Klima und Rassismus

Das rassistische europäische Selbstverständnis verwüstet seit 500 Jahren Menschen und Natur. In Alltag, Politik und Wissenschaft wird es so perfekt verdrängt, dass ihm kein Regenwurm, keine Mangrove und letztlich kein Mensch entkommen wird (Teil 1)

Klimaforschung, Future-Bewegungen, Umweltschützer:innen weltweit versuchen seit vielen Jahren zu verhindern, dass die klimatischen Systeme weiter aus dem Lot geraten und das Leben auf der Erde bedrohen. Der weitaus größte Teil dieser Klima- und Lebensrettungsdynamik ist in den Ländern oder Staaten angesiedelt, die zur Umweltverschmutzung, zur Vernichtung der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen, am meisten beitragen, also überwiegend im globalen Norden.

Dieses Zusammentreffen jener, die fahrlässig und vorsätzlich alles Lebendige schädigen, und denen, die Protest laut werden lassen – manchmal sogar Widerstand -, könnte Hoffnung machen. Die Hoffnung aber trügt. Beide "Lager" übersehen die für das globale Weiterleben vielleicht tödlichste Gefahr, die Klima-Zerstörungs-Konstante (KZK).

Für die einen war sie schon immer die selbstverständliche und deshalb nicht-bewusste Grundlage ihres Daseins, ihres Handelns und ihrer Vorstellungswelt, die anderen dringen mit ihren Anklagen gegen Profit, Wachstum und Konsumterror nicht wirklich zu ihr vor.

Die hier vertretene These lautet: Rückt die Klima-Zerstörungs-Konstante nicht in den Fokus des Kampfes gegen den klimatischen Zusammenbruch, wird er nicht aufzuhalten sein.

Kolumbus und der europäische Humanitätsbruch

Mit dem Donner der Kanonen zum Abschied von Columbus aus Europa war auch so etwas wie der Startschuss für die Klimazerstörung gefallen. Sie beginnt mit den erbarmungslosen Übergriffen der Europäer und später der Nordamerikaner auf die Teile der globalen Weiten, die nahezu alles bargen, was das Leben angenehm, luxuriös und übersättigt macht.

In den zwei bis drei Jahrhunderten nach Columbus, Vasco da Gama oder Magellan wurde Europa überflutet mit den natürlichen Reichtümern der okkupierten, teilweise zerstörten Völker und Kulturen jenseits der Ozeane.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Reiche und Staaten auf der Nordhalbkugel aus den Kontinenten Afrika, Asien und Mittel- und Südamerika unermessliche Mengen an Über- und Unterbodenschätzen – und Millionen Menschen als Sklaven – in den eigenen Besitz überführt. Mithilfe ihrer zerstörerischen Gewalt kolonisierten die Invasoren weite Teile der irdischen Welt.

Der formale Verzicht auf die Kolonien – überwiegend zu Anfang des letzten Jahrhunderts – erwies sich als raffinierte Rochade: Die Strategien der nordwestlichen Machtzentren, die ökonomisch und politisch hegemonial waren und sind, beinhalteten Zugeständnisse an Selbständigkeit, Freiheit, staatlicher Autonomie und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, gekoppelt an die bruchlose Fortsetzung von Ausraubung, Unterdrückung und Ausbeutung. Von westlichen Konzernen diktierte Handelsverträge und scheinpartnerschaftliche Kooperationen erweisen sich seither folgerichtig als Betrugsmanöver, die das Ausmaß der Inbesitznahme von Boden, Kulturpflanzen und Arbeitskräften im Vergleich zur Kolonialzeit weiter verschärfen.1

Sie legalisieren und legitimieren den neuen Kolonialismus als gängiges Format des Umgangs des Nordens mit dem Süden, beseitigen ihn also keineswegs, wie sie häufig vorgeben.

Imperialismus, dem Kolonialismus verwandt, aber durch die unverhohlene Integration militärischer Gewalt effektiver und ergiebiger – gleich doppelt, denn das Militär war immer auch ein wichtiger Wirtschafts- und Technologiefaktor –, wurde zum Mittel der Wahl zeitgenössischer neoliberaler Expansion, deren Folgen täglich zu besichtigen sind, als Katastrophen-Kapitalismus, dessen Schock-Strategien seit einigen Jahrzehnten unvorstellbare Verwüstungen auf dem Planeten Erde anrichten.2

Seine Opfer in den kolonisierten Gebieten, in den ausgelaugten Gegenden im Süden, haben nichts als ihr nacktes Leben, werden von ihren Ländereien vertrieben3 und vielerorts als Sklaven bis zum letzten Atemzug ausgepresst.

