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Klimaschutz: Was geschehen müsste

Foto: stevepb /CC0

Die Energie- und Klimawochenschau: Von steigenden Emissionen, notwendigen Anstrengungen, fehlendem politischen Willen und einem Brand in der Atomfabrik Lingen

Die globalen Kohlendioxid-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger sind 2017 wieder gestiegen und haben einen Rekordwert von 37,1 Milliarden Tonnen erreicht. Dies geht aus einer in der letzten Woche veröffentlichten Stellungnahme [1] des Global Carbon Projects hervor. Die Ergebnisse wurden zeitgleich in den drei Fachzeitschriften Nature, Environmental Reseach Letters und Earth System Science Data veröffentlicht.

Beim Golbal Carbon Project handelt es sich [2] um ein internationales Gemeinschaftsunternehmen verschiedener Universitäten und Forschungsinstitute in den USA, Norwegen, Frankreich, Australien, Thailand, Deutschland, Brasilien, Großbritannien, Indien, den Niederlanden, China, Japan, Südkorea, Polen und Österreich. Die Geldgeber [3] sind ebenso international.

Mit dabei sind auch die Umweltministerien Australiens und Japans, also zweier Staaten, die sich in den internationalen Klimaschutzverhandlungen bisher nicht gerade durch vorantreibende Diplomatie ausgezeichnet haben.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Emissionen 2018 um 2,7 Prozent gestiegen sind (Fehlerbereich: 1,8 bis 3,7 Prozent) Das wäre seit mehreren Jahren der stärkste Anstieg. 2017 legten die Emissionen um 1,6 Prozent zu. Davor hatte es zum ersten Mal in Nicht-Krisenzeiten für drei Jahre Stillstand gegeben.

Regenwald in Gefahr

Weitere rund fünf Milliarden Tonnen CO2 kamen durch Entwaldung und andere Änderung der Landnutzung hinzu. (Alle Prozesse, bei denen Humus verloren geht, setzen zum Beispiel das Treibhausgas frei.) Da hier die Datenerhebung weit schwieriger ist, bleibt unklar, ob die Emissionen in diesem Gebiet zu- oder Abnehmen.

Um die Zukunft der globalen Wälder ist es derzeit so schlecht wie lange nicht bestellt. Brasiliens neuer, faschistischer Präsident Jair Bolsonaro, der nicht nur eine tiefe Abneigung gegen Demokratie und Menschenrechte sondern auch gegen die Rechte der Waldbewohner [4] und den Waldschutz am Amazonas zeigt, lässt Schlimmes für den dortigen Regenwald befürchten [5].

Dabei mochte mancher 2015 oder 2016 bereits gehofft haben, dass der Höhepunkt der Emissionen vielleicht schon erreicht sei, doch das war offensichtlich verfrüht. Die Autoren der Studie lassen allerdings kein Zweifel daran, dass es dafür höchste Zeit ist:

Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wie in der Pariser Übereinkunft vorgesehen, müssen die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent abnehmen und 2050 bei Null angekommen sein. Doch davon sind wir noch weit entfernt. Es müsste sehr viel mehr getan werden, denn wenn sich die Staaten nur an ihre bisher abgegebenen Selbstverpflichtungen halten sind wir eher auf dem Weg zu einer globalen Erwärmung um drei Grad Celsius. Dieses Jahr konnten wir sehen, wie der Klimawandel weltweit Hitzewellen verstärkt. Die Buschbrände in Kalifornien waren eine Momentaufnahme der wachsenden Probleme, die uns bevorstehen, wenn die Emissionen nicht schnell reduziert werden.

Corinne Le Quéré, Direktorin des britischen Tyndall Centre for Climate Change Research und Professorin für Klimawissenschaften und -Politik an der Universität von East Anglia

Der erste große Schritt

Was würde eine Halbierung der Emissionen bis 2030 bedeuten? Fassen wir uns an die eigene Nase und schauen uns die hiesigen Treibhausgasemissionen [6] an. (Das macht schon deshalb Sinn, weil Deutschland in der Rangliste der Klimasünder nach China, den USA, Indien, Russland und Japan an sechster Stelle steht. Würde man nach den Pro-Kopf-Emissionen fragen, stünde Deutschland noch vor China und Indien, dann rückten allerdings auch ein paar andere Länder wie Kuwait oder Luxemburg weiter nach vorn.)

2017 wurden zwischen Rhein und Oder rund 800 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen. Hinzu kamen andere Treibhausgase, vor allem Methan und Lachgas (Distickstoffoxid), die umgerechnet etwas mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 entsprachen. Doch die sollen der Einfachheit halber hier außer acht bleiben.

