Klimabewegung zwischen Notstand und Tarifkampf
Die Klimabewegung bewegt sich auf der gleichen Diskursebene wie die Vertreter der Corona-Notstandsmaßnahmen. Ihnen ist gemein, dass sie eine Katastrophe beschwören, der nur mit starken Notstandsmaßnahmen begegnet werden kann
Die Klimajugendbewegung Fridays for Future meldet sich zurück. Am 25.9. soll es einen globalen Aktionstag. Im Aufruf wird an den Aktionstag im vorigen Jahr angeknüpft:
Am 25.9. geht es wieder auf die Straßen, am 25.9. das wir noch da und lauter als je zu vor sind, am 25.9. rufen wir in vielen hundert deutschen und internationalen Städten zum großen Klimastreik auf. Denn wenn die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann: Treat every crisis like a crisis. Wir haben gesehen: die Politik kann handeln, wenn es darauf ankommt. Jetzt fordern wir: tut das auch bei der Klimakatastrophe!
Aufruf von Fridays for Future zum Klimaaktionstag am 25.9.2020
Dabei fällt auf, wie offen die Klimaaktivisten auf den Corona-Notstand setzen. Wurde es von vielen Klimaaktivisten als Polemik abgetan, wenn man darauf hinwies, dass mit der Propagierung des Klimanotstands auch die Disposition geschaffen wurde, damit dann ein Virus zum weltweiten Notstandsregime führte, so wird in dem Aufruf offen erklärt, dass man sich an den Corona-Notstandsmaßnahmen orientieren will. Wie soll sonst der Satz verstanden werden, die Corona-Krise habe gezeigt, dass Politik handeln kann und dass man das jetzt auch bei der Klimakatastrophe fordert?
Man hätte natürlich gewünscht, dass die Klimaaktivisten etwas konkreter werden. Fordern sie die Einstellung des Autoverkehrs, wenn bestimmte Grenzwerte von schädlichen Stoffen in der Luft überschritten werden? Oder fordern sie gleich, dass ein Teil oder die ganze Bevölkerung nicht mehr auf die Straße gehen soll? Zu ihrem eigenen Schutz natürlich, wie auch bei der Corona-Krise. Man hat sich in den letzten Monaten daran gewöhnt, dass die massiven Einschränkungen der Grundrechte, wenn nicht zum eigenen, so doch zum Schutz von besonders verletzlichen Teilen der Bevölkerung erfolgt.
Vulnarabilität und Resilienz - Begriffe aus dem Zeitalter des globalen Kapitalismus
Nicht mehr die gesellschaftlichen Bedingungen sollen gewährleisten, dass alle Menschen ein möglich schönes und langes Leben haben. Jeder einzelne ist dafür verantwortlich und wenn er das hinterfragt, wird er gleich als Inbegriff des unsolidarischen und verantwortlichen Menschen. Die einzelnen Menschen, das haben wir auch in den letzten Monaten gelernt, sind verletzliche Körper und besonders Betroffenen sind vulnerabel.
Die Vulnerabilität ist wie die die Resilienz eine Begriff aus dem Zeitalter, in dem der Kapitalismus scheinbar global gesiegt hat und Gegenkräfte nicht erkennbar sind. Dann würden aus den verletzlichen Körpern Subjekte, die sich in Initiativen und Gewerkschaften zusammenschließen, um die Folgen der Ausbeutung und Unterdrückung einzuschränken oder ganz abschaffen zu wollen.
Aber in einer Zeit, in der von kapitalistischer Ausbeutung kaum noch geredet wird, haben Begriffe wie verletzliche Körper, Resilenz und Vulnarabilität Konjunktur. Da bewegt sich die Klimabewegung auf der gleichen Diskursebene wie die Vertreter der Corona-Notstandsmaßnahmen. Ihnen ist gemein, dass sie eine Katastrophe beschwören, der nur mit starken Notstandsmaßnahmen begegnet werden kann.
Es ist auffallend, das in dem Aufruf von Fridays for Future der Begriff Klimakatastrophe, nicht mehr, wie im allgemeinen Sprachgebrauch, für besondere Natur- und Wetterphänome, wie einen Hurrikan oder eine Überschwemmung steht, sondern für die allgemeine Klimaentwicklung. Wenn die Katastrophe aber der Alltag ist, hat es eine Logik, wenn auch der Notstand mit all seinen Auswirkungen zum Alltag wird, so wie bei Corona dann auch in der Klimadebatte. Weil es dabei aber nicht mehr um einen Virus geht, den man noch nachverfolgen und eingrenzen kann, wird auch der Notstandsbegriff in der Klimabewegung entgrenzt.