Wagen sie den Widerstandsmodus als letzten Akt des Kampfes um ihr Überleben, werden sie mit überlegener militärischer Gewalt gemeuchelt, ganze Völker fast ausgerottet, wie die Nama und Herero durch deutsche Kolonisten.4

In der jüngeren Vergangenheit setzen die Damen und Herren der Damen- und Herrenvölker diese für sie fruchtbringende Tradition nahtlos fort, in Vietnam und Kambodscha, später Irak und Libyen, zuletzt vor allem Afghanistan. Das Vorkommen wichtiger Bodenschätze begründete etwas – historisch gesehen – wahrscheinlich wirklich Innovatives: Blut- und Bodenpolitik, Mord und Totschlag unter dem Motto "Menschenrechte" und "Demokratie" als Lüge und Betrug in Wort, Bild und Tat.

Verbrämt mit verbalen Rechtfertigungsorgien werden ferne Gemeinwesen für die eigene Bereicherung und Machterweiterung zerschlagen. Die trickreichen Kosten-Nutzen-Kalküle reichen bis in die gegenwärtige europäische Asylpolitik: Wer ausbeutbar ist, darf kommen und bleiben, unnütze Esser oder nicht auspressbare Hilfesuchende werden als unerwünschte Eindringlinge deklariert und dürfen im Mittelmeer ersaufen oder in der Wüste verdursten, sich in libyschen Lagern quälen und vergewaltigen lassen oder in Bosnien und an der polnischen Grenze, Europa zum Greifen nahe vor sich, in Stacheldrahtzäunen verrecken.

Kolonialismus und Imperialismus werden als Ausraubungs- und Zerstörungsmaschinerien zur Sicherung der nord-westlichen Existenzgrundlagen erst vollends begreifbar, wenn ihr Lebensnerv freigelegt wird: Rassismus, die Selbstgewissheit der BewohnerInnen im Norden, lebenswerter zu sein als die Menschen in südlichen Gefilden.

Schon zur Zeit der so gar nicht unschuldigen Entdeckungsreisen grassierte ein exkulpierender rassistischer Bazillus, der die jahrhundertelange Barbarei, mit der die zivilisatorisch Selbstgerechten die vermeintlich rückständigen Völker auf der Südhalbkugel ausnutzten oder abschlachteten, bis heute als legitim erscheinen lässt.

Diese Spur der rassistischen Legitimation für jedes weltweit begangene Verbrechen ist in die Zeit des europäischen Aufbruchs in die Moderne zurück zu verfolgen. So gewaltig die Veränderung des Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildes durch Kopernikus war, als er das geo- durch das heliozentrische Weltbild ersetzte, so penetrant pochten seine politisch und ökonomisch dominanten ZeitgenossInnen darauf, dass es durch ein eurozentrisches ergänzt wurde:

Sie hatten sich im Zuge der nur vordergründig allumfassenden Aufklärung, die schon im Moment ihrer Geistwerdung gegenaufklärerisch wurde5, selbst zum wissenden und innovationsfähigen Teil der Menschheit erklärt, dem es zustand, den in jeder Hinsicht beschränkten Teil anderswo bedingungslos zu unterjochen.

Ihre Logik war so einfach wie betörend, weil zirkelschlüssig: Wer über die Fähigkeiten und die Mittel verfügte, Menschen und Völker in anderen Teilen der Welt zu betrügen, zu bestehlen, sich untertan zu machen, gehörte zweifellos zur überlegenen Rasse, deren nautische und kriegerisch-militärische Überlegenheit hinreichender Beleg dafür war, dass nur sie mit Gold und Gewürzen, Kakao und Zuckerrohr, Baumwolle und Kaffee wirklich etwas Sinnvolles anfangen konnten.

Ein globaler Lebensrhythmus, in dem alle Menschen zufrieden mitschwingen, war den Vertretern dieser Krämer- und Dominanz-Logik ein Gräuel, der brandschatzenden und räuberischen Selbstüberschätzung war eine friedliche und gerechte Welt für alle ein sinnloses Hirngespinst.

