"Klima vor 8" – die Krise täglich auf dem Bildschirm
Ein Verein aus Wissenschaftlern, Journalisten, Studierenden und IT-Spezialisten will täglich fünf Minuten Sendezeit zur Verdeutlichung der Klima-Gefahr
Berichte über den Klimawandel sind keine Kassenschlager. Normalerweise sind "bad news" beliebt, aber zur kurzfristigen Skandalreportage taugt die Klimaveränderung nicht, zu komplex sind die Zusammenhänge und die Veränderungen sind zudem langsam. Die aktuelle Angst vor einer Covid-19-Infektion ist ein viel unmittelbareres Gefahrenbild – mit der Folge einer unglaublichen Schwemme von Informationsangeboten.
Covid ist für jeden heute allgegenwärtig. Die Konsequenz ist eine hohe Bereitschaft der Politik zum mutigen Handeln. Genau das fehlt beim Klimawandel, wobei hier nicht diskutiert werden soll, ob für die aktuelle Pandemie alles optimal entschieden wurde.
Entscheidend ist, dass unter der Covid-Angst energisch gehandelt und der Widerstand der Wirtschaft ignoriert wurde – also genau das geschah, was wir gegen den Klimawandel bräuchten.
Schleichend schmelzen die Eismassen
Anders als bei Covid verdrängt sich wohl die schleichende, nicht ständig sichtbare Klima-Gefahr erschreckend leicht – noch dazu, wenn deren Sichtbarkeit statistisch schwankt. Wirbelstürme und Überschwemmungen gab es immer.
Dass nun Zahl und Stärke aber rasant zunehmen, ist für den Einzelnen nur schwer zu verfolgen. Und ein dauerndes Erinnertwerden gibt es nicht. Aber das wäre erforderlich, wenn auch für den Kampf gegen den Klimawandel ein zu dieser Pandemie analoger politischer Druck entstehen soll.
Der wäre überfällig. Denn längst sind klimatische Gleichgewichte gekippt und gefährliche, sich selbst beschleunigende Veränderungen eingetreten. Die jetzige "Warmzeit" bietet seit gut 10.000 Jahren Klimaabläufe, die für das menschliche Leben ideal sind. Es bietet für unsere Zivilisation gut erträgliche Temperaturen, ausreichend Niederschläge und großflächige "gemäßigte" Klimazonen.
Nur an den Polen und in den kalten Regionen Sibiriens blieben dicke Eiskappen und tiefreichender Permafrost zurück. Nun aber haben beide durch die Klimaerwärmung zu tauen begonnen, mit verheerender Wirkung.
Denn aus den auftauenden Sumpfböden entweicht in riesigen Mengen Methan und die sich an den schmelzenden Polkappen rasant vergrößernde Wasseroberfläche absorbiert nun die vorher vom weißen Eis zurückreflektierte Lichtmenge. Die Erdtemperatur steigt schleichend, aber unaufhaltsam.
Man prognostiziert, dass diese beiden Effekte allein genügen, um im Laufe von einigen Jahrhunderten ein Klima zu schaffen, das nur noch für eine Milliarde Menschen Lebensraum lässt. Denn der gesamte äquatoriale Raum wird dann unbewohnbar, wird zu heiß sein, unsere gemäßigten Zonen teils kaum bewohnbare Wüste.
Täglich bewusst machen mit TV-Spot "Klima vor 8"
Man mag an den menschlichen Erfindungsgeist und neue Technologien glauben – sicherer aber wäre, die klimaschädlichen Emissionen endlich radikal einzustellen. Dieser riesige Schritt würde allerdings ein anderes Problembewusstsein der Öffentlichkeit erfordern.
Zu erreichen ist das wohl nur durch laufende Information, immer wieder auffrischende Gefahrenbeschreibung und eine nicht nur an Umsatz, sondern auch am Bewusstmachen der Gefahren interessierten Medien.
Zu diesem Zweck schlägt die Kampagne "Klima vor 8" ein Projekt vor, dessen Ziel eine tägliche Berichterstattung in den großen Medien ist, orientiert am Beispiel der täglichen beliebten Fünf-Minuten-Sendung der ARD "Börse vor 8" zu bester Sendezeit. (Dazu gibt es einen Offenen Brief, der unterschrieben werden kann.)
Eine ähnlich platzierte, regelmäßige Kurzsendung könnte das Bewusstsein für den Klimawandel schärfen, vielleicht mit der Warnung, dass unser zivilisatorisches Modell entgleist und eine immer zerstörerischere Kraft entfaltet. Ein entsprechender Brief der Initiatoren von "Klima vor 8" ging am Montag an den Intendanten der ARD, Tom Buhrow.
Es wäre ein Beispiel für die gesamte Medienwelt, jeweils das Ihre zu tun, um unsere charakterlichen Schwächen des Verdrängens auszugleichen. Die "Gier" der Wirtschaft hat den Freiraum durch die bereits entstandene Besorgnis der Öffentlichkeit eh schon reduziert – heute will fast jedes Unternehmen "grün" sein.
Ein verstärktes Bewusstsein der Öffentlichkeit würde diesen Trend noch verstärken und könnte zudem verhindern, dass durch die Wirtschaftsverbände trotz dieser offiziellen Haltung der meisten Unternehmen weiter massiv Lobbyarbeit gegen Klimaschutz-Maßnahmen gemacht wird.
Die Idee, schleichende Veränderungen durch Zeitraffer plastisch zu machen, ist dabei ein Schlüssel entsprechender Spots. Viele Ausstellungen haben das schon genutzt. Die NASA hält dazu ein beeindruckendes Beispiel bereit. Nicht sichtbar wird dabei allerdings die dramatische Zunahme von Extremwetter, die eine zwangsläufige Folge der sich verändernden Temperaturunterschiede der Erde ist.
Auch dazu gibt die Webseite von "Klima vor 8" erschreckende Bilder. Erst wenn der Schreck vor diesen Veränderungen ähnlich wie der Schock der laufenden Pandemie die öffentliche Meinung bestimmt, wird sich die Politik gegen die Lobbykraft der Wirtschaft auflehnen und den Mut haben, energisch zu handeln.
Konstruktiver Journalismus
Dabei ist heute Allgemeingut, dass die Technologien für einen zügigen Ausstieg aus den fossilen Energien existieren. Nicht nur das Wissen um die Gefahren des Klimawandels könnte also gesteigert werden, sondern auch das Wissen um die vielen Möglichkeiten und die vielen Beispiele, die zeigen, was regional getan werden kann, teils von Amts wegen Anteils aus persönlicher Initiative.
Ein konstruktiver Journalismus kann die Motivation der Allgemeinheit und den Wettbewerb politischer Lösungen ideal unterstützen und aus dem Wissen um Gefahren die Handlungskraft einer positiven Gemeinschaft enorm unterstützen.
Lange Zeit wurden Politik und Medien durch starke Lobbyarbeit behindert. Aber auch die Stimmung in der Wirtschaft beginnt sich zu drehen. Nun ist es an der Zeit, dass die Medien ihre Kraft und auch ihre Verantwortung erkennen, mit dem sie in psychologisch gut dosierter Regelmäßigkeit erinnern, informieren und anregen.
Es ist inzwischen nach zwölf. Die ersten großen Veränderungen sind losgetreten und beschleunigen sich, aber gerade das erfordert ein neues Niveau der Handlungsbereitschaft.
Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokratie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft. Er gehört zu den Erstunterzeichnern des hier erwähnten Briefes an ARD-Intendant Tom Buhrow.
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