Auffallend ist auch, dass Fridays for Future mit offen positiven Bezug auf die Corona-Maßnahmen in Kauf nimmt, dass sie zumindest bei den Menschen Sympathien verliert, die entweder die Maßnahmen in Frage stellen oder wissenschaftlich akzeptieren, dadurch aber in unterschiedlicher Art und Weise negativ betroffen sind. Dass können wirtschaftliche Einschnitte sein, aber auch konkrete Erfahrungen, ältere Verwandte nicht besuchen zu können etc. Daher hatten Klimaaktivisten bisher auch immer betont, dass sie in den Corona-Maßnahmen kein Vorbild für ihren Klimanotstand sehen und darauf verwiesen, dass sie eben nicht mit solchen Zwangsmaßnahmen in Verbindung gebracht werden wollen.
In dem Aufruf für den Klimaaktionstag am 25.9. wird hingegen auf eine solche Differenzierung verzichtet. Dass sollte dann aber auch vermehrt Anlass sein, auf die autoritären Implikationen der Klimanotstandsbefürworter zu achten.
Lange Zeit galt der Notstand für Liberale und Linke als ein Begriff für autoritäre Staatlichkeit, den es zu bekämpfen gibt. Dafür stand die Bewegung gegen die Notstandsgesetze, dafür standen aber auch die Initiativen "Notstand der Demokratie", die aus dem linken und linksliberalen Spektrum bis in die 1980er Jahren aktiv waren. Damals wäre kaum denkbar gewesen, dass soziale Bewegungen selber einen Notstand einfordern und damit Staatsapparate ermächtigen.
Mögen die Befürworter eines Klimanotstands auch immer beteuern, es gehe hier nicht mehr um den Notstandsbegriff der 1960er Jahre, so zeigt der unkritische Bezug auf den Corona-Notstand im aktuellen Fridays-for-Future-Aufruf, dass es auf jeden Fall um autoritäre Staatlichkeit und einen unreflektierten Katastrophenbegriff geht.
"Muss sich die Klimabewegung radikalisieren und wohin?"
Allerdings gibt es in der Klimabewegung auch Diskussionen, die die gesellschaftliche Umwälzung im Blick haben. Vor einigen Wochen veröffentliche die Taz ein Streitgespräch zwischen zwei Protagonisten der aktuellen Klimabewegung. Lisa Neubauer steht für die grünenaffine Strömung die eigentlich an der gegenwärtigen Gesellschaft nur den Klimawandel auszusetzen hat, und dem Referenten für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Tadzio Müller.
In dem Gespräch geht es um die Perspektiven der Klimabewegung. Dabei setzt Neubauer vor allem auf die langsame Bewusstseinsveränderung und parlamentarische Arbeit für einen grünen Kapitalismus:
Wir sind eine große, heterogene Bewegung. Fridays for Future hat eine einmalige Sensibilität geschaffen für die Frage des Klimaschutzes und für die Dringlichkeit der Klimakrise. Diese Perspektive hat sehr lange gefehlt, um das Thema hier so prominent zu machen, wie es heute ist. Dass in der Klimapolitik nicht zwangsläufig auf die Mehrheitsmeinung gehört wird, ist keine Frage. Aber das veränderte Bewusstsein in der Öffentlichkeit hat zum Beispiel dazu geführt, dass die Wahlergebnisse bei der Europawahl signifikant anders ausgefallen sind, als es ohne den klimabewegten Frühling der Fall gewesen wäre. Und auch kommunal hat sich gezeigt, dass man mit Klimaschutz Wahlen gewinnen kann.
Lisa Neubauer
Müller favorisiert hingegen die außerparlamentarische Bewegung:
Ich habe das Gefühl, dass die Klimabewegung, angeführt von Fridays for Future, an einem Scheideweg steht: Vertrauen wir weiter in den Politikprozess - oder sagen wir, dass dieses System keinen Klimaschutz liefern wird, und fangen an, massenhaft die Regeln des Systems zu brechen?