Alltägliches rassistisches Selbstverständnis und Verhalten haben sich in fünfhundert Jahren europäischen Überlegenheitsdünkels wahrscheinlich im Erbgut des weißhäutigen, bleichgesichtigen Teils der Menschheit verankert – oder gibt es eine auch nur annähernd überzeugende oder plausible Begründung für die obszönen Formen der Ausbeutung von Abermillionen Menschen, für die Vertreibung von ihrem Grund und Boden, für das Leerfischen ihrer überlebenswichtigen Gewässer, für Kinderarbeit auf Kakaoplantagen und in T-Shirt-Fabriken, für verlogene Debatten über "faire Löhne" und "Sozialstandards", die im Vergleich zu den hiesigen Bedingungen nichts als herrische Demütigungen sind?

Für den gesellschafts-politischen Umgang mit Flüchtlingen, mit in Armut lebenden Menschen, mit Sklaven auf Plantagen, mit gewaltsam unterdrückten Frauen, mit Indigenen, spielt nicht die Hautfarbe die entscheidende Rolle, sondern die grundsätzliche Missachtung von Menschen, die generelle Gleichgültigkeit ihnen gegenüber – das rassistische Grundmuster, das allen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zugrunde liegt. Sonst würden uns6 Bananen, Ananas und Steaks im Hals stecken bleiben und Hemden und Hosen würden uns die Haut verbrennen, weil wir das Blut, den Schweiß, die Verzweiflung und das Elend ihrer ProduzentInnen spüren würden.

Und wir würden begreifen, dass von dieser Menschenvernichtungslogik jene, die das fatale Pech haben, im sonnigen und so unermesslich reichen Süden geboren worden zu sein, gleich doppelt heimgesucht werden: Direkt über Vertreibung, Hunger und Verheerung ihrer Lebensräume, indirekt über die Folgen der Klimaveränderungen, die ihre Lebensgrundlagen verwüsten oder im Meer versinken lassen.

Ursprüngliche Akkumulation und Klimazerstörung

Die von den Eroberern erbeuteten Güter, Naturprodukte und Schätze des Bodens, der Gewässer und der Fauna und Flora, bildeten einen wichtigen Grundstock der ursprünglichen Akkumulation, der materiellen Basis für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsprozesse.

Wie immer Europa sich mit Beginn der Neuzeit und vor allem nach der Französischen Revolution ohne sie entwickelt hätte, bleibt der kreativen Phantasie überlassen, aber auch ohne "belastbare" Zahlen lässt sich aus dem vorhandenen Wissen über die Dynamik von wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung schlussfolgern, dass wir uns, ohne die rechtlose Konfiszierung fremden Eigentums, einen vergleichsweise abgemagerten Entwicklungsprozess vorstellen müssen.

Die erste industrielle Revolution, das Heranwachsen der kapitalistischen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, ist weder zu erklären noch zu verstehen ohne den Lebens- und Blutzoll und die Enteignung zahlloser Menschen im globalen Süden.

Die Basis für einen qualitativen Sprung von der Hand- und mechanischen Fertigung von Gütern in Manufakturen zur Massenproduktion, aber auch für Technik, Wissenschaft und Kultur, waren naturgemäß zunächst die Ressourcen, die "vor der Haustür" lagen, etwa Erze und Kohle, in größerem Maßstab aber wurde mehr und mehr genutzt, was dem Rest der Menschheit entwendet werden konnte.

Die Ergebnisse der Forschungen zur Erderwärmung, wie sie auch in den Berichten der IPPC zusammengetragen worden sind7, bestätigen diese These, denn sie weisen einen steilen Anstieg seit etwa 1850 nach, dem Beginn der Nutzung fossiler Brennstoffe, zunächst für die Eisen- und Stahlgewinnung, dann aber immer stärker für die Produktion von Gütern sowohl für den weiteren Ausbau von Industrie und Handwerk als auch für den Massen-Konsum.

Einzelheiten dieses Prozesses, seiner ökonomischen Verflechtungen, seiner Dynamik und seiner politischen Rahmenbedingungen, sind von vielen Ökonomen und Soziologen aufgearbeitet worden, Marx und Engels etwa haben mit ihren Schriften zum Verständnis der kapitalistischen Produktionslogik und ihrer sozialen und gesellschaftlichen Folgen beigetragen.

