Klimakleber, Waldbesetzer und Co.: Einen Oscar für provokante politische Aktionen!
Spektakuläre Protestformen können sehr wirkungsvoll sein - wenn sie mit gut durchdachten Botschaften verknüpft sind. Unser Autor hat einen Rat.
Die "Letzte Generation" ist in aller Munde. Ihre Aktionen polarisieren – und viele derer, die Macht oder Kapital in ihren Händen halten, schimpfen auf die Aktivist:innen, umgangssprachlich oft: "Klimakleber". Neben strafrechtlichen Drohungen wird gefordert, zu zurückhaltenderen Aktionsformen zurückzukehren.
Ist das gerechtfertigt? Oder zeigt die Aufregung eher, dass solche provokanten Aktionen gerade das Salz in der Suppe politischer Proteste sind?
Was wären die Anti-Atom-Proteste ohne Schienenblockaden und Bauplatzbesetzungen? Was der Widerstand gegen die Agro-Gentechnik ohne Feldbefreiungen und -besetzungen? Wo ständen wir in der Kohleausstiegsdebatte, wenn es die Besetzung des Hambacher Forstes und die Baggerbesetzungen nicht gegeben hätte?
Und wie wäre die Aufarbeitung der Nazivergangenheit führender Personen in Politik und Verwaltung verlaufen, wenn Beate Klarsfeld es nicht geschafft hätte, auf das Podium des CDU-Parteitages zu gelangen und den Ex-NSDAP-Mann und Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger öffentlich zu ohrfeigen?
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Offenbar braucht politischer Protest direkte Aktionen – ein provokantes, aufmerksamkeitserzeugendes Eingreifen in die gesellschaftlichen Abläufe, um wirksam zu werden. Dieser Effekt wird weiter verstärkt, wenn die Staatsmacht eingreift: Polizeigewalt, spektakuläre Räumungen von Besetzungen oder Blockaden, Inhaftierungen und Strafprozess werden in Medien mitunter umfangreicher dargestellt als die auslösende Aktion selbst.
Direkte Aktion ist nicht alles
Daraus lässt sich folgern, dass Regelübertritte zusätzlich helfen können. Diese Überzeugung liegt dem klassischen Konzept des zivilen Ungehorsams zugrunde, das sich aber hinsichtlich der spektakulären Elemente in diesem Regelübertritt erschöpft.
Noch mehr Wirkung entfalten die Aktionen, die auf mehrere Arten spektakuläre Elemente enthalten, zum Beispiel zusätzlich durch eine erhebliche störende Wirkung oder durch das Design der Aktion, das starke Bilder für Betrachter:innen und Medien erzeugt. Dennoch gibt es mehrere Einschränkungen.
Erstens: Direkte Aktion ist nicht alles. Sie kann Aufmerksamkeit erzeugen. Die aber wäre sinnlos, wenn dann nicht auch niveauvolle Inhalte vermittelt werden. Das können politische Forderungen, Kritik an Vorhaben und Planungen oder, besonders anspruchsvoll, gesamtgesellschaftliche Utopien sein.
Hier zeigen Aktionsgruppen, die spektakuläre Aktionen fahren, oft bedauerliche und unnötige Schwächen. Wer eine reine Holzplantage besetzt, um gegen eine neue Autofabrik (Tesla) zu demonstrieren, aber dann nichts anderes zu sagen hat, als Mitleid mit den Bäumen in der Nadelwaldmonokultur zu bekunden, vertut eine große Chance.
Wenn eine Gruppe von Atomkraftgegner:innen den Castor-Zug per Einbetonierblockade für viele Stunden aufhält und alle Kameras auf die Aktion draufhalten, dann aber nur ein Transparent mit der Parole "Castor stoppen" zu sehen ist, bleibt die Sache auch hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dass die "Letzte Generation" jetzt Sprecher:innen zwar vor ein Millionenpublikum bringt, aber dann nur "Tempolimit und Neun-Euro-Ticket" sagt, ist ebenfalls schade.
Dass die "Letzte Generation" inzwischen ihre Forderungen noch weiter heruntergeschraubt hat und nur noch den kaum vermittelbaren Gesellschaftsrat fordert, macht ihren Protest endgültig unwirksam. Die im Sommer 2023 gestartete Anti-Reichen-Kampagne hätte da mehr Potenzial geboten, wurde aber aus Angst vor zu starkem Gegenwind schnell abgebrochen.
Protestbewegung als "Welt, in der viele Welten Platz haben"
Zweitens: Die größte Wirkung im politischen Protest findet nie die einzelne Handlung, also auch nicht eine noch so spektakuläre, massiv störende oder sonst auffällige Aktion, sondern stets die Mischung vieler verschiedener Aktionsformen. Provokante Aktionen sind darin ein Teil, ohne die es schwer würde, die nötige Aufmerksamkeit zu erreichen.
Sie sind aber oft nicht direkt anschlussfähig an die breite Masse der Bevölkerung mit ihren Ängsten um öffentliches Ansehen, Arbeitsplatz oder was auch immer. Es macht daher Sinn, eine politische Kampagne stets als eine "Welt, in der viele Welten Platz haben" zu begreifen – also die Übertragung dieser bekannten Zapatista-Vision auf die politische Organisierung.
Das ist ein Aufruf an alle, Unterschiedlichkeiten zu ertragen und Organisierungsmodelle zu entwickeln, die solche Vielfalt und dann möglichst viel Kooperation und Kommunikation in ihr erzeugen. Das ständige Zurschaustellen der eigenen Labels oder Kontonummern dürfte dabei eher schädlich wirken, weil es Konkurrenzkämpfe erzeugt und das eigentliche Thema in den Hintergrund rückt. Zudem macht es eine Kooperation auf Augenhöhe schwierig mit denen, die auf solche Eigenwerbung verzichten.
Fazit: Bilder bewegen die Welt. Provokante Aktionen, die emanzipatorische Ideen transportieren, erzeugen starke Bilder. Daher: Ein Oscar für die Besetzungen im Hambacher Forst und im Dannenröder Wald sowie in Lützerath – und für alle direkten Aktionen!
Der Autor ist seit Jahrzehnten politisch aktiv und war oft von Beginn an in spektakulären Aktionsformaten beteiligt. Im Februar erschien sein Buch "Provoziert! Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für den politischen Protest" im Büchner-Verlag (Marburg). Zu einem bilderreichen Vortrag zum Thema "Provokante Aktionen" lässt er sich auch gern einladen.