Klimawandel: Der unsichtbare Killer hinter Sturmtief Boris
Das Sturmtief "Boris" tötete im Sommer 27 Menschen. Die Unwetter-Katastrophe hätte weniger dramatisch ausfallen können. Schuld ist der Klimawandel – und zwar messbar.
Wetter-Chaos in Mittel- und Osteuropa: Vor wenigen Wochen sorgte das Sturmtief "Boris" mit sintflutartigen Regenfällen für Überschwemmungen und extreme Hochwasser in Polen, Tschechien, Österreich und Rumänien. Dabei starben mindestens 27 Menschen, unzählige mussten ihre Häuser verlassen.
Doch welche Rolle spielte der Klimawandel bei dieser Katastrophe? Eine neue Analyse des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) liefert nun Antworten. Mithilfe von neuen Klimasimulationen konnte das Forschungsteam den Fingerabdruck der Erderwärmung in diesem realen Wetterereignis identifizieren.
Das erschreckende Ergebnis: Ohne die heutige globale Erwärmung hätte "Boris" rund neun Prozent weniger Regen gebracht. Der Grund: Auf dem Weg nach Mitteleuropa konnte sich das Sturmtief über dem östlichen Mittelmeer und dem Schwarzen Meer deutlich stärker mit Feuchtigkeit aufladen, da diese Regionen inzwischen zwei Grad Celsius wärmer sind als in vorindustrieller Zeit. Mehr Wärme bedeutet mehr Wasserdampf in der Luft - und damit mehr Potenzial für Starkregen.
Neun Prozent: klingt wenig, ist aber relevant
"Neun Prozent weniger Niederschlag hört sich erst mal wenig an", erklärt Dr. Helge Gößling vom AWI. "Aber bei Starkregen geht es immer darum: Wie viel Wasser sammelt sich am Boden und wohin läuft es ab? Kann ein Fluss, ein Staudamm, die Kanalisation es noch halten oder richtet es enormen Schaden an?"
Lesen Sie auch
Wetterderivate: Wie Unternehmen sich gegen Wetterrisiken absichern
Fleischindustrie vor Herausforderung: Klimawandel befeuert Tierseuchen
Zu später Klimaschutz wird vierfach teurer
CO2-Export: Deutschland will Klimagas im Ausland versenken
Klimawandel als Preistreiber: Versicherte Schäden durch Naturkatastrophen auf Höchststand
Möglich wurden diese konkreten Aussagen durch eine neue Modellierungsmethodik, die das AWI-Team im Fachmagazin Nature Communications Earth & Environment vorstellt. Der sogenannte "Storyline-Ansatz" funktioniert nach dem "Was-wäre-wenn-Prinzip": Wie hätte sich ein Wetterereignis ohne Klimawandel entwickelt? Und wie in einer noch wärmeren Welt?
Klimawandel nachweisen
"Wir geben dem Klimamodell real gemessene Winddaten vor und schubsen es so Stunde für Stunde in Richtung des echten Wetters", erläutert Dr. Marylou Athanase, Physikerin am AWI und Leitautorin der Studie. "So können wir reales Wetter im realen Klima sehr gut simulieren. Dann versetzen wir das Modell in eine Welt ohne Klimawandel und wiederholen das Experiment."
Das AWI-Team hat das neue System bereits so weit automatisiert, dass tägliche Analysen zum aktuellen Wettergeschehen möglich sind. Die Daten werden auf ein frei zugängliches Online-Tool übertragen, das auch für Laien online abrufbar ist.
"So kann sich jeder das "Klimawandel-Signal des Tages" – sowohl für Extremereignisse als auch für das alltägliche Wetter weltweit – in Nahe-Echtzeit anschauen", betont Marylou Athanase. "Wir wollen damit das Verständnis für den Zusammenhang von Klimawandel und Wetter verbessern und konkrete, zeitnahe Antworten liefern, die auch in der Medienberichterstattung genutzt werden können."