Die Quintessenz ihrer Analysen lautet, dass der "fette Import" von Roh- und Wertstoffen für die Klimaveränderung der letzten zweihundert Jahre essenziell ist. Im Überblick der ökonomischen Entwicklung der letzten Jahrhunderte, insbesondere der Zeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts und der letzten Jahrzehnte, lässt sich eine empirisch belegbare Korrelation feststellen zwischen der Belastung des Klimas durch Treibhausgase und chemische Gifte einerseits und der Verschärfung kolonialistischer und imperialistischer Ausbeutung und Ausraubung andererseits.

Gäbe es diese ungleichgewichtigen Verhältnisse zwischen Menschen, Völkern und Kontinenten nicht, fänden zweifellos, wie immer seit Bestehen des Blauen Planeten, klimatische Veränderungen statt, wie sie sich aus dem natürlichen Zusammenspiel der Kräfte, die auf ihm wirken, ergeben: Schwankende Sonnenaktivität, natürliche Erhöhung oder Senkung der CO2-Konzentration durch die Dynamik der ozeanischen Wassermassen, tektonische Verschiebungen der Erdmassen und Vulkanausbrüche und sicherlich noch durch viele andere Faktoren und ihr Zusammenwirken.

Aber einen Klimakollaps, wie er sich seit 150 Jahren abzeichnet, seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts definitiv nachweisbar ist und seit Beginn des 21. Jahrhunderts für immer mehr Menschen unmittelbar spürbar wird, hätte es ohne den fünfhundertjährigen ökonomischen, politischen, ideologischen Krieg des Nordens gegen den Süden, ohne die unstillbare Gier auf die Reichtümer vieler anderer Menschen und die Enteignung ihrer Lebengrundlagen, mit realistischer Wahrscheinlichkeit nicht gegeben.

Belege und Begründungen für diese Annahme haben Karl Marx und Friedrich Engels, Wladimir I. Lenin, Frantz Fanon, Aimé Césaire, Eduardo Galeano8 und tausend andere wissenschafts-politische Autoren akribisch zusammengetragen, empirisch werden sie tagtäglich erfahrbar durch die Folgen der globalen Verordnung neoliberaler Profitgenerierung.

Aus der militärisch gesicherten Herrschaft mächtiger politisch-ökonomischer Assoziationen über die große Mehrheit, die als Arbeitsware mit mehr oder weniger Gewalt rekrutiert oder als nützliche Idioten9 gekauft, bis zur Erschöpfung ausgebeutet oder indirekt oder nicht selten auch direkt vom Leben zum Tode befördert wird, resultieren nicht nur deren privater Reichtum, profitables Wachstum, technologische Durchdringung aller Lebensbereiche und ungebremster Konsum, sondern, als ihr janusköpfiges Schreckensantlitz, auch der drohende Zusammenbruch der über Jahrmillionen gewachsenen und, wie die bis in die Gegenwart hinein relativ ungebrochene Bewohnbarkeit des Planeten belegt, funktionierenden klimatischen Systeme.

Das klimabezogene Fazit lautet: Rassistisch motivierte, kolonialistisch und imperialistisch organisierte Raubzüge liegen dem sogenannten "Fortschritt" des nord-westlichen Imperiums zugrunde, kaum eine produktive, technologische, kulturelle Bewegung vollzieht sich ohne Rückgriff auf Diebesgut, dem wir, hier und heute und jeder einzelne, unseren zusammengeklauten Wohlstand verdanken. Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus - im weiteren Verlauf gelegentlich als "K-I-R" abgekürztes Syndrom - sind unmittelbarer Ausdruck der Unterwerfungs- und Vernichtungslogik, nach der Europa und Nordamerika seit fünfhundert Jahren funktionieren, sie garantieren nahezu alle – ideellen und materiellen – Lebensgrundlagen im Norden des irdischen Planeten. Sie bilden gemeinsam das Gerüst der Klima-Zerstörungs-Konstante, deren Vorhandensein so selbstverständlich für unseren Alltag, unser Fühlen und Denken und Handeln ist, dass sie nicht böswillig oder vorsätzlich, sondern einfach so, ohne en Bewusstsein ihrer zerstörerischen Auswirkungen, übersehen, überhört, vernachlässigt wird.10

Ein gestörtes Beziehungsgeflecht

Weil wir unsere Beziehungen zu den Menschen südlich unseres Vorstellungsvermögens von einer hochmütigen und aggressiv-diebischen Warte her definieren, tragen wir jeden Tag zu ihrem, aber auch zu unserem Untergang bei, solange wir diese so einfältige wie selbstzerstörerische Basis unseres eigenen Lebens nicht begreifen – und verändern.

