen – Lebensgrundlagen im Norden des irdischen Planeten. Sie bilden gemeinsam das Gerüst der Klima-Zerstörungs-Konstante, deren Vorhandensein so selbstverständlich für unseren Alltag, unser Fühlen und Denken und Handeln ist, dass sie nicht böswillig oder vorsätzlich, sondern einfach so, ohne en Bewusstsein ihrer zerstörerischen Auswirkungen, übersehen, überhört, vernachlässigt wird.10