Klimaschutz-Profite: Kohlekraftwerke durch 100 Prozent erneuerbare Energien ersetzen
Energiewende bringt Geld ein. Studie zeigt, dass Ausstieg aus Kohle Gewinnspanne erhöht. Kraftwerke sollten auf Ökostrom-Rendite setzen. Ein Gastbeitrag.
Bevor Hans-Josef Fell eine neue Studie vorstellt, hier noch ein paar Zahlen und Hintergründe dazu, wie im Jahr 2023 die Energiewende global vorangeht.
Wind- und Solarenergie sind die am schnellsten wachsenden Energiequellen der Welt und werden im Jahr 2023 voraussichtlich zusammen zwölf Prozent des weltweiten Stroms erzeugen. Es wird erwartet, dass die durch Wind- und Solarenergie erzeugte Energiemenge zunehmen und sich beschleunigen wird.
Im Jahr 2023 wird die Windkraft erstmals ein Terawatt (TW) an installierter Leistung überschreiten – fast so viel wie die gesamte installierte Kapazität der USA (1,2 TW). Die Solarenergie hat diese Schwelle im Jahr 2022 überschritten.
Warum also haben die Vereinten Nationen in der ersten globalen Bestandsaufnahme der weltweiten Fortschritte bei der Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius festgestellt, dass wir immer noch nicht schnell genug aus den fossilen Brennstoffen aussteigen?
Asiens Wirtschaftswachstum wird durch Kohle angetrieben
Trotz des rasanten Wachstums der erneuerbaren Energien sind die kohlenstoffintensivsten Formen der Stromerzeugung – Kohle und Erdgas – seit 2010 um 22 bzw. 37 Prozent angestiegen. Die Stromerzeugung aus Kohle und Gas ist nach wie vor das Rückgrat der globalen Energiesysteme.
Doch in den OECD-Staaten werden praktisch keine neuen Kohlekraftwerke mehr geplant oder gebaut, auch wenn weitere Kohlebergwerke genehmigt werden.
In Asien ist das Bild anders. Hier haben sich die Länder stark auf billige Kohle verlassen, um ihre Volkswirtschaften mit Energie zu versorgen. Das gilt insbesondere für China. Mit einem Zubau von 27 Gigawatt (GW) aus Kohle allein im Jahr 2022 gleicht China die Stilllegung von Kohlekraftwerken in anderen Teilen der Welt aus.
Doch es gibt Anzeichen dafür, dass sich das ändert. Das globale Planungsvolumen für neue Kohlekraftwerke ist kleiner denn je, und sowohl China als auch Indien haben auf dem Klimagipfel in Glasgow im Jahr 2021 zugesagt, aus der Kohle auszusteigen.
Abschied von der Kohle
Der Abschied der Kohle (dem wohl schmutzigsten aller fossilen Brennstoffe) gewinnt also an Schwung.
Das liegt auch an den Kosten. In Verbindung mit Batterien, die überschüssigen Strom speichern können, erweist sich Solarenergie in bestimmten Teilen der Welt als kostengünstigere Option als Gas und Kohle. In Australien hat der Branchenverband Australian Clean Energy Council festgestellt, dass Solarmodule und Batterien in Spitzenlastzeiten 30 Prozent billiger sind als Gaskraftwerke.
Eine Untersuchung von Bloomberg NEF ergab, dass Batterien heute bereits billiger sind als Gaskraftwerke. In einigen Fällen kann die Stromerzeugung durch Solarzellen sogar preisgünstiger sein als eine Versorgung per Stromnetz.
In Indien sind die Kosten für die Erzeugung von Strom aus Sonnenenergie und dessen Speicherung in Batterien zur Nutzung in Zeiten hoher Nachfrage niedriger als die Kosten für bestehende Kohlekraftwerke. Kombinierte Solar- und Batterieanlagen können sich in Spitzenzeiten aktivieren und wieder abschalten, wenn die Nachfrage sinkt, unabhängig davon, ob der Wind weht oder die Sonne scheint.
Eine neue Studie in Deutschland untermauert diesen Trend weltweit.
Der Bau und Betrieb von Wind-Solar-Batterie-Parks ist billiger als der Weiterbetrieb von wirtschaftlich abgeschriebenen Kohlekraftwerken, und zwar bei rund 90 Prozent der Kohlekraftwerke weltweit. Ein entscheidender Vorteil: Die Betriebskosten für erneuerbare Energien sind günstiger als der Betrieb bestehender Kohlekraftwerke. Dadurch werden zusätzliche Gewinne erzielt.
Switch Coal
So lautet das Ergebnis einer neuen Studie von Zero Emission Think-Tank und Goodfuture Berlin.
Diese neue Erkenntnis hat weitreichende Folgen für die Kohlewirtschaft, die mit diesen neuen ökonomischen Umständen konfrontiert ist.
Die Betreiber von Kohlekraftwerken sollten umgehend damit beginnen, ihre Kohlekraftwerke bis spätestens 2030 durch zuverlässigen Strom aus Sonnen- und Windenergie sowie Großbatterien zu ersetzen. Andernfalls werden sie in den kommenden Jahren zunehmend und massiv Stromkunden verlieren, die sich mit billigerem Ökostrom selbst versorgen werden.