Alle Untersuchungen zu den Klimaveränderungen der letzten Jahrhunderte bleiben, bei aller empirischen und theoretischen Akribie, ohne Berücksichtigung der Variable "menschliche Beziehungen" als ursächliche und weiterwirkende Triebkraft der Klima-Zerstörungs-Konstante, vordergründig: Rückt sie nicht in den Fokus, wird das notwendige globale Gegensteuern keinen Erfolg haben.

Erst ein systemischer Ansatz, der alle an den "menschengemachten Klimaveränderungen" beteiligten Prozesse, also auch die globalen Beziehungsmuster und die Ursachen, Bedingungen und Folgen ihrer Störungen, integriert, öffnet hoffnungsvolle und zukunftsweisende Perspektiven: Ohne Verständnis für sie sind die kleinsten klimatischen Veränderungen, ist selbst das Aussterben einer einzigen Libellenart nicht wirklich aufzuklären und aufzuhalten. Hinlänglich bekannte Mechanismen, die das Beziehungsgefüge zwischen den Bewohnerinnen des Erdballs zerrüttet haben, sind (komprimiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

- Raub von Bodenschätzen und Über-Boden-Schätzen, von Land und Erfahrungswissen;

- exzessive Nutzung, also Ausbeutung, von natürlichen und menschlichen Ressourcen;

- kriegerische Gewalt als Mittel von Raub und Ausbeutung;

- Zerstörung und Raub von kulturellen Reichtümern (einschließlich Sprache und Geschichte), Lebensformen und akkumuliertem Erfahrungswissen;

- ideologische Okkupation in globalem Ausmaß durch neoliberale und pseudohumane Werteorientierungen;

- tief verankerte, über viele Generationen gewachsene rassistische Grundhaltung;

- Externalisierung der produktiven und konsumtiven Verdauungsprodukte, also Abladen der Exkremente sie Schadstoffe, Müll und Schrott aller Art.

Dieses Horrorszenario hat sich im Laufe der Jahrhunderte zur Klima-Zerstörungs-Konstante verdichtet, die zu der Unwucht der klimatischen Prozesse, die heute der Menschheit – neben den Atomwaffen – zur größten Bedrohung geworden ist, ihre zerstörerische Energie liefert.

Sie verbindet die interaktiven Prozesse innerhalb der natürlichen und menschengemachten Kreisläufe, also die weltumspannenden sozialen Beziehungen, mit den übrigen hinlänglich bekannten Ursachen der Klimaveränderung.

Klima-Wissenschaft

Mit der KZK wird die Geschichte der klimatischen Störungsdynamik auf die Ebene der Beziehungen zwischen den Menschen auf den Planeten herunter gebrochen. Auf sie wird in den letzten Jahren zwar offener und häufiger hingewiesen, ihre wirkliche Brisanz auch für die BewohnerInnen der Nordhalbkugel gelangt aber nicht in das Bewusstsein öffentlicher, geschweige denn politischer und ökonomischer Debatten: Die so banale wie grausige Erkenntnis, dass der Verhaltensmodus, der kolonialistisch fundiert, imperialistisch abgesichert und rassistisch getragen ist, in Erderwärmung und Artensterben mündet, hat auch die Klima-Wissenschaft bisher kaum erreicht.

Seit mehr als fünfzig Jahren warnen Wissenschaftler kompakt und öffentlichkeitswirksam vor der Klimakatastrophe. Sie stellen Diagnosen über den Zustand des Globus, über seine Zukunft und die der auf ihm existierenden Lebewesen, und sie machen konkrete Vorschläge für die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen, die den Planeten, einschließlich seiner pflanzlichen, tierischen und humanen BewohnerInnen, vielleicht retten könnten.