Tadzio Müller
Nun kann man bei Müller zumindest positiv interpretieren, dass er mit dem System den Kapitalismus meint. Neubauer macht ganz klar, dass sie sich gegen den fossilen Kapitalismus für eine angeblich sauberen Kapitalismus stark macht:
Wir brauchen weniger fossilen Kapitalismus, weniger Kohlebagger. Aber wir wollen, dass Menschen Wohlstand erfahren, basierend auf einem differenzierten Wohlstandsverständnis.
Lisa Neubauer
Klimagerechtigkeit und Klassenkampf Dass es auch in diesen neuen Kapitalismus Ausbeutung und Klassen gibt, wird gerne verschwiegen. Auch Müller hat in verschiedenen Texten schon deutlich gemacht, dass er nicht nur mit Recht Gewerkschaften kritisiert, die mit ihren Standortnationalismus ihre Basis sogar für AKWS und Autobau und die Kohleförderung mobilisieren. Er hat auch den Klassenkampf insgesamt für überholt erklärt. Da wird es interessant sein, wie er diese Position in einer Diskussion über die Rolle der Industriegewerkschaften im Kampf für Klimagerechtigkeit begründet.
Dass es dabei nicht nur um eine theoretische Frage handelt, zeigte sich dieser Tage. Unter dem Motto "Für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Klimaschutz" wollen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Fridays for Future gemeinsam in der Tarifauseinandersetzung der Beschäftigten des Öffentlichen Nahverkehrs:
Ver.di und die Klimabewegung Fridays for Future haben eine Allianz für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr und für den Klimaschutz gebildet. Sie sind sich einig: Eine Verkehrswende kann nur mit attraktiven Arbeitsplätzen und mehr Personal funktionieren. Deshalb bekommt ver.di in der aktuellen Tarifbewegung für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Unterstützung von den Klimaschützern.
Aus der gemeinsamen Erklärung von Verdi und Fridays for Future
Diese Allianz war bereits im September letzten Jahres vorbereitet und wegen Corona verschoben worden. Diese Klimaallianz könnte eine emanzipative Politik voranbringen. Die Gewerkschaften erfahren, dass Arbeitsplätze nicht um jeden Preis verteidigt werden müssen, und die Klimaaktivisten sehen konkret, dass nicht vulnerable Körper, sondern Subjekte, die sich für ihre Interessen zusammenschließen, gesellschaftliche Veränderungen erreichen. Gäbe es mehr solche Auseinandersetzungen, die man gerne auch Klassenkämpfe nennen kann, wäre das auch eine Erfahrung für Linke insgesamt.
Make Capitalism history statt soziales Feigenblatt des digitalen Kapitalismus
Wie weit die Vorstellung, dass eine Alternative zum Kapitalismus denkbar ist, verloren gegangen ist, zeigte erst wieder ein Gespräch zwischen zwei linken Reformistinnen, das in der Wochenzeitung Freitag abgedruckt war. Die Publizistin Elsa Köster spricht mit der Vorsitzenden der Linkspartei in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, auch über die Frage, was heute die Aufgabe linksreformerischer Politik ist. Da positioniert sich Köster sehr klar:
Die Transformation hin zum grünen Kapitalismus läuft, und es gibt dabei nur zwei Richtungen: nach vorne und die grüne Transformation sozial gestalten, oder aber sie ausbremsen. Aber wenn sich die Linke für eine dieser Richtungen entscheidet, verliert sie einen Teil ihrer Wählerschaft.
Elsa Köster
Als Publizistin kann sie ausformulieren, was die Politikerin so nicht sagen kann. Die Linke ist ein soziales Feigenblatt im digitalen kapitalistischen Akkumulationsregime. Die Vorstellung, einen dritten Pool zu bilden, der sowohl den fossilen wie den digitalen Kapitalismus ablehnt, ist verloren gegangen. Diese Vorstellung war aber in den globalisierungskritischen Kämpfen in den letzten 20 Jahren vorhanden. "Make Capitalism history" lautete das zentrale Motto der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Rostock 2007. Die Vorstellung wird wieder in die Köpfe kommen durch konkrete Mobilisierung, auch für Tarifkämpfe, in denen es um bessere Arbeitsbedingungen und ein besseres Klima geht. Notstände aller Art hingegen führen nur zu mehr autoritärer Staatlichkeit.
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