Für Deutschland würde eine Halbierung also bedeuten, dass bis 2030 die CO2-Emissionen um 400 Millionen Tonnen jährlich reduziert sein müssten. Wo könnten diese Einsparungen erreicht werden?

Ein relativ einfaches Ziel ist sicherlich die drastische Reduzierung der Verbrennung von Stein- und Braunkohle. Zusammen erzeugten die beiden Brennstoffe 2017 rund 290 Millionen Tonnen CO2 in Deutschland, und zwar ganz überwiegend in den industriellen und fürs öffentliche Stromnetz produzierenden Kraftwerken. Würden diese stillgelegt, so wäre schon einmal ein großer Schritt getan.

Der Ersatz

Zu kompensieren wäre das mit Einsparungen im Stromverbrauch und vor allem mit verstärktem Ausbau der erneuerbaren Energieträger. Diese liefern heute bereits rund 40 Prozent des Nettostrombedarfs [7]. Würde ihr Ausbau nicht immer mehr behindert ließe sich mit einiger Anstrengung bis 2030 100 Prozent, mindestens aber 70 bis 80 Prozent erreichen.

Um 100-prozentige Versorgung innerhalb von 13 Jahren zu erreichen müssten in Deutschland bei gleichbleibenden Strombedarf neben den notwendigen Speichern aller Art jährlich knapp sechs Gigawatt (GW) Windkraftleistung an Land und 1,5 GW auf See sowie zehn GW Solarleistung installiert werden.

Das ist sicherlich keine Aufgabe, die mal eben nebenbei erledigt werden könnte, aber es ist machbar. Die notwendige Industrie ist da und sie ist oft in strukturschwachen Regionen angesiedelt. Entsprechende Ausbauleistungen wurden in der Windindustrie sowohl an Land Land als auch auf See bereits zeitweise erreicht.

2015 waren zum Beispiel in nur einem Jahr 2,3 GW auf See installiert worden. Auch für die Solarenergie läge die Leistung nur um etwas mehr als zwei GW über den Rekorden, die Anfang des Jahrzehnts erreicht würden.

Die Flächen für die Solaranlagen sind vor allem auf den Dächern der Städte reichlich vorhanden. Auch auf See sind die entsprechenden Ausbaugebiete längst ausgesucht, unter anderem auch nach den Kriterien, dass sie den Vogelzug möglichst wenig beeinträchtigen. Die Bürger mitnehmen.

Für den Ausbau der Windkraft an Land wäre es dringend notwendig, das Ausschreibungsverfahren zu reformieren oder am besten ganz wieder abzuschaffen, da es große, ortsfremde Akteure erheblich bevorzugt. Stattdessen müssen Regelungen zum Beispiel über die Gewerbesteuer und die Unterstützung kleiner Stadtwerke und Genossenschaften gefunden werden, damit die Menschen in der Nachbarschaft der Anlagen auch von diesen profitieren können und nicht nur die Nachteile haben.

Das alles wäre, wie gesagt, kein Spaziergang, aber es würde nicht nur den ohnehin notwendigen Wandel in der Energieversorgung vorantreiben und die dafür notwendige Forschung und Entwicklung erheblich unterstützen.

Es wäre auch ein beachtliches Beschäftigungsprogramm, dass die bestehenden rund 200.000 Arbeitsplätze [8] in Solar- und Windkraftbranche (direkte und in Zulieferbetrieben) sichern und Schätzungsweise bis zu 100.000 zusätzliche schaffen würde. Letzteres insbesondere in der Installation von Solaranlagen sowie in der Wartung sowohl von Solar- als auch Windkraftanlagen.

Autoritäre Ansätze sind kontraproduktiv

Aber damit wären ja noch nicht einmal die Halbierung der CO2-Emissionen erreicht. Es müssten noch weitere 100 bis 120 Millionen Tonnen eingespart werden. Kandidaten dafür wären der hohe Erdgasverbrauch in Kraftwerken, Industrie und Haushalten verantwortlich für 176 Millionen Tonnen CO2. Oder der Mineralölverbrauch, auf dessen Konto jährlich 258 Millionen Tonnen CO2 gehen.

Ursache sind hauptsächlich Heizungen und Verkehr. Im Verkehr allein wurden 2017 165 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen, und das Global Carbon Project macht den steigenden Erdölverbrauch nach der wieder zunehmenden Verwendung von Kohle als den zweit wichtigsten Grund für den Anstieg der weltweiten Emissionen verantwortlich.

