Klimawissenschaft: Beschleunigt sich die globale Erwärmung?
Hintergrunddaten enthüllen einen Sprung: Statistiken verweisen auf beschleunigten Temperaturanstieg. Was sich verändert.
Was ist los mit dem Klima? Oder genauer, mit der globalen Temperatur, von der so vieles abhängt, und die zugleich ein Indikator für den Zustand des Planeten, der Erdsystems ist, wie es die Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nennen.
Der Sprung
Selten, sehr selten, hat die über das Jahr gemittelte Temperatur einen derartigen Satz gemacht, wie im vergangenen Jahr. Beschleunigt sich die globale Erwärmung womöglich? Neueste statistische Untersuchungen der Temperaturdaten deuten darauf hin.
Wir hatten Anfang des Jahres bereits verschiedentlich auf diesen außerordentlichen Sprung hingewiesen. Was die Sache noch ungewöhnlicher macht, ist, dass im vergangenen Jahr ein El Niño eingesetzt hat, jene quasi-periodische Schwankung der Wassertemperaturen im östlichen tropischen Pazifik mit einhergehenden großräumigen Verlagerungen der Hoch- und Tiefdruckgebiete.
Der wird voraussichtlich noch bis zum kommenden Sommer anhalten und für gewöhnlich ist erst das zweite El-Niño-Jahr besonders warm.
Was sich verändert hat
Doch 2023 war alles anders. Schon ab dem Sommer wurde in jedem einzelnen Monat ein neuer Temperaturrekord für den jeweiligen Monat aufgestellt, und am 17. November lag die global gemittelte Temperatur erstmals zwei Grad über dem Mittelwert für diesen Tag, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts berechnet wurde, also zu einer Zeit, in der der Mensch den Treibhausgasgehalt der Atmosphäre noch kaum verändert hatte.
Der New Scientist hatte unter anderem über dieses Ereignis berichtet.
In der Pariser Klimaübereinkunft hatten 2015 die Staaten verabredet, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.
Die globale Mitteltemperatur schwankt von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr etwas. Sinnvollerweise betrachtet man in diesem Fall einen Mittelwert über mindestens zehn oder auch eher dreißig Jahre. Letzteres wäre das in der Klimatologie üblicherweise verwendete Intervall.
Aber das erstmalige Überschreiten dieser Zwei-Grad-Grenze hat für Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eine hohe symbolische Bedeutung, und es deutet zusammen mit der auffallend starken Erwärmung im zurückliegenden Jahr darauf hin, dass da offenbar irgendwas mit dem globalen Klima vor sich geht.
Das Bild der Statistiker
Beschleunigt sich der Temperaturanstieg? Eine statistische Analysevon Grant Foster, der als Mathematiker in den USA in einer Beratungsfirma arbeitet, aber auch schon mit Klimawissenschaftlern zusammen publiziert hat, liefert dafür starke Belege.
Er sieht in der Zeitreihe der globalen Mitteltemperatur eine Zunahme des Tempos der Erwärmung.
Besonders deutlich wird das, wenn die bekannten natürlichen Einflüsse aus den Daten eliminiert werden und damit sozusagen ein Bild von der Entwicklung im Hintergrund geschaffen wird, die das natürliche Rauschen manchmal überdeckt.
Grant hatte das bereits 2011 in einer gemeinsam mit Stefan Rahmstorf vom PIK (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) angefertigten Studie vorgemacht.
Nun hat er für die seitdem länger gewordene Zeitreihen noch einmal die Einflüsse von El Niño und seinem kalten Gegenstück La Niña, von Vulkanausbrüchen und Variationen in der Sonnenstrahlung (ausgelöst durch Sonnenflecken) aus den Temperaturdaten ausgerechnet. Die so gewonnenen "Hintergrunddaten" hat er mit einem statistischen Filter bearbeitet, der ihm für jeden Zeitpunkt die Veränderungsrate ermittelt.
Rohdaten und Hintergrunddaten: Unterschiede
In den unbearbeiteten Daten scheint die Veränderungsrate seit Ende der 1970er-Jahre leicht schwankend, aber bis 2010 mehr oder weniger konstant. Danach steigt sie etwas an, allerdings ist die Unsicherheit bei den aktuelleren Daten relativ groß, was an der statistischen Methode liegt.
Mit anderen Worten: In den Rohdaten lässt sich bisher keine klare Beschleunigung der Erwärmung ausmachen.
In den bearbeiteten Daten, den sogenannten Hintergrunddaten, sieht es allerdings ganz anders aus. Deren Analyse zeigt, dass sich die Erwärmung seit dem Ende des ersten Jahrzehnts deutlich beschleunigt hat und inzwischen zwischen rund 60 Prozent schneller verläuft, als noch in den 1980ern und 1990ern.
Der Autor warnt indes davor, sein Ergebnis überzuinterpretieren. Was zählt, sind natürlich die sogenannten Rohdaten, das heißt, die tatsächlich gemessenen Temperaturen.
Dennoch liefert seine Analyse einen Eindruck von dem Geschehen im Hintergrund des Klimasystems. Verdeckt von allerlei natürlichen Schwankungen, könnte sich die Erwärmung tatsächlich beschleunigen.