Die Gründung des Club of Rome 1968 und sein erster Klimabericht von 1972 waren so etwas wie der erste Warnschuss nicht nur an die verantwortlichen Politiker:innen und Konzernmanager:innen, sondern an all die Menschen, deren Energie- und Ressourcenverbrauch Weltklima und globale Gesundheit gefährden. Die TeilnehmerInnen der ersten Weltklimakonferenz 1979 bündelten viele Forschungsergebnisse, sie fassten über Jahrzehnte hin gewonnene Erkenntnisse über Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe zusammen, ergänzt durch neuere und neueste Erkenntnisse, die von der ökonomischen Logik der industriellen Produktion und ihren Folgen geradezu aufgedrängt wurden. Das gesammelte Wissen wurde zu einer epochalen Warnung an die Weltgesellschaft verdichtet.

Die 1979 erarbeitete Agenda einer unverzichtbaren Reduzierung von Treibhausgasen war wissenschaftlich so stichhaltig begründet, dass sie in den nachfolgenden Jahrzehnten zur Forschungs- und Handlungsgrundlage der meisten einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen und Organisationen wurde, die immer überzeugender den drohenden Klimakollaps belegen konnten.

Rein rechnerisch hatten sie eine Gleichung mit vielen Unbekannten zu lösen, viele Daten sind inzwischen mehr oder weniger exakt vermessen. Auf empirisch solider Grundlage haben 14.000 Wissenschaftler im August 2021 noch einmal nachdrücklich bei den politischen Verantwortlichen angemahnt, die globalen Veränderungen des Klimas ernstzunehmen und ohne weitere Zeitverzögerung gegenzusteuern, nur so sei die große Katastrophe noch abzuwenden, für die es viele Szenarien gibt, die nicht nur verheerend klingen, sondern es sind, wie viele sogenannte "Naturkatastrophen" zeigen.

Differenzierte Klimamodelle von einschlägigen Forschungsinstituten und viele aktive ForscherInnen liefern fundierte Erkenntnisse aus ihren je spezifischen Bereichen, die sich zu einem Gesamtbild ergänzen, das allen, deren Gehirne noch nicht von Pestiziden durchseucht oder durch Sauerstoffmangel geschrumpft sind, Schauer über die Rücken jagt, weil sie verstehen, dass sie auf einem Vulkan tanzen, der schon Feuer zu spucken beginnt.

Alle Erkenntnisse und Einsichten stimmen irgendwie, und doch wird in den noch so fundierten Forschungen, bis hin zu den klimatischen Kipppunkten, nicht bis zu den Wurzeln der Zerstörung des Planeten Erde gegraben.11

Dieser argumentative Verkürzungsmodus ist nicht dem wissenschaftsimmanenten Umstand geschuldet, dass Klimaforscher und -mahner bedauerlicherweise die eine oder andere Einzelheit übersehen können, sondern ein systematisches und systemisches Defizit, das wissenschaftliche Intervention als roter Faden durchzieht12:

Aus ihren Modellen eines globalen Ökosystems, in dem alles mit allem zusammenhängt und Störungen von Teilsystemen das Ganze bedrohen können, haben die ForscherInnen und MahnerInnen die menschlichen Beziehungen, also die besonderen Interaktionsmuster zwischen den BewohnerInnen der Nord- und denen der Südhalbkugel, als wichtigsten Faktor, als das "Sesam-öffne-Dich" in eine Welt ohne die Bedrohung durch eine klimatische Apokalypse, ausgeklammert.

Solange kenntnisreiche klimaschützende WissenschaftlerInnen sich darauf beschränken, Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe wie die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen in den Industrieregionen einzufordern, verschonen sie den rassistisch-kolonialistischen Lebensstil weiterhin, wie seit Jahrhunderten gewohnt, und erweisen dem Kampf gegen den Klimakollaps letztlich einen Bärendienst.

Erst wenn die erste und wichtigste Forderung lautet, "das Übel bei der Wurzel packen", also die Ursachen des klimatischen Selbstmordes, die menschenverachtenden Maximen des Kapitalismus "radikal" zu beseitigen, wird es vielleicht gelingen, das Leben auf der Erde nicht zu einem Desaster werden zu lassen, dessen Imponderabilien vorzustellen keine Phantasie ausreicht.