An diesem Punkt müsste also angesetzt werden und das Heizen der Gebäude effizienter und der Kraftstoffverbrauch eingedämmt werden. Dabei kann man so Vorgehen, wie französische oder auch die deutschen Regierungen und die Lasten vor allem auf die kleinen Verbraucher abwälzen.

Etwa mit der Erhöhung der Energiekosten oder in dem man große Kapitalgesellschaften und allerlei Mafiosi [9] auf Mieter los lässt und ihnen mit energetisch oft fraglichen Sanierungsmaßnahmen die Möglichkeit an die Hand, Mieter zu vergraulen und den Mietzins in astronomische Höhen zu treiben.

Politischer Wille fehlt

Man könnte aber auch die ohnehin die internationalen Finanzmärkte destabilisierenden Vermögen besteuern, den Reichtum reduzieren und das Geld zum Beispiel in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Bahnen stecken.

Ist das getan, kann auch dran gegangen werden, den Individualverkehr mit administrativen und fiskalischen Mitteln zu beschränken, aber Bedingung muss immer sein, dass jedem Menschen unabhängig von Alter und Einkommen das gleiche Recht auf Mobilität zustehen muss.

Ähnliches gilt fürs Wohnen. Jeder muss das Recht auf eine bezahlbare Wohnung haben sowie das Recht in seiner angestammten Umgebung zu wohnen. Die ohne Frage wichtige thermische Sanierung der Wohnhäuser kann auch darüber erreicht werden, dass die Gemeinnützigkeit für öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften wiederhergestellt wird und diese dann bei der Sanierung unterstützt werden.

Den privaten Unternehmen könnte man die Sanierung schlicht gesetzlich vorschreiben und gleichzeitig die Möglichkeit nehmen, mit diesen die Miete in die Höhe zu treiben. Zum Beispiel, indem die Kosten pro Quadratmeter gedeckelt werden, nur noch sechs Prozent der Kosten pro Jahr auf die Miete umlegbar sind und die Miete nach der Kostenabschreibung wieder auf das ursprüngliche Maß zurückgeführt werden müsste.

Das Problem bei alldem: Es fehlt weit und breit der politische Wille, ein derartiges Programm durchzusetzen. Den Grünen sind sozialstaatliche Überlegung inzwischen sehr fremd, Konservative, Liberale und Rechtsradikale führen sich eher wie Stoßtruppen der Kraftwerks- und Immobilienbranche auf, die SPD hat es immer noch nicht verstanden, dass sie als Nachhut derselben inzwischen überflüssig sind, und die Linken haben es ebenso wenig begriffen, dass es da nichts mehr mitzugestalten gibt.

Brand in Atomfabrik

Wie dem auch sei, übers Nachdenken über deutsche Verhältnisse sind in dieser Wochenschau jetzt viele andere Dinge zu kurz gekommen. Zum Beispiel wäre da noch der Brand in der Atomfabrik [10] im südwestniedersächsischen Lingen, der mal wieder zweierlei gezeigt hat: Erstens gibt es neben den Atomkraftwerken auch eine ganze anderer riskanter Atomanlagen, und zweitens geht es immer noch zum üblichen Repertoire bei Unfällen erst einmal rumzudrucksen und soviel wie möglich zu vertuschen.

Und natürlich läuft im polnischen Katowice noch immer die UN-Klimakonferenz. Viel rauskommen wird dort wohl nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gar nicht erst den Versuch unternommen, dort für mehr Klimaschutz zu streiten. Warum auch. Schließlich sollen doch zu Hause noch möglichst lange weiter Braunkohle abgebaggert und verbrannt werden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4248603

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.globalcarbonproject.org/carbonbudget/18/events-prm.htm
[2] http://www.globalcarbonproject.org/about/index.htm
[3] http://www.globalcarbonproject.org/about/sponsors.htm
[4] https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/oct/31/jair-bolsonaro-brazil-indigenous-tribes-mining-logging
[5] https://www.nationalgeographic.com/environment/2018/10/brazil-president-jair-bolsonaro-promises-exploit-amazon-rain-forest/
[6] https://www.umweltbundesamt.de/indikator-emission-von-treibhausgasen
[7] https://www.energy-charts.de/ren_share_de.htm
[8] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/erneuerbar-beschaeftigt-in-den-bundeslaendern.html
[9] https://www.pnp.de/nachrichten/politik/3162962_Milliarden-Geldwaesche-im-deutschen-Immobiliensektor.html
[10] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Lingen-Es-brannte-doch-im-nuklearen-Bereich,lingen646.html?fbclid=IwAR3OXUTcJ0IFRtCFdyXYGn2ipzeTHvVphSzk1MzTtq2ZoJ-r26w6qZ_kUsM