Vor allem große Stromverbraucher, z. B. Industrieunternehmen, sollten ihre Kohlestromverträge kündigen, um schnell zu deutlich günstigerem Ökostrom wechseln zu können. Nur so erhalten sie den günstigen Strom, den sie brauchen, um mit anderen Herstellern konkurrieren zu können. Dazu sind zwei Strategien möglich:
1) Die Industrie schließt neue Verträge mit den Betreibern von Kohlekraftwerken mit niedrigeren Strompreisen, die die Kohlebetreiber dann mit ihren neuen Ökostromerzeugungen liefern.
2) Große Industriebetriebe investieren selbst in eigene Anlagen, um so günstigen Industriestrom zu erhalten. Mit der Einbindung von Bürgerkapital über Bürgerenergiegemeinschaften können sie das Eigenkapital aufbringen. Die mitinvestierenden Bürgerinnen und Bürger erhalten Renditebeteiligungen und billige Strompreise, wodurch die Akzeptanz für den Bau der Ökostromanlagen in ihrer Umgebung geschaffen wird.
Politische Unterstützung
Regierungen sollten die Umstellung auf Ökostrom unterstützen mit:
1) Abschaffung aller Kohlestromsubventionen. Dies würde eine massive Entlastung der weltweit überschuldeten Staatshaushalte mit sich bringen.
2) Erlassen von Gesetzen, die eine Genehmigung der Ökostromanlagen spätestens ein halbes Jahr nach Antragsstellung ermöglichen.
Die Vorteile für alle Beteiligten liegen mit einer solchen Strategie auf der Hand:
- Kohlekraftwerksbetreiber werden vor dem Konkurs bewahrt, da andernfalls andere Ökostromproduzenten ihnen die Stromkunden abwerben.
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- Die Industrie und andere Stromkunden profitieren von dauerhaft niedrigen Strompreisen. Wer zuerst kommt, wird mit einem Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz belohnt.
- Staaten können einen erheblichen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Durch das Beenden der Kohlesubventionen und durch neue Gewerbesteuereinnahmen durch den Betrieb der Ökostromanlagen, sowie Einkommensteuer durch den hohen zusätzlichen Beschäftigungseffekt beim Ausbau der Ökostromanlagen, wie auch durch die Sicherung der Industrieproduktion.
Fünf Billionen Euro erforderlich an Investitionen
Der Hauptgewinner dieser unternehmerischen und rentablen Investition ist der Klimaschutz: Bis 2030 könnten weltweit etwa zehn Gigatonnen jährliche Treibhausgasemissionen vermieden werden.
Der ökonomische Vorteil von Ökostromanlagen zeigt sich bereits heute in den USA, wo allein in den letzten zehn Jahren etwa die Hälfte der Kohlekraftwerke stillgelegt wurde, und einem sich ebenfalls ab 2024 abzeichnenden Rückgang der Kohlekraftwerke in China.
Diese aktuellen bzw. sich abzeichnenden Rückgänge der Kohleverstromung in den USA und China werden sich weiter beschleunigen und auf andere Länder ausdehnen, da in den kommenden Jahren die Erzeugungspreise von Strom aus neuen Solar-, Windkraft- und Großbatterien weiter fallen werden.
Weltweit sind laut der Studie von Coal Switch Investitionen in Höhe von fünf Billionen Euro erforderlich, die über die dreißigjährige Lebensdauer des Systems zehn Billionen Euro Gewinn bringen. Dies entspricht einem unverschuldeten internen Zinsfuß (Renditeeffekt der Investition) von sechs Prozent. Zusätzliche Gewinne in Höhe von sechs Billionen Dollar werden jedoch durch niedrigere Betriebskosten erzielt, was den internen Zinsfuß entscheidend auf zehn Prozent erhöht.
Sechs Prozent sind für entwickelte Märkte bereits ausreichend hoch. Man sollte eine kommerzielle Finanzierung für sie bekommen. Die Renditen von Staatsanleihen liegen bei etwa vier Prozent, sodass diese riskantere Investition finanziert werden kann.
Risikominimierung durch öffentlichen Sektor
In Schwellenländern können die Anleiherenditen bis zu sechs oder acht Prozent betragen, und sie haben ein geringeres Risiko als SwitchCoal. Die erforderlichen Renditen sind eher höher, sodass eine Risikominderung durch den öffentlichen Sektor benötigt wird, z.B.
- durch Übernahme von Erstverlustgarantien, oder
- billige subventionierte Kredite (Bridgetown Proposal), oder
- indem die Strompreise nicht gesenkt werden, um sicherzustellen, dass die zusätzlichen Gewinne den Kraftwerksbetreibern für die Finanzierung zur Verfügung stehen.
Weiterhin schlagen die Autoren der Switch-Coal-Studie vor, dass das UN-Motto "act on climate" nun geändert werden sollte auf "act on climate & profit from it", was einen neuen Mindset widerspiegelt und für pragmatische und profitable Klimalösungen steht.
Der von Switch Coal beschriebene Ansatz ist tatsächlich eine realistische Chance, bis 2030 noch massiv CO2 einzusparen, wobei viele Länder davon auch noch in Milliardenhöhe profitieren. Switch Coal ist daher unverzichtbar für die Welt, um wirksamen Klimaschutz zu schaffen und ist unabhängig von allen Beschlüssen auf den UN-Klimakonferenzen, weil dies alle Marktakteure selbst wirtschaftlich rentabel tun können.
Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien und Sprecher der Bürgerinitiative Bürger Solarfabrik.